Medizinstudium: Der Numerus clausus verliert seine Macht
Einst war er groß und mächtig. Doch nun geht seine Zeit langsam zu Ende. Am Dienstag hat das Bundesverfassungsgericht das auf ihm beruhende Verfahren sogar als „zum Teil verfassungswidrig“ bezeichnet. Die Rede ist vom bundesweiten Numerus clausus, kurz: NC. Übersetzt bedeutet der Begriff „geschlossene Zahl“. Er steht für die Zulassungsbeschränkung zu Studienfächern.
Geboren wurde der bundesweite Numerus clausus 1972. In den 50er- und 60er-Jahren nämlich hatten sich die Studentenzahlen in der Bundesrepublik mehr als verdoppelt. Es gab zu wenige Plätze. In ihrer Not beschränkten die Unis die Zulassung – zum Teil willkürlich. Um ein einheitliches Auswahlverfahren zu erreichen, erließ das Verfassungsgericht 1972 das Numerus-clausus-Urteil.
Und zwar für überrannte Fächer wie Medizin, Psychologie, Pharmazie und Architektur. Der mächtige NC bekam sogar eine eigene Festung, die Zentralstelle für Studienplatzvergabe. Sie lenkte die Studentenströme. Hier mussten sich alle Interessenten bewerben. Und wehe, jemand kam eine Minute zu spät. Dann fielen die Zugbrücken, ohne Gnade.
Kapazitäten nicht ausgeschöpft
Den ersten Machtverlust erfuhr der bundesweite NC mit der Föderalismusreform 2006. Von nun an sollten die Bundesländer und auch die Hochschulen selbst über die Studentenauswahl entscheiden. Es entstanden lauter lokale NCs. Das bundesweite Verfahren gilt seitdem nur noch für Medizinfächer und Pharmazie.
Hier werden 20 Prozent nach der Abiturnote, 20 Prozent nach der Zahl der Wartesemester und 60 Prozent über ein Auswahlverfahren an den Unis vergeben. Medizin ist sehr begehrt, auf bundesweit 9200 Studienplätze in diesem Wintersemester kamen 43.200 Bewerber.
Das, was der bundesweite NC erreichen sollte, hat er jedoch nur bedingt erreicht: bundesweit den Gleichheitsgrundsatz durchzusetzen. Die zentrale Studienplatzvergabe, unter der Hand gehässig „Kinderlandverschickung“ genannt, wurde schon immer ausgetrickst und unterlaufen. Viele akzeptierten erstmal Studienplätze an eher unattraktiven Uni-Orten wie Gießen oder Bochum und versuchten so schnell wie möglich nach Freiburg, Tübingen, München und Berlin zu wechseln.
Andere klagten vor Gericht, weil eine Uni angeblich ihre Kapazitäten nicht ausgeschöpft habe. Die nächsten studierten einfach im Ausland Medizin – ohne NC und Wartezeit und hofften auf die Anerkennung. So machen es auch heute viele, die reichere Eltern haben. In Polen zahlt man dafür 9000 bis 11.000 Euro pro Jahr. Auch dies fördert nicht gerade den Gleichheitsgrundsatz.