Nach der Wahl in Lichtenberg: Echter Sieg der CDU oder Denkzettel an Geisel?

Berlins Bausenator Andreas Geisel verlor in seinem Lichtenberger Wahlkreis das Direktmandat. Nach der Wahl sind viele Anwohner unzufrieden – quer durch alle Parteien.

Für viele noch immer ein unbekanntes Gesicht: Trotzdem holte Lilia Usik von der CDU das Direktmandat in Lichtenberg mit 22,4 Prozent. 
Für viele noch immer ein unbekanntes Gesicht: Trotzdem holte Lilia Usik von der CDU das Direktmandat in Lichtenberg mit 22,4 Prozent.

Ob sie mit dem Wahlergebnis zufrieden sei? Bärbel Funke-Schindler, 82, ruft: „Um Gottes Willen, überhaupt nicht!“ Unter einer CDU-geführten Regierung würden laut ihr viele Fortschritte wieder rückgängig gemacht werden. Außerdem, aber das sei nur ihre subjektive Wahrnehmung, war sie immer ein Fan von Franziska Giffey.

Für den SPD-Politiker ihres Wahlkreises hat sie allerdings keine warmen Worte übrig: „Andreas Geisel hat die Bebauung des Ilse-Kiezes unterstützt, damit bin ich wie viele andere Bürger nicht einverstanden“, sagt sie. Das heiße aber nicht, dass man wegen ihm aufhören sollte, SPD zu wählen.

Nur insgesamt vier Direktmandate konnte Franziska Giffeys Partei bei der Wiederholungswahl des Abgeordnetenhauses für sich entscheiden. Auch Berlins Bausenator Andreas Geisel verlor sein Direktmandat, das er 2021 noch mit 27 Prozent in seinem Wahlkreis in Lichtenberg gewonnen hatte. Den Sieg holte überraschenderweise die CDU, die mit Kandidatin Lilia Usik die Linke und die SPD überholte und sich 22,4 Prozent der Wählerstimmen sicherte. 

Bärbel Funke-Schindler bedauert die Verluste der SPD, konnte aber mit dem Kandidaten ihres Wahlkreises nichts anfangen.
Bärbel Funke-Schindler bedauert die Verluste der SPD, konnte aber mit dem Kandidaten ihres Wahlkreises nichts anfangen.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Im Wahlkreis Lichtenberg 6, der sich aus den Stadtteilen Rummelsburg und Karlshorst zusammensetzt, herrschten am Montagmorgen nach der Wahl gemischte Gefühle. Von Erleichterung, dass die CDU am Zuge ist, über bittere Enttäuschung aufgrund der Einbußen der SPD bis hin zur Gleichgültigkeit ist alles dabei. „CDU oder SPD, ist doch alles scheißegal“, sagt Fred Schienitzki, seit jeher konsequenter Nichtwähler. Er würde erst anfangen zu wählen, wenn die Politiker aufhörten zu lügen, also nie.

Für Andreas Geisel hat an diesem Morgen niemand in seinem Wahlkreis Mitleid übrig. „Er hätte damals zurücktreten müssen“, sagt der Lichtenberger Bert Knorr. Geisel wurde als damaliger Innensenator hauptsächlich für das Wahlchaos verantwortlich gemacht. Knorr ist 81 und besonders beunruhigt über Deutschlands Einmischung in den Ukraine-Krieg. Seit Jahren wähle er links, obwohl ihn auch die Partei nicht hundertprozentig überzeuge, sie sei ihm zu zerstritten. „Die meisten Leute, die so alt sind wie ich, haben die CDU gewählt“, sagt er, „weil sie die Zustände von früher behalten wollen.“ Unter Rot-Rot-Grün hätte die Bevölkerung die letzten Jahre einfach zu viele Krisen erlebt. 

