Warschau - Die Ruhe in Cockpit und Tower wirkt gemessen an den Umständen fast unnatürlich. „Wir haben Landeerlaubnis“, stellt Pilot Tadeusz Wrona ungerührt fest, so als wisse er gar nicht, dass diese Landung möglicherweise sein letzter „Touchdown“ sein könnte. „Flug 16: Kein Fahrwerk“, antwortet der Warschauer Fluglotse. Es ist eine pflichtgemäße Erinnerung. „Danke“, gibt Wrona nüchtern zurück. Der Tower wünscht noch „Viel Erfolg!“ Dann steuert der 53-jährige Pilot die Boeing 767 mit 231 Menschen an Bord auf die Landebahn zu und setzt den Riesenjet ohne Räder so sanft mit dem Rumpf auf, als hätte er nie etwas anderes getan. „Ein Bravourstück“, jubeln Reporter und Luftfahrtexperten anschließend unisono.
Am Tag nach der geglückten Boeing-Bauchlandung in Warschau feiern Polens Medien Flugkapitän Wrona enthusiastisch als neuen Nationalhelden. In Fernsehen und Radio ist immer wieder Wronas einstiger Ausbilder zu hören: „Tadeusz, ich bewundere dich. Das war eine Glanzleistung.“ Auch Passagiere des havarierten Fliegers kommen zu Wort: „Wir danken Gott und dem Piloten.“ Polens Präsident Bronislaw Komorowski gratuliert Tadeusz Wrona telefonisch „von ganzem Herzen und im Namen aller Landsleute“. Der Staatschef stellt dem Helden sogleich einen Orden in Aussicht.
Fangemeinde wächst
Auch im Internet findet sich umgehend eine inzwischen 50 000-köpfige Facebook-Fangemeinde zusammen, die Wrona als Meister der Lüfte feiert. „Flieg wie ein Adler, lande wie eine Krähe!“, lautet die Devise in Anspielung auf den Namen des Kapitäns: Wrona – Krähe. Die Veröffentlichung des Funkverkehrs zwischen Tower und Cockpit tut ein Übriges, um Wrona innerhalb von Stunden zur lebenden Legende zu machen: „Der Pilot, der noch nie in Panik geriet“, titelt die Zeitung Rzeczpospolita. Ein Kollege schildert die Vorgänge im Boeing-Cockpit mit den nüchternen Worten: „Wie ich ihn kenne, hat er die Situation analysiert und ist dann gelandet. Das war’s.“
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Wrona selbst meldet sich am Mittwoch erstmals selbst zu Wort. Ruhig und bescheiden erklärt er, dass er immer wieder aufs Neue versucht habe, das Fahrgestell auszufahren. „Ich bin diese Maschine 500 Mal geflogen, nie hat etwas geklemmt“, sagt er. Doch als alles nichts half, habe er versucht, „möglichst sanft zu landen“. Tatsächlich ist die spektakuläre Landung auf dem Rumpf eine Meisterleistung, die an das New Yorker „Wunder auf dem Hudson River“ im Jahr 2009 erinnert. Damals hatte Kapitän Chesley Sullenberger einen Airbus A320 nach einer Kollision mit einem Vogelschwarm auf dem Fluss sicher aufgesetzt.
Warum bei der polnischen Boeing die Hydraulik des Fahrwerks versagte, ist noch unklar. „Ein extrem seltener Fehler“, sagen Experten, die zugleich darauf verweisen, dass es leicht hätte schiefgehen können. Schlägt das Heck zur Seite, ist es vermutlich aus. Das gibt in nüchternem Tonfall auch Wrona zu Protokoll: „Wenn wir hart aufgesetzt hätten, hätte die gesamte Flugzeugkonstruktion Schaden nehmen können.“ Ein Passagier berichtet: „Als wir landeten, war es fast sanfter als mit Fahrwerk.“ Wrona landete allerdings die Maschine nicht nur sanft, er hatte bereits zuvor dafür gesorgt, die Gefahr eines Brandes bei der Landung möglichst gering zu halten. Eine Stunde vor der Landung ließ Wrona die Maschine über dem Flughafen kreisen, umso die Benzinvorräte an Bord aufzubrauchen. Auch deshalb gab es keine Verletzte.
Erfahrungen als Segelflieger
Am Ende hatte Wrona den Riesenjet fast in der Waagerechten zur Landung gebracht, und den Koloss wie ein Gleitflugzeug über die Piste schlittern lassen – so als steuere er einen Segelflieger: Womöglich ist dies auch das Geheimnis des Helden. Wrona ist seit fast 40 Jahren Pilot. Seit 20 Jahren fliegt er Verkehrsflugzeuge. Begonnen hat er jedoch als Segelflieger. „Er kam mit 16 zu uns“, berichtet sein erster Lehrer bei einem Luftsportverein in der polnischen Provinz. „Jede freie Minute verbrachte er am Himmel.“
Später studierte Wrona an der Technischen Universität in Rzeszow bei Warschau und ließ sich zum Verkehrspiloten ausbilden. Experten halten es jedoch für einen Wink des Schicksals, dass ausrechnet der passionierte Gleitflieger Wrona die havarierte Boeing zur Bauchlandung brachte. „Es war ein Riesenglück, dass es diesen Piloten getroffen hat. Er hat den Jumbo präzise wie ein Segelflugzeug aufgesetzt“, sagt Wronas Kollege von der Polnischen Fluggesellschaft LOT, Lech Kasprowicz.
Wrona ist in Nowa Sola geboren, einem kleinen Ort in Westpolen. Nicht weit davon entfernt lebt er noch heute, in der 65 000-Einwohnerstadt Leszno. Mehrfach hat er an Segelflug-Weltmeisterschaften teilgenommen – allerdings ohne großen Erfolg. Freunde beschreiben den verheirateten Familienvater als „wenig ehrgeizig, ohne Allüren“. Der 53-Jährige hat einen Sohn und eine Tochter. „Ich bin stolz auf Papa“, sagt die 20-jährige Natalia am Tag nach dem „Wunder von Warschau“. Und: „Ich wusste, dass er das kann. Er ist ein sehr selbstsicherer und konzentrierter Mensch.“
Auch seinem Sohn brachte Wrona in nicht motorisierten Gleitern das Fliegen bei. Inzwischen ist der Junge erwachsen und hat sich ebenfalls zum Berufspiloten ausbilden lassen – genau wie Wronas Bruder, der ebenfalls für die LOT fliegt.
Wann der Held von Warschau wieder in die Luft darf, ist dagegen noch völlig offen. Es werde zunächst psychologische Tests geben, heißt es bei den Behörden – auch wenn diese gerade bei so einem „Meisterkapitän“ wie Tadeusz Wrona kaum nötig zu sein scheinen.