Nach Rücktritt von Stanislaw Tillich wird Michael Kretschmer Ministerpräsident von Sachsen
Noch so eine Überraschung: Michael Kretschmer, 42, soll im Dezember Ministerpräsident von Sachsen werden.
Nachdem Stanislaw Tillich am Mittwoch nach neun Jahren entnervt und holterdipolter aufgab, darf nun der Mann mit den „jüngeren Händen“ ran, wie Tillich den Görlitzer Ex-Bundestagsabgeordneten beschrieb. Ein Wahlverlierer soll es richten, einer, der am 24. September aus allen Wolken fiel, weil ihm ein eher unbekannter Anstreicher mit AfD-Parteibuch lässig das sicher geglaubte Direktmandat abnahm.
Aber wer sonst als Kretschmer? Er war immer der Kronprinz und das Supertalent. Bis zum Crash, seiner Wahlniederlage. Nun gibt er den immer noch talentierten Notnagel. Sachsens CDU, seit 1990 an der Regierung, ist arm an vorzeigbaren Führungsfiguren. Thomas de Maiziere, den Noch-Bundesinnenminister, zog es nie zurück nach Sachsen, auch wenn er in Meißen seinen Wahlkreis hat.
Kretschmer gilt als ausreichend neu und ist gleichzeitig alt genug, um eng vertraut zu sein mit den Ärgernissen, die sich seit Jahren im Land aufstauen. Er ist seit zwölf Jahren der CDU-Generalsekretär, von 2002 bis 2017 war er im Bundestag. Er war der jüngste sächsische Abgeordnete damals, so jung und wuschelköpfig, dass Helmut Kohl ihn mal als Pumuckl anfrotzelte.
Kretschmer soll Sachsens CDU wiederbeleben
Im Bundestag machte sich Kretschmer einen Namen als Strippenzieher, als engagierter Abgeordneter, Schwerpunkt Wissenschaft und Hochschulen, der immer das beste für Sachsen herausholen wollte. Sein Sprache ist klar, er ist umgänglich, ein angenehmer Gesprächspartner und weiß sich darzustellen. Ursula von der Leyen fand einmal, er sei ein „hochinteressanter“ Politiker. Nun soll er in Dresden Hoffnung tragen.
Sachsen ist für ihn ein politisches Labor, eine Hexenküche, in der sich früher als anderswo in Deutschland Dinge und Tendenzen abzeichnen, die dann stilbildend für alle werden. Nach Tillich, der überfordert abtrat, ist Kretschmer nun der neue sächsische Laborant: Er muss gegen die Orientierungslosigkeit innerhalb seiner CDU, gegen das Gefühl der Werte-Losigkeit, die Bürgerwut vor allem in den Dörfern entlang der Grenze, gegen die Furcht vor der AfD, die 27-jährige Sprachlosigkeit und den Untertanengeist innerhalb der CDU, gegen all das soll er nun einen Zaubertrank destillieren, um Sachsens niedergeschlagene CDU wiederzubeleben.
Kretschmer hat Höllenjob vor sich
Er weiß auch, wie er den Ton derer treffen kann, die Kanzlerin Merkel längst für eine angegrünte Sozialdemokratin halten. Ungarns Bau eines Grenzzauns gegen Flüchtlinge? Eine gute Sache. Adoptionsrecht für Homosexuelle: „Ich finde, es reicht mal.“ Und manchmal sagt er auch gar nichts, wo vielleicht ein Wort angebracht gewesen wäre wie vor Jahren, als die CDU in der Sächsischen Schweiz mit allen Strophen des Deutschlandliedes daherkam.
Sollte er tatsächlich im Dezember zum CDU-Landesvorsitzenden und im Dresdner Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt werden, hat er einen Höllenjob vor sich. In zwei Jahren ist Landtagswahl. Tillich hat dem gelernten Informationselektroniker und Wirtschaftsingenieur ein Gebirge aus unerledigtem Zeug hinterlassen. Sachsen ist zwar Deutschlands sparsamstes Bundesland, ein Ruhm, auf den Kretschmer jetzt aber gerne verzichten würde: Es fehlen seit Jahren Lehrer und Polizisten, etwas, das Menschen auf die Palme treibt, weil die Landesregierung ihre Sorgen arrogant ignorierte. Tillich hat Kretschmer solideste Finanzen hinterlassen, aber noch mehr Ärger über all das, was jahrelang verschlafen wurde.
Nun will der Neue umsteuern und ein Ministerpräsident aller Sachsen werden. Er hat Zeit bis 2019, dann ist Landtagswahl. In Sachsen gerne auch: Tag der Abrechnung.