Flucht vor Russlands Krieg: So viele Männer kamen aus der Ukraine nach Deutschland

Grundsätzlich verbietet die Ukraine wehrfähigen Männern die Ausreise. Es gibt aber Ausnahmen. Im vergangenen Jahr flohen Zehntausende nach Deutschland.

Flüchtlinge aus der Ukraine nach der Ankunft am Flughafen Erfurt-Weimar.
Flüchtlinge aus der Ukraine nach der Ankunft am Flughafen Erfurt-Weimar.Michael Reichel/dpa

Nach Beginn des russischen Angriffskriegs sind bis Ende des vergangenen Jahres 163.287 männliche, wehrfähige Ukrainer nach Deutschland eingereist. Das teilte das Bundesinnenministerium auf eine Anfrage des AfD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystron mit. Das Schreiben liegt der Berliner Zeitung vor.

Demnach hielten sich zum Stichtag 31. Dezember noch 151.834 dieser ukrainischen Männer zwischen 18 und 60 Jahren in Deutschland auf. Die entsprechenden Zahlen seien ab dem 1. März erhoben und im Ausländerzentralregister (AZR) gespeichert worden, heißt es in der Antwort des Ministeriums. Eine Woche zuvor waren russische Truppen in die Ukraine einmarschiert.

Laut früheren Ministeriumsangaben waren vor dem 24. Februar 2022 rund 39.000 ukrainische Männer dieser Altersgruppe im Ausländerzentralregister als aufhältig erfasst. Ende August habe die Gesamtzahl – unabhängig vom Zeitpunkt der Einreise – bei rund 162.000 gelegen. Demnach waren nach Kriegsbeginn bis zu diesem Zeitpunkt rund 123.000 hinzugekommen.

Die AZR-Daten sind mit Vorsicht zu genießen. Es ist möglich, dass ein Teil der dort registrierten Menschen Deutschland inzwischen wieder verlassen hat. Wie viele der im AZR gespeicherten Männer wehrdienstuntauglich sind, wird von der Bundesregierung nicht statistisch erhoben.

Ukrainisches Kriegsrecht verbietet über 18-jährigen Männern die Ausreise

Nach ukrainischem Kriegsrecht ist die Ausreise für Männer zwischen 18 und 60 Jahren grundsätzlich verboten. Ausnahmen gibt es jedoch etwa für Familienväter, die drei oder mehr minderjährige Kinder zu versorgen haben. Auch alleinstehende Väter minderjähriger oder behinderter Kinder dürfen die Ukraine verlassen. Das gilt ebenfalls für Männer, die medizinische Gründe nachweisen können.

Das Kabinett in Kiew hatte am 20. Mai 2022 zudem weitere Ausnahmeregeln beschlossen – unter anderem für nicht wehrpflichtige Sportler und Fahrer, die humanitäre Güter transportieren. Zu den im AZR erfassten Männern im wehrpflichtigen Alter zählen auch Heranwachsende, die erst nach ihrer Flucht das 18. Lebensjahr vollendet haben.

Laut Statistischem Bundesamt sind seit Ausbruch des Krieges rund 1,1 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer nach Deutschland geflohen. Allerdings haben seit Mai 2022 auch die Fortzüge in das Kriegsland wieder zugenommen. Hier lag die Gesamtzahl im vergangenen Jahr demnach bei 139.000 Menschen.

Fast 4000 Russen stellten Asylantrag in Deutschland

In einer weiteren Anfrage wollte die AfD-Fraktion wissen, „wie vielen von politischer Verfolgung bedrohten russischen Staatsangehörigen und deren Familienangehörigen“ das Innenministerium seit Januar 2022 aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen eine Aufnahme gewährte. Die Antwort des Ministeriums liegt der Berliner Zeitung ebenfalls vor.

Demnach lag die Anzahl der aufgenommenen Russen zum Stichtag 2. Februar 2023 bei 1162. Das Ministerium weist darauf hin, dass das entsprechende Aufnahmeverfahren, das zu einer Aufenthaltserlaubnis führen könne, außerhalb des Asylverfahrens durchgeführt werde.

Währenddessen seien im vergangenen Jahr 3862 Asylanträge von russischen Staatsangehörigen in Deutschland gestellt worden. Darin enthalten sind gut 1000 Folgeanträge. Da sich Asylverfahren über Monate hinziehen, können diese Anträge also auf Erstanträge aus dem Jahr 2021 gefolgt sein – der Zeit vor dem russischen Angriffskrieg. Eine Anerkennung als Asylberechtigte erhielten im Jahr 2022 den Angaben zufolge 72 Russen. 138 seien als Flüchtlinge anerkannt worden, 67 habe Deutschland subsidiären Schutz gewährt.

Zahlen zu aufgenommenen ukrainischen Wehrdienstverweigerern, nach denen die AfD ebenfalls fragte, liegen laut Angaben des Bundesinnenministeriums derzeit nicht vor. Das Ministerium teilte aber mit, dass russische „Deserteure, die sich an Putins Krieg nicht beteiligen wollen“, in Deutschland Asyl beantragen könnten. Sie erhielten „im Regelfall“ internationalen Schutz.

Allerdings schränkte das Ministerium ein, dass die Erteilung von internationalem Schutz „eine Einzelfallentscheidung“ bleibe, abhängig von einer Sicherheitsüberprüfung und einer Prüfung auf Ausschlusskriterien – wozu etwa die Beteiligung an Kriegsverbrechen gehöre. „Die Prüfung der Entscheidungspraxis durch das Bamf zu russischen Kriegsdienstverweigerern dauert noch an und soll möglichst zeitnah abgeschlossen werden“, heißt es in dem Schreiben. Wie viele der Asylanträge von russischen Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern gestellt wurden, geht aus den Angaben nicht hervor.

„Tausende Russen und Hunderttausende Ukrainer entziehen sich diesem Krieg, sie wollen genauso wie die Bevölkerung der Nachbarländer keinen Krieg“, sagte der außenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Petr Bystron, der Berliner Zeitung. „Die Menschen wollen keine Waffenlieferungen, die Menschen wollen Frieden – in der Ukraine wie in Deutschland.“

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann, sagte der Berliner Zeitung mit Blick auf die geflohenen ukrainischen Männer: „Gemäß der Richtlinie zur Gewährung vorübergehenden Schutzes haben alle ukrainischen Staatsangehörigen unabhängig von ihrem Alter oder Geschlecht einen Schutzanspruch.“ (mit dpa)