Migrationskrise: Italien beschuldigt Wagner-Söldner, was steckt dahinter?
Die paramilitärische Gruppe Wagner würde Migranten absichtlich nach Europa leiten. Das behauptet die italienische Regierung – aber warum?

Es sind keine leichten Wochen an der italienischen Küste. Am 26. Februar 2023 kamen etwa 80 Menschen in der kalabrischen Stadt Cutro bei einem Schiffsunglück ums Leben, die Zahl der Toten könnte weiter steigen. Am vorigen Samstag ereignete sich eine weitere Havarie eines Flüchtlingsbootes mit mindestens 30 Toten vor der Küste Libyens.
Starke Kritik wurde an Giorgia Melonis Regierung geübt, die international für eine besonders harte Linie in Sachen Migration bekannt ist. Hilfskräfte wären zu spät im Einsatz gewesen, so die Anschuldigungen der Opposition. „Ich bin mir sicher, dass die italienischen Rettungskräfte niemanden in Not zurücklassen“, erwiderte Melonis Koalitionskollege Antonio Tajani.
Mit steigendem Druck machte sich die Regierung auf die Suche nach möglichen Schuldigen. Erst wurden Nichtregierungsorganisationen für den Tod der Menschen verantwortlich gemacht, dann waren es die Menschenschmuggler. Jetzt heißt es, dass die russische paramilitärische Gruppe Wagner schuld an den erhöhten Migrationsströmen sei.
Diese Theorie stammt von einem angeblichen Bericht der italienischen Geheimdienste. Nach Angaben des italienischen Innenministeriums wurden bis zum 13. März mehr als 20.000 Ankünfte von Bootsmigranten registriert. Zum Vergleich: 2021 und 2022 waren es jeweils rund 6000 Menschen gewesen.
Italiens Verteidigungsminister beschuldigt Gruppe Wagner
Der italienische Verteidigungsminister Guido Crosetto hat die Wagner-Gruppe für die Zunahme der Migrationsströme verantwortlich gemacht. „Ich glaube, dass der Anstieg der Migrationsströme aus Afrika auch Teil einer Strategie des hybriden Krieges ist, den die Wagner-Gruppe für Russland führt. Dazu benutzt sie ihre besondere Macht und ihren Einfluss in manchen afrikanischen Ländern“, behauptete der Verteidigungsminister Anfang der Woche in einem Schreiben.
Einige Stunden später antwortete der Wagner-Gründer Jewgeni Prigoschin persönlich: „Crosetto müsste sich mehr um seine eigenen Probleme kümmern, die er anscheinend nicht lösen konnte“, sagte Prigoschin. „Wir wissen nicht, was die Gründe für die Migrationskrise sind. Wir kümmern uns nicht darum, wir haben schon viele Sachen, um die wir uns sorgen müssen“, fügte der Oligarch hinzu. Dabei bezeichnete er den italienischen Verteidigungsminister als „mudak“, als „Schwachkopf“.
Wie sehen aber die Fakten aus? Ist die italienische Erklärung für den Zuwachs an Migration plausibel? Der italienische General Marco Bertolini hält die Theorie für unwahrscheinlich. Vierzig Jahre lang hat er im italienischen Militär gedient. In dieser Zeit leitete er das Spezialeinheiten- und Fallschirmspringer-Kommando. In Afrika wurde er während des somalischen Zivilkriegs eingesetzt, davor war er im Nahen Osten im Libanon stationiert.
Woher stammen die Migrationsströme von Afrika ins Mittelmeer?
Migration ist kein leicht zu erklärendes Phänomen. Besonders wichtig ist der Blick in die Geschichte, aber auch die Geografie spielt eine enorm wichtige Rolle. „Wenn wir über Migration von Nordafrika nach Europa reden, reden wir über Ströme, die von Tunesien und Libyen zu uns kommen“, erklärt General Bertolini der Berliner Zeitung. „Nach dem Krieg von 2011 wurde Libyen in zwei Teile geteilt: in Tripolitanien und Cyrenaika.“
Dann sagt er weiter: „Die Migrationsströme von Libyen kommen in einem kleineren Anteil aus Cyrenaika, aber hauptsächlich aus Tripolitanien. Tripolitanien ist nicht unter Kontrolle der russischen Kräfte. Ganz im Gegenteil, die Tripolitaner haben gegen General Haftar gekämpft, der mithilfe der Wagner-Gruppe nach Tripolis gelangen wollte. Die Wagner-Söldnertruppe hat erstens eine beschränkte Mannstärke und zudem ist sie in Cyrenaika stationiert, wo bis heute nicht viele Migranten herkommen“, so General Bertolini.
Der Krieg gegen Libyen hat das Land destabilisiert
Zudem zählen die Wagner-Kräfte laut Bertolini nur eine beschränkte Anzahl an Söldnern zu ihren Mitarbeitern, die in Afrika hauptsächlich als „Military Advisors“ tätig seien, also als Militärberater. Wagner habe in diesen Regionen keinen Anspruch auf die Kontrolle des Territoriums.
Und wie kam es zu diesen massiven Migrationsströmen im Mittelmeer? „Erstens haben sie nicht erst heute angefangen. Die Migration begann im Jahr 2011 mit dem bedauernswerten Krieg gegen Libyen“, erwidert der General. „Es kam zur Absetzung von Gaddafi und zu großen Nebenwirkungen für Italien, das vorteilhafte Abkommen mit Libyen geschlossen hatte“, betont Bertolini. „Dieser Krieg wurde von den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich vorangetrieben, also vom Westen und der Europäischen Union“, fügt der 69-Jährige hinzu.
Ist das alles ein Trick, um Ordnung in die Regierung zu bringen?
Einige zuverlässige Quellen vermuten, dass sich hinter der Aussage des Verteidigungsministers Crosetto der Versuch verbirgt, seinen Einfluss auf die Regierung auf Kosten von Matteo Salvini auszuweiten. Kurz gesagt: Die gesamte Einwanderungspolitik soll so von einem Mann von Präsidentin Giorgia Meloni übernommen werden, was Salvinis Rolle weiter beschneiden würde. Aber das ist ein schwieriges Unterfangen. Denn Salvini wird nicht tatenlos zusehen.