Nervenkrieg ums Gas: Russland sanktioniert deutsche Gazprom-Töchter

Es kommt weniger Gas in Deutschland an. Die Lage spitze sich zu, sagt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Gas werde zur Waffe.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) am Donnerstag in seinem Ministerium.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) am Donnerstag in seinem Ministerium.dpa/Wolfgang Kumm

Es ist auch ein Nervenkrieg. Das ständige Gezerre mit Wladimir Putins Russland hinterlässt Spuren – im Gesicht von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), im Deutschen Bundestag und in Gesellschaft und Wirtschaft demnächst wohl auch. Mittwochabend, 22.30 Uhr, ging im Wirtschaftsministerium eine Information über das neueste Dekret des russischen Herrschers ein. Russland sanktioniert nun die deutschen Filialen des russischen Staatskonzerns Gazprom. Das betrifft die deutschen Gasspeicher und den Gashandel. Die Leitungen wurden vorerst verschont. Aber der Krimi rund um die Gasversorgung setzt sich fort und nimmt an Schärfe zu. Es fließt bereits weniger Gas.

Putin sanktioniert deutsche Gazprom-Töchter wegen EU-Sanktionen

Am Donnerstagmorgen, Punkt 9 Uhr, steht Habeck erst mal im Bundestag am Rednerpult und er sieht so aus, als ob er gar nicht geschlafen hätte. Tiefe Schatten liegen unter seinen Augen. Putins Dekret gegen die europäischen Gasversorger – Gazprom Germania und weitere Töchter – interpretiert er als Gegensanktion für europäische Sanktionen. Eine weitere Umdrehung in der Eskalationsschraube. „Der deutsche Gasmarkt kann den Ausfall kompensieren“, sagt Habeck. Dass das einen Preis haben wird, lässt sich an Habecks Gesicht ablesen.

An diesem Tag debattiert der Bundestag Habecks Osterpaket. Es geht um eine Gesetzessammlung, die innerhalb von nur wenigen Wochen durchs Parlament gepeitscht wird. Es soll den Ausbau der Erneuerbaren beschleunigen und eine Energieversorgung auf der Basis von Wind- und Solarkraft sicherstellen – Klimaneutralität bis 2035, festgelegte Ausbaupfade, Beschneidung von Einspruchsmöglichkeiten und Bürokratieabbau, Finanzierung, Netzplanung, Flüssiggas.

Erneuerbare stellen zukünftige Unabhängigkeit sicher

Über Nacht hat Habeck jetzt ein weiteres Argument an die Hand bekommen, diese grundlegenden gesetzlichen Veränderungen mit Folgewirkungen für Wirtschaft und Gesellschaft, Naturschutz und das deutsche Landschaftsbild entschlossen voranzutreiben. Er nutzt es. „Die Voraussetzung, dass wir in Zukunft sicher sind, ist der Ausbau der Erneuerbaren“, sagt Habeck.

Die russische Regierung hatte Mittwochabend eine Verfügung veröffentlicht, nach der von russischer Seite mit 31 aufgelisteten Firmen, darunter Energieunternehmen auch in Deutschland, keine Geschäfte mehr gemacht werden dürfen. Einige Tochterunternehmen von Gazprom Germania werden nicht mehr mit Gas beliefert. Gazprom Germania war Anfang April unter deutsche staatliche Kontrolle gestellt worden.

Donnerstagmittag sind die Experten im Bundeswirtschaftsministerium dann so weit, die neue Lage einschätzen zu können. „Ein chirurgisches Dekret“, so nennt es der Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller und aktuell auch Treuhänder von Gazprom Germania, „ein präziser Einschnitt, der Russland nicht schadet.“ Damit fließt russisches Gas vorerst weiter nach Deutschland, aber zu welchen Preisen ist unklar. Möglicherweise, so deutet Müller an, seien höhere Preise das russische Ziel.

Die Zentrale der Firma Gazprom Germania in Berlin: Die deutschen Tochterfirmen werden derzeit treuhänderisch verwaltet.
Die Zentrale der Firma Gazprom Germania in Berlin: Die deutschen Tochterfirmen werden derzeit treuhänderisch verwaltet.dpa/Paul Zinken

Folgen des Dekrets sind überschaubar

Die Folgen des Dekrets seien überschaubar, sagt Habeck erst mal. Gazprom Germania, unter deutscher Kontrolle, soll mit Finanzhilfen am Leben gehalten werden. Außerdem muss eine Versorgungslücke geschlossen werden. Schon bisher floss weniger Gas durch die Pipeline in der Ukraine – eine Folge des Krieges. Nun kommen weitere etwa zehn Millionen Kubikmeter Gas weniger in Deutschland an, so die Berechnungen aus dem Wirtschaftsministerium. „Die beschaffen wir woanders“, sagt Habeck. An der Börse gingen allerdings die Gaspreise schon mal um 15 Prozent nach oben. „Nicht schön, aber erwartbar“, nennt es Klaus Müller. Für ihn ist das eine Aufgabe, die zu erledigen ist. Er sieht das pragmatisch. „Es sind Kontingente betroffen, die neu zu besorgen sind. Das ist die Aufgabe der Stunde.“

Bleibt die Frage, wie sich die russischen Sanktionen auf die Füllstände in den Gasspeichern auswirken werden. Derzeit liegen sie bei knapp 40 Prozent. Laut Energiesicherungsgesetz müssen die Speicher bis zum Herbst gut gefüllt sein. Der größte Speicher wird allerdings von einer Gazprom-Germania-Tochter betrieben, die unter die neuen Sanktionen fällt. Der Speicher befindet sich im niedersächsischen Rehden und sei „faktisch leer“, so Habeck. Hier sieht er „politischen Handlungsbedarf“.

Insgesamt bewertet Robert Habeck die Lage als ernst. Die Auseinandersetzungen in der Energiepolitik mit Russland nehme an Schärfe zu, der Takt russischer Aktion werde schneller. „Die Lage spitzt sich zu“, sagt Habeck, Gas werde zur Waffe. Die Alarmstufe hat er noch nicht ausgerufen, aber der Krisenstab analysiert jetzt stündlich die Lage.