„Nein heißt Nein“-Reform : Monika Frommel: „Es wird häufig nicht mehr zu Verhandlungen kommen“

Berlin - Die Rechtswissenschaftlerin Prof. Dr. Monika Frommel spricht im Interview über den „Fall Lohfink“ und kritisiert die geplanten Änderungen im Sexualstrafrecht.

Frau Frommel, im Fall Gina-Lisa Lohfink steht ein Urteil aus. Frau Lohfink sitzt wegen falscher Verdächtigung selbst auf der Anklagebank. Wie haben Sie als Rechtswissenschaftlerin den Prozess verfolgt?

Frau Lohfink hat wohl eine Falschanzeige gegen zwei Männer getätigt. Diese beiden Sexualpartner haben eine nicht genehmigte und geschickt geschnittene Videoaufnahme in Umlauf gebracht, die sicher das Persönlichkeitsrecht von Frau Lohfink verletzt hat. Dafür sind sie auch bestraft worden. Die insgesamt elf beschlagnahmten Videos ergeben nach Prüfung eines Sachverständigen und nach der Einschätzung der Strafverfolgungsbehörden, dass sie sicher nicht unter KO-Tropfen gestanden hat, mit dem Sex einverstanden war und nur „nein“ zur Film- Aufnahme gesagt hat. 

Frau Lohfink sieht das etwas anders…

Ihr Anwalt hat das so dargestellt, was nicht für den Anwalt spricht.

In Zukunft soll der Grundsatz „Nein heißt Nein“ im Sexualstrafrecht verankert werden. Es soll noch vor der Sommerpause durch den Bundestag gehen. Wie beurteilen Sie die Verschärfung des neuen Gesetzes?

Der alte Entwurf aus dem Justizministerium war schon schlecht. Der hätte wirklich erhebliche neue Lücken aufgeworfen. Lücken, die es im geltenden Recht bei verfassungskonformer Auslegung nicht gibt. Die Gesetzgebung hätte sich Zeit lassen müssen, um sich umfassend mit Experten zu beraten. Es gibt ja eine Expertenkommission, deren Ergebnisse aber nicht abgewartet wurden.

Der nun eingebrachte Änderungsantrag der SPD würde dazu führen, dass ein Großteil der Verfahren vermutlich schon im Ermittlungsverfahren gegen Geldbuße eingestellt wird. Es soll ein Vergehenstatbestand normiert werden, was zur Folge hat, dass die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Beschuldigten nach dem Opportunitätsprinzip einstellen kann, wenn die Fälle schwierig sind, was bei Beziehungsdelikten häufig der Fall ist.

„Dieser neue Gesetzesentwurf ist paradox“

Das müssen Sie erklären…

Sehr viele Delikte, die angezeigt werden, sind äußerst unklar. Deswegen gibt es viele Einstellungen und Freisprüche. Die Staatsanwaltschaft wird künftig das Opportunitätsprinzip nutzen und den Beschuldigten ein Angebot machen, gegen Zahlung eines Geldbetrags der Einstellung zuzustimmen. Ich würde annehmen, dass es fast kein Beschuldigter auf eine öffentliche Verhandlung wegen eines Sexualdeliktes ankommen lässt; denn schon das Ermittlungsverfahren ist für ihn äußerst belastend. Dieser neue Gesetzesentwurf ist paradox: man schafft einen Vergehenstatbestand und widerspricht damit dem Ziel, dass Sexualdelikte in einer öffentlichen Verhandlung geklärt werden. Zu solchen Verhandlungen wird es künftig häufig nicht mehr kommen.

Nach bisherigem Recht reicht ein klares „Nein“ nicht aus…

Das wird auch zukünftig nicht reichen. Der entgegenstehende Wille muss auch nach diesem Entwurf offensichtlich sein. Wir werden auch nach den neuen Bestimmungen Beweisproblem haben. Es wird sich daran praktisch überhaupt nichts wesentlich ändern. Die Staatsanwaltschaft wird daher die schwierigen Verfahren abkürzen und vorschlagen gegen Geldbuße einzustellen.

Wäre das nicht eine Art Schuldeingeständnis, wenn sich der Beschuldigte darauf einlässt?

Eben nicht. Wenn ein Beschuldigter einer Einstellung aus Opportunitätsgründen zustimmt, ist das kein Schuldeingeständnis: Er gilt nicht als vorbestraft, er muss sich nicht einer öffentlichen Verhandlungen stellen. Welcher Mann möchte gerne so in die Öffentlichkeit gezerrt werden? Davon abgesehen: Der „In dubio pro reo“-Grundsatz wird natürlich hier faktisch mit Füßen getreten. Der Beschuldigte ist in einer Zwangslage, selbst wenn er unschuldig ist, wird er eher diese Geldbuße bezahlen.

Diese oft angesprochene Gesetzeslücke im Sexualstrafrecht sehen Sie also nicht?

Richtig. Offenbar sind einige davon sogar fantasiert worden. Nehmen wir die offenkundig falsche These, eine Frau müsse sich wehren. Keine Frau muss sich in einer Situation, in der Gegenwehr sinnlos ist,  oder in der sie nur eingeschränkt widerstandsfähig ist, körperlich wehren. Entweder liegt eine sexuelle Nötigung oder ein sexueller Missbrauch vor.

Es sei denn, die Situation ist so unklar, dass die Frau aus Sicht des Gerichts ambivalent gehandelt hat. Wenn eine Staatsanwaltschaft oder ein Gericht zu der Einschätzung gelangt, dass es sein kann, dass sie zwar „Nein“ gesagt hat, aber nicht beim „Nein“ geblieben ist, dann muss heute und auch nach der geplanten Gesetzeslage nach dem Grundsatz „In dubio pro reo“ eingestellt oder frei gesprochen werden. Das lässt sich auch nach dem neuen Vergehenstatbestand nicht vermeiden.