Mehr Schulden wagen! Warum Christian Lindner uns alle ärmer macht

Der Finanzminister will die Politik auf Pump beenden. Unser Kolumnist Maurice Höfgen erklärt, warum die Rückkehr zur Schuldenbremse gefährlich ist.

<strong>Maurice Höfgen, Ökonom und Betriebswirt</strong>
Maurice Höfgen, Ökonom und BetriebswirtPrivat

Sichtlich erschöpft, aber zufrieden tritt er Anfang Juli vor die Kameras der Bundespressekonferenz. Finanzminister Lindner hat einen Marathon hinter sich. Einen Verhandlungsmarathon. Um die Schuldenbremse ab 2023 wieder einzuhalten, musste er anderen Ministern ihre Wünsche ausreden. Aber der Aufwand habe sich gelohnt – zumindest aus Lindners Sicht.

Um den Ruf des liberalen Schuldenmachers loszuwerden, will er nächstes Jahr unbedingt zurück zur Schuldenbremse. Schließlich ist er auch FDP-Chef. Als solcher ist der Ruf des Schuldenmachers denkbar schlecht. In der Opposition wäre er gegen seine eigene Finanzpolitik auf die Barrikaden gegangen. Mit diesem Doppelleben soll jetzt aber Schluss sein.

Keine Politik auf Pump mehr, kündigt Lindner in der Pressekonferenz entschlossen an. Das heißt: Keine neuen Entlastungspakete bis zum Jahresende, und 50 Milliarden Euro weniger für den Staatshaushalt nächstes Jahr. Staatliche Sparsamkeit sei sein Beitrag gegen Inflation und für Wirtschaftswachstum. Vor lauter Sparwut übersieht Herr Lindner seine eigenen Widersprüche.

Inflation lässt sich nicht wegsparen

Lindners Masterplan steht auf wackeligen Füßen. Haushaltskürzungen können nur helfen, wenn die Wirtschaft brummt und die Leute so viel Geld ausgeben, dass die Firmen mit der Produktion nicht hinterherkommen. Das ist aber mitnichten der Fall. Die Konsumstimmung der Verbraucher ist im Juni auf ein Rekordtief gefallen. Da Sprit, Strom und Butter teurer werden, müssen viele im Alltag bereits verzichten oder andere Ausgaben kürzen.

Dem Finanzminister sei an diesem Donnerstag eine tolle Hochzeit auf Sylt bei üppigem Buffet mit teuren Speisen wie Vitello Tonnato für 24 Euro und Maibockrücken für 48 Euro gegönnt. Er sollte aber nicht vergessen, dass es bei Millionen Menschen in diesem Land längst um Brot und Butter geht. Und je weniger die Verbraucher ausgeben, desto schlechter laufen die Geschäfte der Firmen. Die Zeichen stehen auf Wirtschaftskrise.

Die schlechte Nachricht: Das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht. Die gestiegenen Gaspreise sind von den Versorgern noch gar nicht auf die Kunden umgelegt worden. Deshalb steht zum Beispiel der Energieriese Uniper vor der Pleite. Wenn sich oberdrauf noch die Befürchtung bewahrheitet, dass Putin den Gashahn an der Pipeline Nord Stream 1 zudreht, dann wird’s so oder so noch teurer.

Um die Teuerwelle durch den Energiepreisschock zu brechen, gibt es zwei Wege. Einerseits kann der Staat die Kosten auf seine Rechnung nehmen und die Verbraucher über Zuschüsse oder Steuersenkungen entlasten. Das wäre Symptomlinderung. Andererseits kann er dafür sorgen, dass wir Energie günstiger beschaffen oder effizienter damit umgehen. Das wäre Ursachenbekämpfung und würde eine Investitionsoffensive bedeuten, etwa in Windparks, Solarflächen und energetische Gebäudesanierung. Für beide Wege müsste Lindner aber zu neuen Schulden bereit sein, und zwar jetzt. Je länger die Energiewende verschleppt wird, desto teurer wird sie später. Die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr haben gezeigt: Geld ist da, wenn der politische Wille da ist.

Wachstum fällt nicht vom Himmel

Das Beste wäre, aus der Inflation herauszuwachsen. Wo aber soll das Wachstum herkommen? Irgendwer müsste dafür mehr Geld ausgeben. Die Verbraucher können nicht, Christian Lindner will nicht – zumindest nicht in seiner Rolle als Finanzminister.

Genau das bräuchte es aber. Die Wirtschaft muss brummen, damit auch Firmen investieren und die nötigen Kapazitäten ausbauen. Steuererhöhungen nennt Lindner deshalb „Sabotage am Wirtschaftswachstum“. Zu Recht! Wer weniger Kaufkraft hat, kann weniger ausgeben. Das müsste er aber weiterdenken: Wenn höhere Steuern schlecht für das Wachstum sind, dann gilt das auch für die Rückkehr zur Schuldenbremse. Die 50 Milliarden, die Lindner 2023 weniger ausgibt, nimmt die Wirtschaft auch weniger ein. Sabotage am Wirtschaftswachstum!

Die meisten Kürzungen hat er Gesundheitsminister Lauterbach abgerungen. Bürgertests sind deshalb nicht mehr kostenlos und die Zusatzbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung steigen um 0,3 Prozentpunkte an. Macht zusammen rund als 8 Milliarden Euro an neuen Belastungen für Wirtschaft und Verbraucher. Obendrauf werden jetzt auch noch Kredite teurer, weil die Europäische Zentralbank den Zins erhöht. Ein Schritt, den Lindner begrüßt. Eigentlich müsste er aber sagen: „Sabotage am Wirtschaftswachstum!“

Bei der Ausgangslage fragt man sich: Wo sollen die Investitionsanreize und das Wachstum herkommen? Wie soll die Inflation weggehen? Die voreilige Rückkehr zur Schuldenbremse ist keine Antwort auf diese Fragen. Im Gegenteil: Die Schuldenbremse wird zum wirtschaftlichen Aderlass. Christian Lindner droht so vom Schuldenmacher zum Wirtschaftscrasher zu werden.

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Zur Person
Unser neuer Kolumnist Maurice Höfgen (26) ist Ökonom und Betriebswirt und derzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag tätig. Er ist Autor des Buches „Mythos Geldknappheit“, akademischer Vertreter der Modern Monetary Theory und YouTuber mit „Geld für die Welt“.