NSA-Affäre: Spionage für Merkel „Vergeudung von Kraft“

Kanzlerin Angela Merkel hat der US-Regierung angesichts der Affäre um das Ausspionieren Deutschlands durch die USA empfohlen, ihre Prioritäten neu zu ordnen. „Mit gesundem Menschenverstand betrachtet“ sei das Ausspionieren von Verbündeten „Vergeudung von Kraft“, sagte sie am Donnerstag. Es müsse nicht alles getan werden, was technisch machbar sei, „sodass man am Schluss den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht“.

Merkel empfahl stattdessen Konzentration auf das Wesentliche. Im Kalten Krieg möge es ja so gewesen sein, dass man sich misstraut habe. Aber im 21. Jahrhundert gebe es ganz andere Bedrohungen. Alliierte sollten einander vertrauen.

Informationen „lächerlich“

Zuvor teilte die Bundesregierung mit, dass sie den obersten Geheimdienstler der US-Nachrichtendienste an der amerikanischen Botschaft in Berlin nicht mehr sehen will. „Der Repräsentant der US-Nachrichtendienste an der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika wurde aufgefordert, Deutschland zu verlassen“, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert. Er begründete dies mit den neuen Spionagefällen sowie der Affäre um die Aktivitäten des US-Nachrichtendienstes NSA, die bereits ein Jahr dauert. Derweil kündigt das US-Außenministerium ein Treffen der Minister Kerry und Steinmeier in den nächsten Tagen an.

Nach einer Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) wurden neue Details zu den beiden Fällen bekannt. Das Gremium hatte sich von Vertretern der Bundesregierung, des Generalbundesanwalts und der deutschen Geheimdienste informieren lassen. Danach ging die Bewertung der Fakten jedoch auseinander.

Der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger (CDU) sagte, der seit voriger Woche inhaftierte BND-Mitarbeiter habe 218 Dokumente entwendet, zu Hause eingescannt, dort auf einen USB-Stick gezogen und dann an die USA weitergereicht. Allerdings seien diese Dokumente nicht sehr brisant. Den NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags beträfen sie anders als vermutet gar nicht.

André Hahn (Linke) widersprach dem. Es seien durchaus brisante Unterlagen dabei, erklärte er. Und immerhin umfassten diese 218 Dokumente fünf Leitz-Ordner. Das PKGr will sich die Papiere nun einzeln ansehen und den Sachverhalt danach abschließend bewerten.

Im Hinblick auf den mutmaßlichen Spion im Verteidigungsministerium sagte Binninger, die Beweislage sei hier äußerst schwierig. Hahn hingegen beklagte, dass es erste Hinweise auf den zivilen Mitarbeiter schon im August 2010 gegeben habe. Darum verstehe er nicht, warum es so lange dauerte, bis die Ermittlungsbehörden aktiv wurden.

Nach Informationen der Berliner Zeitung erfolgte im August 2010 ein anonymer Hinweis an das Bundesamt für Verfassungsschutz. Darin hieß es, dass besagter Mitarbeiter immer mal wieder zu Kurztrips in die Türkei aufbreche, insgesamt war von 15 bis 16 dieser Reisen die Rede. Es bestünde der Verdacht, er könne sich in der Türkei mit Vertretern des russischen Geheimdienstes treffen.

Der Verdächtige wechselte anschließend häufiger die Dienststellen, so- dass sich die Ermittlungen hinzogen. Hahn kritisierte jedenfalls die gestern von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) geäußerte Einschätzung, wonach die durch die mutmaßliche Spionage gewonnenen Informationen lächerlich seien. Sie seien überhaupt nicht lächerlich, so der Linken-Abgeordnete.

Kipping spricht von Kosmetik

Unterdessen wächst auch in der CDU der Zorn auf die USA. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagte: „Wenn wir nicht Informationen in der Partnerschaft von Nachrichtendiensten bekommen hätten, dann hätten wir nicht den Hauch einer Chance gehabt, terroristische Bedrohungen auf Deutschland abzuwehren.“ Dies heiße aber nicht, „dass die Amerikaner drittklassige Leute bei uns anwerben dürfen. Das ist so was von blöd, und über so viel Dummheit kann man auch nur weinen. Deswegen ist die Kanzlerin da auch ,not amused‘.“

Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping nannte die Ausweisung des US-Geheimdienstlers halbherzig. „Eine Ausweisung für die Galerie ist nicht mehr als Kosmetik“, sagte sie der Berliner Zeitung. „Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie spätestens zum Ende der Sommerpause einen abgestimmten Aktionsplan gegen die US-Spionage in Deutschland vorlegt. Spione sind keine Freunde.“ Sie müssten nach deutschem Recht bestraft werden.