Mythos Bayern: Im „Freistaat“ steckt mehr als nur die CSU

Vielleicht haben die Umfrageinstitute einfach nur die falschen Leute angerufen. Nicht Markus Söder zum Beispiel. „Ich bin nicht gefragt worden“, hat der diese Woche gesagt, auf einer Wahlkampfveranstaltung. Er hat versichert, dass er „sofort eine gute Stellungnahme abgegeben“ hätte. Es war ein Witz, keine ernsthafte Beschwerde. Obwohl, vielleicht auch doch: Wenn es nur Söders geben würde in Bayern, dann wäre die Lage eine andere und noch nicht einmal sein fränkischer Dialekt ein Problem.

Aber so ist es eben nicht. Bayern ist nicht nur mehr als Söder, sondern ein gutes Stück vielfältig. So vielfältig, dass es nach der Landtagswahl vom Sonntag bis zu sieben Fraktionen geben könnte im Landtag. Schon das wäre ein Rekord. Und es ist außerdem ziemlich wahrscheinlich, dass künftig eine Koalition regiert, statt nur die CSU.

Das Ende eines politischen Sonderfalls

Der politische Sonderfall, in dem sich bis auf zwei Ausnahmen von insgesamt acht Jahren über Jahrzehnte eine Partei alleine an der Regierung halten konnte, wäre zum zweiten Mal binnen zehn Jahren und damit wohl ein für allemal beendet.

Den „Mythos Bayern“ stehe vor dem Aus, warnen sie in der CSU und eigentlich meinen sie den Mythos CSU. Sie trennen da nicht so.

Tatsächlich hat das Land ja ein sehr spezielles Eigenleben, nicht nur politisch, auch kulturell. Von außen ist Bayern Deutschland, zumindest optisch und kulinarisch: Lederhose, Dirndl, riesige Maßkrüge, Sepplhüte und Hofbräuhaus gelten im Ausland als Symbole für die gesamte Republik. Oktoberfeste gibt es auf der ganzen Welt, unter anderem in Qingdao (China), Blumenau (Brasilien), Kitchener (Kanada) und auf dem Roten Platz in Moskau.

Die Gleichsetzung der CSU mit Bayern könnte bald vorbei sein

Die CSU hat sich das zu Nutze gemacht. Sie hat sich mit Bayern gleichgesetzt, den trockenen Parteinamen dekoriert mit dem Synonym für Gemütlichkeit. Das Wort „Staatspartei“ prägte sich ein. Die CSU beanspruchte das Weiß-Blau der bayerischen Fahne und deren Rautenmuster. Sie übernahm einen der beiden Löwen aus dem bayerischen Staatswappen. „Löwe und Raute“, so heißt bis heute die Kantine in der CSU-Zentrale. Im CSU-Online-Shop gibt es Weißbiergläser mit Karo und Raubtier in „ätzweißem Aufdruck“. Füllmenge: 0,5 Liter.

In Bonn und später in Berlin war die CSU die kleine Schwesterpartei der CDU, zuhause warb sie mit dem Alleinvertretungsanspruch für das Land, mit der Fähigkeit nicht zum Ausgleich, sondern zur Kompromisslosigkeit. Im Bund trat sie als unbequemer Störenfried auf, zuhause waren die Störenfriede die anderen, die die CSU höhnisch zur Seite fegte, weil ohne sie ja nichts zu gehen schien.

Der bayerische Eigensinn hat tiefe Wurzeln

Dabei hat das Motto der Eigenständigkeit und des Eigensinns einst sogar ein Sozialdemokrat gesetzt. „Freistaat“ nennt sich Bayern bis heute stolz. Sachsen und Thüringen haben sich daran ein Vorbild genommen. Ausgerufen hat diesen „Freien Volksstaat“ vor 100 Jahren der Schriftsteller und Anführer der Novemberrevolution Kurt Eisner. Er war sein erster Ministerpräsident, vier Monate lang.

Königreich ist Bayern zuvor gewesen und auch diese Geschichte hat ihren Anteil an diesem Gefühl der bayerischen Besonderheit, genauso wie immer noch der widerwillige Beitritt zum preußisch dominierten Deutschen Reich 1871. Bayern behielt Post- und Eisenbahnrechte und eine eigene Armee. Das mit Hingaben gepflegte Feindbild „die Preußen“ blieb bis heute, genauso wie die Sehnsucht nach Abspaltung, die selbst in der CSU ab und an erhoben wird.

Es gibt den durchaus ernst gemeinten Verein der „Königstreuen“, der sich mit dem Bild des vorvorletzen Königs Ludwig II. schmückt. Der pflasterte das Land mit Schlössern wie Neuschwanstein voll und verlor dabei die Kontrolle über sich und die Finanzen deutlich aus den Augen. Erinnert wird an ihn liebevoll und bewundernd als „Märchenkönig“ und als „Kini“, mit schmucken Bildern aus seinen jüngeren Jahren in blauer Uniform und Hermelinmantel.

Um seinen Tod im Starnberger See ranken sich bis heute Verschwörungstheorien. War es Selbstmord oder Mord und Ende eines perfiden Komplotts?

Auch Wahnsinn lässt sich vermarkten.