Linda W.: Zweifel an der Reue der Islamistin aus Pulsnitz

Berlin - Ob Linda W. demnächst wieder heimkehren wird nach Pulsnitz? Die Bürgermeisterin der sächsischen Kleinstadt hat da Zweifel. „Das muss zunächst mal der Irak mit seiner Staatshoheit entscheiden“, sagte Barbara Lüke am Freitag dieser Zeitung. „Dann wäre Deutschland an der Reihe. Eine Rückkehr nach Pulsnitz steht auf absehbare Zeit überhaupt nicht an.“

Die 17-Jährige war am Donnerstagabend in der ARD zu sehen, knapp eineinhalb Jahre nach ihrem Verschwinden aus dem Ort und ein Kopftuch tragend. Zunächst umarmt sie Mutter und Schwester, die gemeinsam mit den Journalisten in die irakische Hauptstadt gereist sind. Kurz darauf sagt sie: „Ich weiß nicht, wie ich auf so eine dumme Idee kommen konnte, zum IS zu gehen. Ich habe mir mein Leben damit ruiniert." Und mit Waffen – nein, mit Waffen habe sie nie etwas zu tun gehabt. Manchen ist das zu glatt.

Zwar war Linda W. gerade mal 16, als sie ihrer Mutter daheim einen Zettel hinterließ mit der Botschaft, dass sie bei einer Freundin übernachte. Als das Mädchen verschollen blieb, stellte ihre Familie fest, dass es über Frankfurt nach Istanbul geflogen war und sich von dort wohl auf den Weg gen Syrien gemacht hatte – in das Hoheitsgebiet des selbst ernannten „Islamischen Staates“. Die Familie hörte anschließend lange nichts – bis eine SMS kam, in der auch eine Botschaft an den mutmaßlich mitlesenden Verfassungsschutz enthalten war. „Ein paar Worte an Euch dreckige Hunde“, stand da. „Es werden noch viele, viele Anschläge folgen.“ Dazu forderte das Mädchen die Mutter auf, sie solle es „nicht zuheulen“. Beide hatten sich zerstritten. Das alles klang nicht nach unschuldigem Teenager, sondern nach Härte und Überzeugung.

700 Frauen aus Europa waren ins IS-Gebiet gereist

Nach dem, was man weiß, lebte Linda W. zunächst in der IS-Hauptstadt Raqqa in Nordsyrien. Später lebte sie im nordirakischen Mossul, wo Sicherheitskräfte sie im Sommer festnahmen und nach Bagdad brachten. Seither steht auch die Frage im Raum, was mit dem Mädchen geschehen soll.

Richtig ist, dass darüber zunächst die Iraker zu befinden haben. Und die haben es nicht nur mit Linda W. zu tun, sondern mit zahlreichen ähnlichen Fällen. 700 Frauen allein aus Europa seien ins IS-Gebiet gereist, heißt es. Und mindestens sechs weitere deutsche mutmaßliche IS-Anhängerinnen säßen derzeit in irakischen Gefängnissen, einige von ihnen mit Kindern.

Richtig ist zudem, dass die deutschen Sicherheitsbehörden nicht unbedingt begeistert sind angesichts des Sicherheitsproblems, das sich womöglich ergibt – auch wenn Deutschen die Rückkehr prinzipiell nicht verwehrt werden kann. So ermittelt die deutsche Justiz gegen Linda W. Einen Haftbefehl gibt es indes nicht. In Sicherheitskreisen überwiegen vielmehr die warnenden Stimmen – nicht bloß mit Blick auf rückkehrende Frauen, sondern auch auf Kinder und etwaige Anschläge hier. Generalbundesanwalt Peter Frank will schließlich weibliche Mitglieder des IS künftig ebenso bestrafen wie männliche – „weil“, wie er in der ARD sagte, „diese Frauen die innere Struktur des sogenannten Islamischen Staates und damit dieser Terrororganisation stärken". Darüber hat der Bundesgerichtshof zu entscheiden.

IS-Rückkehrerin Linda W. aus Pulsnitz: Die Frage nach dem Kopftuch beschäftigt die Menschen in ihrer Heimat

Bei Linda W. machen sich die Zweifel nicht zuletzt an ihrer Person fest. Die Pulsnitzer Bürgermeisterin sagt: „Hier fragen sich manche, warum Linda W. immer noch Kopftuch trägt, wenn sie sich doch so distanziert hat.“ Sie betont, dass ein Kopftuch ein islamisches Glaubenszeichen sei und mit islamistischem Terror nichts zu tun habe. „Aber es wäre für uns leichter, wenn sie kein Kopftuch getragen hätte.“ Insgesamt sei es „für alle Beteiligten wahnsinnig schwer, nachzuvollziehen, was in Linda vorgeht“.

Der Freiburger Politologe und Islamismus-Experte Heiner Vogel, der den Blog Erasmus Monitor betreibt, hat ein klares Urteil. Er sagte dieser Zeitung: „Ich halte die Distanzierung nicht für glaubhaft, auch wenn das Mädchen noch so jung ist. Sie wird vom IS massiv beeinflusst worden sein. Und sie hat nicht besonders traumatisiert gewirkt.“ Linda W. habe stattdessen wohl sehr genau „gewusst, was von ihr erwartet wird, damit sie nach Hause zurückkehren kann. Ihr Verhalten resultiert aus Berechnung.“ Grundsätzlich ist der Politologe der Meinung: „Diese Leute haben sich einer Terrororganisation angeschlossen. Und jeder muss für sein Handeln Verantwortung tragen.“

Vogel erinnert der Auftritt von Linda W. an Berichte aus der Nachkriegszeit. Damals hätten auch alle behauptet, dass sie mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun gehabt hätten – obwohl es nicht stimmte.