Neues Glyphosat-Urteil: Die Monsanto-Übernahme bleibt für Bayer ein riskanter Deal

Leverkusen/San Francisco - Es ist die höchste und wohl auch die riskanteste Wette, auf die sich ein großer deutscher Konzern jemals eingelassen hat. Bayer hat den US-Saatgut- und Herbizidhersteller Monsanto für rund 62 Milliarden Dollar übernommen. Wie riskant der Deal ist, wurde am Dienstag deutlich, als Anleger panikartig die Papiere des Leverkusener Unternehmens verkauften. Die Aktie verlor zeitweise gut neun Prozent.

Der Einbruch hat viel mit Suzanne Ramos Bolanos zu tun. Sie ist Richterin an einem Bezirksgericht in Kalifornien. Sie hat die Höhe des Schadenersatzes für den früheren Schulhausmeister Dewayne Lee Johnson zwar deutlich verringert, aber bestätigt, dass seine Erkrankung an Lymphknotenkrebs auf ein Pflanzenschutzmittel zurückzuführen ist, das unter der Bezeichnung Roundup von Monsanto verkauft wird.

Glyphosat wird seit den 1970er Jahren eingesetzt

Der Hauptwirkstoff heißt Glyphosat, er wird auch als Total-Herbizid gezeichnet, weil es auf einem Acker oder einer Wiese alles abtötet – bis auf Pflanzen, die mit Gentechnik dagegen immunisiert wurden. Entsprechendes Saatgut und passenden Dünger hat Monsanto ebenfalls im Angebot. Glyphosat wird seit den frühen 1970er Jahren eingesetzt. Umweltschützer und Entwicklungshilfeorganisationen kritisieren, dass Glyphosat großen Schaden für Flora und Fauna anrichte und dass Bauern von Monsanto-Produkten komplett abhängig gemacht würden.

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Bayer hat Monsanto vor allem wegen des Breitband-Herbizids übernommen. Es ist aufgrund seiner durchschlagenden Wirkung das weltweit erfolgreichste Pflanzenschutzmittel, es wird in rund 130 Ländern der Erde eingesetzt. Die Krebsforscher der Weltgesundheitsorganisation haben das Mittel allerdings als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft.

Und für Bolanos liegen im Fall von Johnson ausreichend wissenschaftliche Erkenntnisse vor, dass Roundup ein „substanzieller Faktor“ für die schwere Erkrankung des Mannes ist. Es gebe keine plausiblen Hinweise für eine andere Erklärung. Die Beweislast sei überwältigend, betonten die Anwälte des Klägers. Johnson hat bei der Pflege der Außenanlagen mehrerer Schulen über Jahre hinweg regelmäßig Roundup in großen Mengen versprüht.

Bayer zog das Gutachtendes Arztes in Zweifel

Bayer hatte in dem Verfahren indes versucht, die Richterin zu überzeugen, dass es an hinreichenden wissenschaftlichen Nachweisen für den Zusammenhang zwischen der Anwendung von Glyphosat und der Krebserkrankung gebe. Insbesondere wurde ein Gutachten des behandelnden Arztes in Zweifel gezogen, der vor allem damit argumentierte, dass bei Johnson die Erkrankung erheblich früher als bei anderen Patienten auftreten ist.

Bolanos ließ sich davon nicht beeindrucken, allerdings senkte sie die Höhe des Schadenersatzes, der von einer Vorinstanz festgelegt wurde, erheblich. Die Leverkusener sollen nicht mehr 289 Millionen Dollar, sondern noch rund 78 Millionen Dollar (68 Millionen Euro) zahlen. Bayer teilte mit, die Reduzierung des Schadenersatzes sei ein Schritt in die richtige Richtung. Aber man sei nach wie vor davon überzeugt, dass der Richterspruch nicht mit ausreichend Beweisen unterlegt sei. Deshalb gehe man in Berufung.

Die Unsicherheit um Roundup dürfte Bayer noch lange belasten

Rechtsexperten betonen, dass das Urteil nicht formal als Präzedenzfall zu bewerten sei. Allerdings würden nun die Chancen steigen, dass auch andere Kläger vor Gericht Recht bekämen. Und davon gibt es viele.

Etwa 8700 Verfahren sind in den USA anhängig. Ian Hilliker, Analyst beim Investmenthaus Jeffries, hat hochgerechnet: Wenn man die Forderungen aus allen Klagen aufaddiere, komme eine Schadenersatzsumme von 680 Milliarden Dollar zusammen. Er mutmaßt, dass die Glyphosat-Verfahren Bayer noch über Jahre beschäftigen werden. Das bedeutet auch, dass Unsicherheiten in puncto Roundup den deutschen Konzern noch lange belasten dürften.

Der Börsenwert von Bayer ist seit der ersten Gerichtsentscheidung im August um 20 Milliarden Euro auf 66 Milliarden Euro geschrumpft. Die Aktie hat in den vergangenen zwölf Monaten knapp 40 Prozent ihres Wertes eingebüßt. Die Grünen-Politikerin Renate Künast sagte, Bayer bekomme nun zu spüren, dass der Kauf von Monsanto eine „klare Fehlentscheidung“ gewesen sei. Statt auf Warnungen zu hören, habe sich der Konzern das „System Monsanto“ zu eigen gemacht, und zwar zum Schaden von Bauern, Verbrauchern und nun auch von Aktionären. Monsanto sei für Bayer „finanziell und gesellschaftlich zu einem Fass ohne Boden geworden“. (RND)