Opposition belagert Parlament in Tiflis

Eine lange angekündigte Reform des georgischen Wahlrechts ist gescheiert. Demonstranten und Oppositionspolitiker wollen dies nicht akzeptieren.

Tiflis-Gegen 17 Uhr am Sonntag gingen die Sicherheitskräfte zum Angriff über. Die mit Helmen, Schildern und Gummiknüppeln ausgerüsteten Polizisten stürmten das Zeltlager der Opposition vor dem Parlament in Tiflis und drängten mehrere Hundert Demonstranten ab. Dabei wurden Wasserwerfer eingesetzt und etwa 20 Menschen festgenommen. Etwa ein Dutzend Oppositionelle setzte sich auf den Asphalt des Rustawelli-Boulevards vor dem Parlament, um den Vormarsch der Polizei aufzuhalten.

Die Polizei setzt bei den Protesten vor dem Parlamentsgebäude Wasserwerfer ein.
Die Polizei setzt bei den Protesten vor dem Parlamentsgebäude Wasserwerfer ein.

Seit der Nacht auf Sonntag hatten die Demonstranten unter Führung mehrerer Oppositionsabgeordneter das Parlament belagert. Sie verweigerten Abgeordneten der Regierungspartei Georgiens Traum den Zutritt und erklärten, sie wollten das Gebäude so lange blockieren, bis die Regierung die gemeinsamen Forderungen von über 20 meist westlich orientierten Oppositionsparteien erfüllt: vorgezogene Neuwahlen nach dem Verhältniswahlrecht, den Rücktritt der Regierung und die Reorganisation der Zentralen Wahlkommission.

Lange angekündigte Verfassungsänderung

Die Straßenproteste waren am Donnerstag ausgebrochen. An diesem Tag scheiterte im Parlament zur allgemeinen Überraschung eine lange angekündigte Verfassungsänderung, die das gemischte durch ein Verhältniswahlrecht ersetzen sollte. Der Oligarch und Chef der Regierungspartei Georgischer Traums Bidsina Iwanischwili, der als starker Mann Georgiens gilt, hatte die Wahlreform persönlich in Aussicht gestellt. Dann aber enthielten sich zahlreiche seiner Abgeordneten, sodass die Änderung nur 101 der 113 nötigen Stimmen erhielt.

Wir unterstützen voll das Recht auf friedliche Versammlung und freie Meinungsäußerung

Aus einer gemeinsamen Erklärung der US-Botschaft und der EU

Außer der Opposition glaubt auch ein Großteil der Öffentlichkeit an ein abgekartetes Spiel. Es gilt als offenes Geheimnis, dass das gemischte Wahlrecht, bei dem 77 Sitze über die Parteilisten, 73 aber in Mehrheitswahlkreisen vergeben werden, Iwanischwilis finanzkräftige Direktkandidaten bevorteilt. „Bei den vergangenen Parlamentswahlen haben in allen Mehrheitswahlkreisen Kandidaten der regierenden Partei gewonnen“, konstatiert das Informationsportal Grusija Online. „Eben darum haben praktisch alle Oppositionsparteien ständig den Übergang vom gemischten zum Verhältniswahlrecht gefordert. Und eben darum hat der Georgische Traum, der seit 2016 feierlich verspricht, das gemischte Wahlsystem abzuschaffen, das noch nicht getan.“

Gemeinsame Erklärung der USA und der EU

Auch gemäßigte Oppositionelle wie Lewan Berdsenischwili, früher Sowjetdissident und Gründer der Republikanischen Partei, sind empört über den Rückzieher der Parlamentarier Iwanischwilis. „Sie verhöhnen die Opposition, die Jugend, die gesamte Bevölkerung“, sagte er der Berliner Zeitung.

Die Botschaft der USA und die Delegation der EU in Georgien kritisierten in einer gemeinsamen Erklärung „die Unfähigkeit des Parlaments, die Verfassungsänderungen zu beschließen, die für den vollen Übergang zu einem Verhältniswahlrecht bei den Parlamentswahlen 2022 nötig sind“ und äußerten ihr Verständnis für „die tiefe Enttäuschung eines Großteils der georgischen Gesellschaft.“