RAND Corporation: Diesen Krieg kann keiner gewinnen. Kehrt jetzt Vernunft ein?

Die US-Denkfabrik RAND Corporation rät zu Waffenstilstand und Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine. Grundlage ist eine schonungslose Militär-Analyse.

Washington: Joe Biden (l-r), Präsident der USA, Kevin McCarthy, Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Hakeem Jeffries, Minderheitenführer im US-Repräsentantenhaus, und Steve Scalise, Mehrheitsführer im US-Repräsentantenhaus, hören während einer Predigt beim Nationalen Gebetsfrühstück auf dem Capitol Hill zu. 
Washington: Joe Biden (l-r), Präsident der USA, Kevin McCarthy, Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Hakeem Jeffries, Minderheitenführer im US-Repräsentantenhaus, und Steve Scalise, Mehrheitsführer im US-Repräsentantenhaus, hören während einer Predigt beim Nationalen Gebetsfrühstück auf dem Capitol Hill zu. Foto: J. Scott Applewhite/AP/dpa

Die RAND Corporation, eine der einflussreichsten unabhängigen Denkfabriken in den USA, insbesondere in Bezug auf militärische und internationale Angelegenheiten, kommt in einer aktuellen Analyse zu dem Ergebnis, dass ein langer Krieg zwischen Russland und der Ukraine für die US-Interessen mehr Nachteile als Vorteile bringt. RAND ist eine Gründung aus dem militärischen Umfeld und der Rüstungsindustrie. Die Analysen der Denkfabrik stoßen in der Regel bei politischen, wirtschaftlichen und militärischen Entscheidern auf großes Interesse.

Die aktuelle Studie kritisiert, dass sich die politische Debatte in Washington „zu eng auf eine Dimension des Kriegsverlaufs konzentriert“. Die Interessen der Ukraine seien andere als die der USA. Während „die territoriale Kontrolle für die Ukraine immens wichtig“ sei, „ist sie für die Vereinigten Staaten nicht die wichtigste Dimension für die Zukunft des Krieges“.

Die Autoren Samuel Charap und Miranda Priebe kommen zu dem Schluss, „dass neben der Abwendung einer möglichen Eskalation hin zu einem Russland-Nato-Krieg oder einem russischen Nukleareinsatz auch die Vermeidung eines langen Krieges eine höhere Priorität für die Vereinigten Staaten haben“ als die Rückgewinnung der territorialen Kontrolle durch die Ukraine. Im Ergebnis sieht die Analyse zunächst einen Waffenstillstand und schließlich ein Abkommen zwischen den Kriegsparteien als die für die US-Interessen vorteilhafteste Lösung. Nachdem ein „absoluter Sieg“ einer der Parteien sehr unwahrscheinlich sei, sollten die aktuellen Frontlinien eingefroren werden.

RAND ist der Auffassung, dass eine realistische Frontline jene vom Dezember 2022 sei, bei der Russland also über etwa 20 Prozent des ukrainischen Territoriums bestimmen würde. Eine Rückkehr zu den Grenzen von vor dem russischen Angriff am 24. Februar hält RAND für nicht erstrebenswert, weil die Ukraine dann immer noch Gebiete verliert, jedoch keine Stabilität gewinnen würde. Die Grenze, die nach einem Waffenstillstand gezogen würde, würde „eine stark militarisierte Grenze“ nach dem Vorbild „der innerdeutschen Grenze während des Kalten Krieges sein“.

Nach dem Waffenstillstand sollten Verhandlungen aufgenommen werden, die darauf hinauslaufen könnten, dass die Ukraine neutral wird, aber „starke Sicherheitsgarantien“ vom Westen erhält. Es sollten auf der Grundlage des Istanbul-Kommuniqués politische und wirtschaftliche Vereinbarungen getroffen werden.

Die Denkfabrik ist der Auffassung, dass der endgültige Grenzverlauf vom Pentagon faktisch kaum beeinflusst werden könne. Die „Fähigkeit der USA zum Mikromanagement, wo die Grenze letztendlich gezogen wird“, sei stark eingeschränkt, „da das US-Militär nicht direkt an den Kämpfen beteiligt ist“. Mit der aktuellen Geschwindigkeit, mit der die ukrainische Armee Rückeroberungen bewerkstellige, könnte es „Monate, wenn nicht sogar Jahre“ dauern, bis die territoriale Integrität wieder hergestellt sei. Doch mehr Territorium bedeute nicht mehr Sicherheit. Diese könnte eher durch wirtschaftlichen Fortschritt auf einem kleineren Territorium erreicht werden.

