Eine Mehrheit für linke Politik in Berlin ist möglich – wenn man sie nur will

In Berlin gibt es eine klare linke Mehrheit, die sich leider auf drei Parteien verteilt, klagt unser Autor. Ein Gastkommentar.

Vermutlich sitzt demnächst Kai Wegner von der CDU wieder im Chefsessel, dabei gäbe es eine klare linke Mehrheit in der Stadt. 
Vermutlich sitzt demnächst Kai Wegner von der CDU wieder im Chefsessel, dabei gäbe es eine klare linke Mehrheit in der Stadt. dpa-Zentralbild

Die Parteilinke in der Berliner SPD würde gern weiter mit Grünen und Linkspartei regieren. Schön. Nur ihre Noch-Chefin Franziska Giffey will lieber eine Koalition mit Berlins notorisch rechtslastigen CDU, die gezeigt hat, dass man in Berlin mit Autos und Rassismus eine Wahl gewinnen kann, wenn die jungen Leute nicht wählen gehen. Toll.

Vermutlich ist die Berliner SPD-Linke, in der man über die Linkspartei-Senator:innen Katja Kipping und Klaus Lederer in höchsten Tönen schwärmt, einfach in der falschen Partei. Wobei in der falschen Partei zu sein in Berlin ein bisschen normal ist.

Die Linkspartei hat nur deshalb in der Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus so wenig Federn gelassen, weil sie sich im Wahlkampf demonstrativ von der Bundespartei abgrenzte. Und auch die Berliner Grünen, die bei der Wahl mit einem blauen Auge davonkamen, sind weder Habeck noch Baerbock – auch sie stehen links der deutschen Norm, in dem Fall der grünen.

Was es derzeit in Berlin eigentlich bräuchte, wäre eine linke Einheitspartei, die endlich politisch auf das ganze lästige Umland zwischen Oder und Rhein und seine unerträgliche Altbackenheit keine Rücksicht mehr nehmen müsste. Die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen hat es vorgemacht, wie sich eine Mehrheit für linke Politik in Berlin herstellen lässt – wenn man sie nur will.

Beim zeitgleich zu den Abgeordnetenhauswahlen abgehaltenen Volksentscheid war die Anzahl derer, die für Enteignung und Vergesellschaftung von großen Wohnungsunternehmen stimmten, höher als die Summe der Zweitstimmen für SPD, Grüne und Linkspartei zusammengerechnet – eine sehr solide Mehrheit.

Noch solider wäre diese Mehrheit wohl, wenn auch jene mehr als 20 Prozent der mangels deutscher Staatsangehörigkeit nicht wahlberechtigten über 18-Jährigen in Berlin wählen dürften. Jede:r fünfte Berliner:in! Das ist nicht nur grotesk undemokratisch, für eine Stadt, die so sehr von ihrer Diversität profitiert und so viel auf ihre Weltoffenheit gibt wie Berlin, ist das einfach nur unanständig.

Das Potenzial für eine linke Politik ist in der Stadt demnach nicht nur da, es ist noch nicht einmal voll ausgeschöpft und wäre gewaltig. Statt es freizusetzen, jagen sich die drei großen (mehr oder weniger) linksgerichteten Parteien sich noch regelmäßig jene Stimmen gegenseitig ab, die sie nicht vergraulen. Nun stehen sie vor dem vermeidbaren Schlamassel eines CDU-Wahlsiegs.

Schuld daran ist, wie immer, vor allem die SPD, deren Berliner Lokalgrößen dieses durchaus historische Linksbündnis einfach nie richtig wollten. Die Spaltung der linken Kräfte in Deutschland 1918 beziehungsweise 1968 und das Versagen, diese drei Strömungen nach 1989 wieder in ein gemeinsames Projekt zu überführen – eine deutsche Tragödie in drei Akten.

Die Berliner:innen bekommen dieses Schauspiel nun fast täglich als Farce vorgeführt. Die deutsche Sozialdemokratie und ihre ungewollte Nachkommenschaft nach den großen und weniger großen Zerwürfnissen des 20. Jahrhunderts wieder zusammenzuführen, zumindest auf Berliner Landesebene – das hätte Giffeys Vermächtnis sein können. Wie dies in Zukunft wieder gelingen könnte, bleibt die Frage.


Carl Melchers ist promovierter Politologe. Er forscht an der Hochschule Wirtschaft und Recht Berlin über die Wirksamkeit von Verboten rechtsextremer Vereinigungen.


Die Redaktion der Berliner Zeitung steht für Debatte und Debattenkultur. Dies ist ein Gastbeitrag. Die Meinung des Autors muss nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln.