Istanbul - Es wird kein einfacher Besuch, den Bundeskanzlerin Angela Merkel an diesem Donnerstag in Ankara absolviert. Sie weiß, dass sie bei ihrer Visite mit einer Reihe heikler Forderungen konfrontiert werden wird, die sich zum Beispiel um die strafrechtliche Verfolgung und Auslieferung von Türken aus der Bundesrepublik drehen. Zudem steht sie unter dem Druck der Opposition, von Bürgerrechtsgruppen, aber auch von Kräften ihrer eigenen Partei, Menschenrechtsverletzungen in der Türkei anzusprechen.
Gegenseitige Vorwürfe
Die Bundeskanzlerin kommt zum ersten Mal seit dem gescheiterten Putschversuch von Teilen des Militärs im Juli vergangenen Jahres in die Türkei, auf dem Weg zum EU-Gipfel auf Malta, wo es am Freitag um die europäische Flüchtlingspolitik gehen wird. Vorgesehen sind Treffen mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Binali Yildirim. Nach Angaben von türkischen Medien soll es um das Flüchtlingsabkommen, die Lage in Syrien, den Kampf gegen den Terror, geheimdienstliche und wirtschaftliche Zusammenarbeit gehen.
Merkel will vor allem das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen absichern, um im bevorstehenden Bundestagswahlkampf keine unliebsamen Überraschungen zu erleben. Die türkische Seite hatte just in der vergangenen Woche wieder mit der Kündigung des Abkommens gedroht, nachdem der Oberste Gerichtshof Griechenlands entschieden hatte, acht nach dem Putschversuch geflüchtete türkische Armeeoffiziere nicht auszuliefern.
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Mit einem ähnlichen Szenario ist Deutschland konfrontiert. „Merkel muss unangenehme Fragen zum Terror beantworten“, titelte die regierungsnahe Zeitung Sabah am Mittwoch. Rund 40 in Nato-Einrichtungen stationierte türkische Soldaten, haben laut Medienberichten Asyl in Deutschland beantragt. Die Türkei wirft ihnen vor, in den Putschversuch verstrickt zu sein und der islamischen Gülen-Bewegung anzugehören, die sie dafür verantwortlich macht.
Die Offiziere bestreiten dies. Der türkische Verteidigungsminister Fikri Isik forderte Deutschland auf, „nicht mit dem Terror zu kooperieren“ und die Asylanträge der 40 abzulehnen. Andernfalls drohte er mit „ernsten Konsequenzen“. Merkels Sprecher Steffen Seibert erklärte daraufhin, Asylanträge seien für die Bundesregierung keine politische Frage, sondern eine Aufgabe der Asylbehörden und der Justiz.
Ankara wirft Berlin außerdem vor, Aktivitäten der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu dulden, obwohl diese auch in der EU als Terrorgruppe eingestuft wird. Zwar wurde kürzlich ein PKK-Gruppenleiter in Düsseldorf zu drei Jahren Haft verurteilt, doch die Türkei fordert noch härtere Maßnahmen. Schließlich wird sich Merkel Klagen darüber anhören müssen, dass der regierungskritische türkische Journalist Can Dündar kürzlich Ehrengast bei einem Neujahrsempfang des Bundesjustizministeriums war.
Vor allem der Zeitpunkt des Merkel-Besuchs stieß in Deutschland, aber auch in der Türkei auf Kritik. Wie schon vor den Parlamentswahlen im November 2015 bemängeln Kritiker, dass die Kanzlerin damit im Vorfeld einer Volksabstimmung Partei für die türkische Regierung und deren autoritären Kurs ergreife. Vermutlich am 9. April wird das Referendum über Verfassungsänderungen stattfinden, mit denen die Regierung ein exekutives Präsidialsystem einführen will, das Erdogan weitgehende Kontrolle über die Regierung, das Parlament und die Gerichtsbarkeit verleiht.
Wahlkampfhilfe?
„Die Bundeskanzlerin sollte anders als bei ihrem letzten Besuch in der Türkei, klare Worte zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit finden“, erklärte der Grüne Özcan Mutlu am Mittwoch. „Sie muss mit Worten und Taten verhindern, dass ihr Besuch als Unterstützung für das bevorstehende Verfassungsreferendum instrumentalisiert wird.“ Wie andere Bundestagsabgeordnete forderte er Merkel auf, Oppositionelle und Menschenrechtler zu treffen. Zuvor hatte der türkische Oppositionsführer und Chef der sozialdemokratische CHP, Kemal Kilicdaroglu, der Süddeutschen Zeitung gesagt, er werte Merkels Besuch als Wahlkampfhilfe für Erdogan.