New York Times über Trump-Anklage: Wird es Rache geben? Wird Joe Biden auch angeklagt?
Ein Gericht erhebt Klage gegen Trump wegen illegaler Schmiergeldzahlungen, so der Vorwurf. Die New York Times reibt sich die Augen und sieht das Land in Gefahr.

Der Moment ist tatsächlich historisch. In New York hat eine sogenannte Grand Jury für eine Anklage gegen den früheren US-Präsidenten Donald Trump gestimmt. Trump werden Schweigegeldzahlungen an eine Pornodarstellerin vorgeworfen, die gegen das Wahlgesetz verstoßen haben sollen. Die Details sind noch ungeklärt. Die Anklageerhebung gegen den früheren US-Präsidenten Donald Trump soll nach Angaben seiner Anwältin am kommenden Dienstag erfolgen. Trump kann dann reagieren. Außerdem wird dann auch entschieden werden, ob Trump in Haft oder gegen Kaution frei kommt.
Wenn es einen „Nebel des Krieges“ gibt, dann gibt es heute auch einen „Nebel der Geschichte“. Die Entscheidung und die daraus folgenden Konsequenzen der Grand Jury kann kaum jemand einschätzen. Die Medien überschlagen sich mit Analysen und Informationen. Die Wertung der liberalen New York Times fiel heute Morgen besonders erstaunlich aus – es ist das Blatt, das Donald Trump wohl am stärksten verachtet.
Es wurde ein Tabu gebrochen
Die einleitenden Worte des Analysten Peter Baker lassen aufhorchen. Er schreibt: „Zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte ist ein ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten unter Anklage gestellt worden. Es lohnt sich, dies zu wiederholen: Zum ersten Mal in der Geschichte wurde ein amerikanischer Präsident wegen eines Verbrechens angeklagt.“
Der Autor erinnert daran, wie viele Skandale Trump provoziert hat, wie viele historische Ereignisse, die die Weltöffentlichkeit erschrocken haben. Nicht zuletzt den Sturm auf das Kapitol. Im Großen und Ganzen begeben sich die USA damit auf einen Weg, den sie noch nie zuvor beschritten hätten, so der Autor. Einen Weg, der weitreichende Folgen für die Gesundheit der ältesten Demokratie der Welt haben wird. „Seit mehr als zwei Jahrhunderten werden Präsidenten auf ein Podest gestellt, selbst diejenigen, die in Skandale verwickelt sind, und für immun gegen Strafverfolgung erklärt, solange sie im Amt sind und sogar danach,“ schreibt Peter Baker.
„Das ist vorbei. Dieses Tabu wurde soeben gebrochen.“
Hier wird Rechtsgeschichte geschrieben
Es ist aber keine Schadenfreude, die aus den Zeilen des Autors spricht, sondern eher Besorgnis. Ein neuer Präzedenzfall sei geschaffen worden. Werde dieser Fall das Land zerreißen? Werde die Entscheidung von vielen im In- und Ausland als Siegerjustiz angesehen werden, ähnlich wie in Entwicklungsländern, wo ehemalige Staatsoberhäupter von ihren Nachfolgern inhaftiert werden? Oder werde es ein Moment der Abrechnung werden, ein Zeichen dafür, dass selbst jemand, der einst der mächtigste Mensch auf dem Planeten war, nicht über dem Gesetz steht? Peter Baker stellt in dem Texte Fragen, die er selbst nicht beantworten kann.
„Unabhängig davon, ob die Anklage gerechtfertigt ist oder nicht, überschreitet sie eine Grenze in der amerikanischen Politik und der amerikanischen Rechtsgeschichte“, sagt Jack L. Goldsmith in der New York Times, ein Harvard-Rechtsprofessor und ehemaliger Spitzenbeamter des Justizministeriums unter Präsident George W. Bush.
Es könnte weitere Klagen gegen Trump geben
Als wäre das nicht schon genug, um die Republik ins Wanken zu bringen, werde diese erste Anklage vielleicht nicht die letzte sein, erklärt Peter Baker. „Herrn Trump könnte eine zweite Anklage in Georgia und eine dritte von Bundesstaatsanwälten und möglicherweise sogar eine vierte drohen.“
Der Analyst legt auch das Augenmerk darauf, dass es ein wenig paradox erscheint, dass Trump mit Blick auf die vielen Skandale, die er provoziert habe, ausgerechnet für eine solche Lappalie wie die „Zahlung von Schweigegeld zur Vertuschung eines sexuellen Aktes“ angeklagt werden soll. Doch Baker erklärt, dass diese Anklage als Präzedenzfall es zugleich erleichtern würde, Trump in anderen Fällen ebenso zur Rechenschaft zu ziehen, da sich dann Gerichte nicht mehr erklären und sorgen müssten, ob ihre Schritte juristisch haltbar seien.
Es könnte nun auch andere Ex-Präsidenten treffen
Peter Baker ist überzeugt, dass die Anklage auf juristisch sicherem Boden steht. Die Frage ist nur, ob sie gesellschaftspolitisch richtig ist. „Das Justizministerium vertritt die Auffassung, dass amtierende Präsidenten nicht angeklagt werden können, aber die Verfasser der Verfassung haben ausdrücklich die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass Präsidenten nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt angeklagt werden könnten.“ Niemand stehe über dem Gesetz. Auch ein Ex-Präsident nicht, so die New York Times.
Die New York Times zitiert verschiedene Rechtsexperten, die die Entscheidung begrüßen. Aber es werden auch Sorgen darüber artikuliert, welche weitreichenden gesellschaftspolitischen Folgen die Entscheidung haben wird. „Nicht zuletzt, weil die Anklage gegen Trump von einem lokalen Staatsanwalt und nicht vom Justizministerium erhoben wird, was Staatsanwälten im ganzen Land die Möglichkeit eröffnet, gegen einen Präsidenten vorzugehen.“
Unruhige Zeiten
Was bedeutet die Entscheidung für zukünftige Präsidenten? Könnte es irgendwann Anklagen gegen Joe Biden geben, etwa in konservativen Regionen, die ihn beschuldigen könnten, nicht ausreichend die amerikanische Grenze zu Mexiko geschützt zu haben? Wird es Vergeltungsmaßnahmen geben?
„Die Entscheidung gegen Trump bietet Tausenden von Staatsanwälten auf staatlicher und lokaler Ebene die Möglichkeit, gegen einen Präsidenten zu ermitteln und Anklage zu erheben, ohne dass dies durch die Politik des Justizministeriums (...) behindert wird“, sagte Stanley M. Brand der New York Times, ein ehemaliger Berater des Repräsentantenhauses, dessen Kanzlei einige Mitarbeiter von Trump im Rahmen der Ermittlungen wegen des falschen Umgangs mit geheimen Dokumenten vertritt. Das sei verfassungsrechtlich nie vorgesehen gewesen, so Brand laut New York Times.
Die nächsten Tage werden also unruhig werden. Vielleicht sogar die nächsten Jahre.
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