NRW-Kommunen in der Flüchtlingskrise: Dramatischer Hilferuf bei SPD-Tagung in Berlin
Berlin - Birgit Zoerner ist eine zupackende Frau. „Seit einem Jahr arbeiten wir im Krisenmodus“, berichtet die Sozialdezernentin der Stadt Dortmund. Im Stenogrammstil schildert die Frau mit der Kurzhaarfrisur die Rahmendaten: 593.000 Einwohner, 12,5 Prozent Arbeitslose, größtenteils auf Hartz-IV-Niveau, wöchentlich rund 200 neue Flüchtlinge und 70 unbegleitete Minderjährige. Gerade musste die Sozialdezernentin ausgerechnet die Begegnungseinrichtung in der Nordstadt, einem sozialen Brennpunkt, schließen, um dort Flüchtlinge unterzubringen. „Es kommt immer näher“, sagt Zoerner: „Und das birgt erhebliches Sprengpotenzial.“
Es sind Schilderungen wie diese, die eine dreistündige Flüchtlingskonferenz der SPD-Bundestagsfraktion am Dienstag in Berlin zu einem äußert eindrücklichen Erlebnis machen. Rund 300 Bürgermeister, Landräte und sonstige Kommunalvertreter aus der ganzen Republik sind gekommen. Zu Wort melden sich vor allem Politiker aus Nordrhein-Westfalen. „So konkret wie möglich“ sollten sie die Situation vor Ort schildern, hat SPD-Chef Sigmar Gabriel gefordert: „Kein Revolutionssozialismus.“
„Wir schaffen es nicht mehr.“
Die Gefahr des Schönfärbens ist gering. „Es hat selten eine Situation gegeben, in der die tägliche Beteuerung „Wir schaffen das“ und die Realität so weit auseinandergeklafft haben“, beginnt der Gelsenkirchener Oberbürgermeister Frank Baranowski mit einer Breitseite. In seiner Stadt gebe es etwa ein Viertel Flüchtlingsfreunde, ein Viertel Rechte und Ausländerfeinde. Die restlichen zwei Viertel seien noch unentschieden: „Ich fürchte, dass sie sich langsam umorientieren.“
Die eindringliche Warnung klingt in allen Wortmeldungen an. „Wir schaffen es nicht mehr“, sagt Claus Jacobs, der Bürgermeister der NRW-Gemeinde Gevelsberg. Die Stimmung, so der allgemeine Tenor, drohe zu kippen. Überall werden Turnhallen belegt. Bislang sind die Vereine kooperativ – wie lange noch? Alleine Dortmund rechnet für 2016 mit mehr als 100 Millionen Zusatzkosten für Unterbringung und Verpflegung der Flüchtlinge. Das sind fünf Prozent des Haushalts. Bislang war er ausgeglichen. Nun steuert er auf die Haushaltssicherungs-Linie zu, bei der das Land den Geldhahn zudrehen kann. Kämmerin Zoerner mag sich nicht vorstellen, was dann passiert.
„Der Zustand ist völlig haltlos.“
Einig sind sich die Kommunalvertreter in ihrer Kritik: Die Asylverfahren dauern viel zu lang, das Tempo des Zuzugs überfordert Verwaltung und Helfer. Es gibt keine Container, keine Zelte, keine Lehrer. „Wir brauchen eine Atempause“, sagt Baranowski. Ralf Weeke, der Kämmerer von Solingen, begegnet „fast täglich“ weinenden Mitarbeitern: „Der Zustand ist völlig haltlos.“ Zur Wahrheit gehöre, dass man von manchen Flüchtlingen kaum die Identität kenne und es immer mehr Illegale gebe, erzählen andere. „Da kommen Sorgen: Was passiert mit der Kriminalität? Was ist mit dem Wert unserer Grundstücke?“, sagt Roland Schäfer, der Bürgermeister von Bergkamen.
Darüber müsse offen gesprochen werden, fordern die Kommunalvertreter. Nicht jeder freilich ist so hemmungslos wie der Duisburger SPD-Oberbürgermeister Sören Link, dessen Stadt neben 4000 Flüchtlingen auch 12.500 Rumänen und Bulgaren beheimatet. „Ich hätte gerne das Doppelte an Syrern, wenn ich dafür ein paar Osteuropäer abgeben könnte“, sagt Link. Da guckt selbst Gabriel für einen Augenblick erschrocken.