Bert Knorr wählt links, allerdings stört ihn die Zerstrittenheit der Partei.
Bert Knorr wählt links, allerdings stört ihn die Zerstrittenheit der Partei.Markus Wächter/Berliner Zeitung

In Karlshorst ist nicht viel los auf den Straßen, der Berliner Himmel ist grau, noch dazu nieselt es. Von euphorischem Neuanfang ist hier nichts zu spüren. Spricht man Leute auf Lilia Usik an, wissen viele erst nicht, wer sie ist. Die einzige Frau, die offen sagt, dass sie CDU gewählt hat, möchte anonym bleiben. „Ich habe die CDU gewählt, weil mir Sicherheit und Ordnung sehr wichtig sind.“ Von allen Parteien glaube sie, dass die CDU das am meisten garantieren könne. Über Lilia Usik verliert sie kein Wort, sie wähle jedenfalls nicht immer die CDU, dieses Jahr wegen der „Umstände“, sagt sie. Meint sie Silvester? Deutlicher will sie nicht werden.

Das Wahlkreuz von Antje G. wanderte über die Jahre auch quer über den Stimmzettel, mittlerweile könne sie keiner etablierten Partei mehr etwas abgewinnen. Früher wählte sie die SPD, im letzten Jahr vergab sie ihre Stimme an die Tierschutzpartei. „Dieses Jahr habe ich AfD gewählt“, sagt sie, „das fiel mir nicht leicht, aber mittlerweile fühle ich mich von ihnen vertreten.“ Das habe sie nie gedacht, doch die AfD sei die einzige Partei, die noch Klartext reden würde. Die Extrempositionen mancher Politiker wie Bernd Höcke teile sie nicht, solche gebe es aber auch in jeder anderen Partei. Dass für Lichtenberg in Zukunft eine Repräsentantin der CDU im Abgeordnetenhaus sitzt, befürwortet Antje G. Sie hoffe stark auf einen politischen Wechsel in Berlin. 

David Hinzmann, 24, ist eher besorgt über die aktuellen Entwicklungen. Wir treffen ihn nahe der S-Bahn-Station Karlshorst, allerdings liegt sein Wahlbezirk in Pankow. Er sieht den hohen Stimmanteil für die CDU als Zeichen einer Protestwahl, die große Unzufriedenheit ausdrücke. Parteien wie die Grünen, die mit ihrem Programm Leute außerhalb des Rings nur schwer abholten, konnten dadurch keine Stimmen für sich gewinnen. „Die CDU hat zudem viele praktische Punkte angesprochen, zum Beispiel Verbesserung der Termine im Bürgeramt“, sagt Hinzmann, „das ist keine politische Botschaft per se, aber jeder, der in Berlin wohnt, hat damit eine Erfahrung gemacht.“ Da Berlin die letzten 20 Jahre SPD-geführt war, fielen solche Probleme auch auf diese Partei zurück, genau wie die Wiederholung der Wahl.  

Gleich mehrere Bürgerinnen und Bürger betonten eben den Protestgedanken hinter der Wahlentscheidung CDU. Ob Lilia Usik genau davon profitierte und das ihre plötzliche Beliebtheit erklärt? Plus 10,8 Prozentpunkte hat sie seit der letzten Wahl dazugewonnen. Die Bürger ihres Wahlkreises können an jenem Morgen allerdings nicht viel Konkretes über ihre neue Direktkandidatin sagen. 

David Hinzmann ist mit dem Wahlergebnis nicht zufrieden, kann sich aber erklären, woher die Verstimmung kommt.
David Hinzmann ist mit dem Wahlergebnis nicht zufrieden, kann sich aber erklären, woher die Verstimmung kommt.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Geisel kennt hier jeder, doch der hat in den letzten anderthalb Jahren den Groll einiger Karlshorster und Rummelsburger auf sich gezogen. „Mit dem Wechsel der CDU bin ich sehr einverstanden“, sagt Sabine Müller. „Herr Geisel wohnt seit 20 Jahren hier, seine Kinder gehen hier zur Schule, und nichts passiert.“ Er habe seine Chance gehabt, den Lichtenbergern helfe nur noch ein Wechsel. „Geisel sitzt Probleme einfach aus: Hier fehlen seit acht Jahren Grundschulen.“ Sie endet mit den Worten, die die Meinung vieler Berliner zusammenfassen: „So geht’s nicht weiter.“