RAND führt die Gefahr einer nuklearen Eskalation im Verlauf des Krieges als echte Möglichkeit an. Das Papier argumentiert, dass der Krieg in der Ukraine für Russland „nahe am Existenziellen“ sei. Russland habe trotz des hohen Preises nach den Krim-Sanktionen den Krieg weiter vorangetrieben und habe zu erkennen gegeben, dass es bereit sei, einen noch höheren Preis zu zahlen. Mit der Mobilmachung von 300.000 Mann habe Russlands Präsident Wladimir Putin gezeigt, dass er bereit sei, auch das Risiko sozialer Unruhen in Kauf zu nehmen. Es seit außerdem Teil der russischen Militärdoktrin, dass bei einer drohenden Niederlage in einem konventionellen Krieg auch taktische Nuklearwaffen eingesetzt werden könnten.

Das Risiko des Einsatzes von Nuklearwaffen sei „während eines Krieges wesentlich höher als in Friedenszeiten“. Die US-Regierung habe ihrerseits im Falle des Einsatzes von Nuklearwaffen durch Russland mit „katastrophalen Konsequenzen“ gedroht, was zu einem direkten Krieg zwischen der Nato und Russland führen würde. Dieses Szenario sei aus US-Sicht unbedingt zu vermeiden, weil es in einen „strategischen Atomkrieg“ münden würde. Ein solches Szenario könnte zum „Zusammenbruch der transatlantischen Allianz“ führen.

Die Eskalationsmöglichkeiten für Putin seien erheblich, da die „indirekte Verwicklung der Nato“ in den Krieg bereits jetzt „atemberaubend“ sei. Zwischenfälle wie jener in Polen im Herbst 2022 zeigten, dass auch Irrtümer einen Nuklearkrieg auslösen könnten. Übergeordnetes Ziel der US-Regierung bleibe, so RAND, der Wettstreit mit China. Auch wenn Russland als Verbündeter Chinas durch einen langen Ukraine-Krieg militärisch gebunden sei, sei es nicht im US-Interesse, dass Russland zu einem reinen Vasallen Chinas werde. Eine dauerhafte Schwächung Russlands stärke China, so die RAND-Analyse.

Außerdem könnte eine Achse zwischen dem Iran und Russland dazu führen, dass Moskau Teherans Bestreben, eine Atommacht zu werden, nicht mehr entschieden entgegentritt. Eine langfristige Feindschaft zwischen den USA und Russland würde außerdem dazu führen, das Washington keine Allianzen mit Moskau schließen könne – auch nicht zur Durchsetzung der eigenen Interessen. Darüber hinaus wäre die dauerhafte Beschädigung der Vereinten Nationen nicht im Interesse der USA, so die Studie.

Schließlich mahnen die Autoren die US-Regierung, neben dem militärischen Weg auch andere Wege zu beschreiten. Präsident Joe Biden habe gesagt, dass dieser Krieg am Verhandlungstisch enden werde, erinnern die Autoren: „Aber die Regierung hat noch keine Schritte unternommen, um die Parteien zu Gesprächen zu drängen.“ Obwohl es alles andere als sicher sei, dass eine Änderung der US-Politik Verhandlungen auslösen würde, könnten die RAND-Erkenntnisse Gespräche wahrscheinlicher werden lassen: „Wir identifizieren Gründe, warum Russland und die Ukraine gegenseitig Optimismus in Bezug auf Krieg und Pessimismus in Bezug auf Frieden haben.

Die Literatur zur Kriegsbeendigung legt nahe, dass solche Einschätzungen zu langwierigen Konflikten führen können. Daher heben wir vier Optionen hervor, die die Vereinigten Staaten haben, um diese Dynamik zu verändern: Klärung ihrer Pläne für die künftige Unterstützung der Ukraine, Verpflichtung zur Sicherheit der Ukraine, Zusicherung der Neutralität des Landes und Festlegung von Bedingungen für die Aufhebung der Sanktionen für Russland.“ Eine dramatische Änderung der US-Politik über Nacht sei „politisch unmöglich – sowohl im Inland als auch mit Verbündeten – und wäre in jedem Fall unklug“. Aber der Beginn der Debatte könnte den Krieg am Ende verkürzen, was im US-Interesse sei.  Die Alternative sei „ein langer Krieg, der die Vereinigten Staaten, die Ukraine und den Rest der Welt vor große Herausforderungen stellt“.


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