Neonazi-Zelle Zwickau: Wie die Neonazis unbeachtet durchs Leben gingen
Zwickau - Es ist keine große Wohnung. Gerade mal 77,33 Quadratmeter Wohnfläche weist der Mietvertrag aus, unterteilt in vier Zimmer, eine Küche, ein Bad mit Dusche und einen langen Flur. Fast sieben Jahre lang haben hier, im Erdgeschoss der Zwickauer Polenzstraße 2, Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gewohnt. Vom 1. Mai 2001 bis zum April 2008.
Sieben Jahre, in denen sie neun Menschen erschossen, zwei Bombenanschläge verübt und mehrere Banken überfallen haben sollen. Sieben Jahre, in denen sie mit den Nachbarn Wein tranken und hinterm Haus grillten, in denen sie der afghanischen Familie aus dem dritten Stock das Fahrrad in die Wohnung trugen, stets ein Lächeln und ein freundliches Wort für andere hatten. Sieben Jahre lang das eine und das andere. Nebeneinander, auf 77,33 Quadratmeter Deutschland.
Vom Parkplatz vor dem Aldi-Markt in der Marienthaler Straße sind es nur ein paar Schritte bis zu dem Eckhaus an der Polenzstraße. Das Gebäude aus der Gründerzeit ist saniert worden vor zwei Jahren, die Fassade ist seitdem in einem hellen, freundlichen Grauton gehalten. In einer der beiden Erdgeschosswohnungen offeriert die Schuldnerberatung „Insolvent e.V.“ ihre Dienste.
Keine schlechte Lage fürs Geschäft, die Gegend hier im Zwickauer Westen ist nicht die beste. Alte Mietshäuser wechseln sich mit Plattenbauten ab, es gibt ein paar Discounter und viele leerstehende Geschäfte, in den wenigen Imbissstuben langweilt sich das Personal.
Blick in die Erdgeschosswohnung
Will man in das Haus Polenzstraße 2 hinein, muss man um den Giebel herum zur Haustür an der Rückseite laufen. Ein Schild warnt vor Einbrechern, weshalb man ab 20 Uhr die Tür geschlossen halten solle. Auf dem Weg zum Eingang kann man – sofern man neugierig genug ist – in die Fenster der Erdgeschosswohnung schauen, in der sich die drei seit 1998 flüchtigen Neonazis bis vor vier Jahren unter falschen Namen versteckt hielten. Wie wäre es, könnte man die Zeit zurückdrehen?
Könnte man einen Blick erhaschen auf den Alltag dreier Menschen, die mordend und raubend durch die Republik ziehen? Und wie sähe so ein Alltag aus, so ein Leben unter anderen? Es sind nicht nur die Ermittler, die sich diese Frage stellen. Seit Anfang November die mögliche Existenz einer rechten Terrorgruppe mit dem Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) bekannt wurde, der die drei aus Zwickau angehört haben sollen, treibt viele Menschen in diesem Land der Gedanke um, wie nah das Böse mitunter sein kann.
Das Böse. Bernd Scholz lacht ein wenig unsicher, als das Wort fällt. Damit kann er nichts anfangen, sagt er. „Ich kannte ja nur die Frau, und so, wie ich die kennengelernt habe, war sie ganz normal.“ Bernd Scholz wohnt seit Ende 2008 im Erdgeschoss, in der Wohnung von Zschäpe und ihren beiden Freunden. Nein, reinlassen möchte er niemanden, sagt der 53-Jährige freundlich an der Wohnungstür. „Ist eh nichts mehr zu sehen, die Wohnung ist ja komplett umgebaut worden bei der Sanierung des Hauses vor zwei Jahren.“
Höchstens im Keller gebe es noch eine Hinterlassenschaft der Vormieter. Hier hätten die Männer den üblichen Holzlattenverschlag zugemacht. „Zum Nachbarverschlag hatten sie Tücher aufgehängt, sodass man nicht hineinschauen konnte. Die Mauerwände sind sauber verputzt worden, der Eingang ist gleich mit zwei Türen gesichert. Eine ganz normale Tür und eine Holztür mit einer kleinen Glasscheibe“, sagt Scholz. Wisse er, warum die das gemacht haben? Der Mann zuckt die Achseln. „Keine Ahnung. Heute kann man sich ja seinen Teil denken, aber damals …“
Zschäpe grüßte freundlich
Kennengelernt hatte Scholz Beate Zschäpe als Frau Dienelt. Der Name stand auch an der Wohnungstür und unter dem Mietvertrag, der am 27. April 2001 geschlossen wurde. Scholz, ein freundlicher, zurückhaltender Mann, war im März 2008 ins Nachbarhaus gezogen und hatte die Stelle des Hausmeisters für den Wohnblock angetreten. „Mit Frau Dienelt hatte ich, so lange sie hier noch wohnte, kaum Kontakt, in ihrer Wohnung war ich gar nicht“, sagt er. Aber freundlich gegrüßt habe sie, wenn sie sich ab und zu auf der Straße trafen. Gearbeitet habe sie wohl nicht, sagt er, aber so, wie sie angezogen war, muss sie mit dem Geld gut hingekommen sein. Als sie aus der Wohnung gezogen sei, waren zwei Männer da, die ihr geholfen haben. „Die hatte ich vorher nie gesehen, ich dachte immer, sie wohnt allein in der Wohnung, nur mit ihren beiden Katzen.“