Berlin-Der Linken-Abgeordnete Andrej Hunko drängt auf eine stabilere und transparentere Datenbasis, die sämtliche Entscheidungen zur Eindämmung des Coronavirus stützen. Seine schriftliche Anfrage an die Bundesregierung wurde nach seinem Empfinden „überaus unbefriedigend“ beantwortet.

„Ich habe schon vor zwei Wochen in einer Anfrage die Bundesregierung um Darstellung des bisherigen Verlaufs der Testungen seit Beginn der Pandemie gegliedert nach positivem und negativem SARS-COV-2-Befund gebeten“, erklärt Hunko. Des Weiteren habe er nach Planungen zu repräsentativen Stichprobentests gefragt, wie sie mittlerweile in Heinsberg durchgeführt worden sind.
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Hunko fordert eine Beschleunigung der Datensammlung. Angesichts der überaus weitreichenden sozialen, wirtschaftlichen und grundrechtlichen Dimension der bisherigen Maßnahmen, ist allerhöchste Transparenz in Bezug auf die Daten zwingend geboten.
Hunko nennt Island als Beispiel. Dort wurde mit über zehn Prozent der Bevölkerung weltweit am meisten getestet. Bei den Tests werden die Personen zufällig ausgewählt, also nicht nur Personen mit Corona-typischen Symptomen. „Die Bundesregierung muss jetzt die Testkapazitäten ausbauen und repräsentative Studien vorantreiben, wie es etwa das Netzwerk Evidenzbasierte Medizin schon länger fordert. Kontextlose absolute Zahlen von positiv Getesteten und im Zusammenhang mit SARS-COV-2 Gestorbenen reichen da nicht aus", betont Hunko.
So heißt es in der knappen Antwort an Hunko im Hinblick auf die künftigen Studien: „Die Bundesregierung bereitet eine Reihe von Maßnahmen vor, um die Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in der Gesellschaft noch präziser zu erfassen und zu validieren. In diesem Zusammenhang plant das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), das vom Bund zu 90 Prozent institutionell gefördert wird, eine Studie zur Untersuchung der Krankheitslast in der Bevölkerung, zum Pandemiemanagement und zur Etablierung serologischer Nach weise. Auf diese Weise sollen Daten durch Antikörper-Tests bei der allgemeinen Bevölkerung durch deutschlandweite Netzwerkanalysen und durch Modellierungen gewonnen werden, die wesentlich sind für die Bemessung und Validierung der pandemiebedingten gesamtgesellschaftlichen Krankheitslast.“
Auch zahlreiche Experten sind mittlerweile unzufrieden mit den Daten, die die Bundesregierung ermitteln lässt und zur Verfügung stellt. Dass mangelnde Daten das Kernproblem bei der Bewertung des Coronavirus sind, ist nicht neu.
Die Göttinger Entwicklungsökonomen Christian Bommer und Sebastian Vollmer haben sich trotzdem bereits an einer Berechnung versucht und gingen für Ende März von etwa 460 000 Infizierten in Deutschland aus, wie die Universität Göttingen vor kurzem mitteilte. Das hieße, dass gut 80 Prozent der tatsächlichen Infektionen in der Bundesrepublik gar nicht registriert wären. In anderen Ländern ist die Dunkelziffer den Ökonomen zufolge wohl noch größer. Nach ihrer Rechnung könnten in Italien nur etwa 3,5 Prozent und in Spanien nur 1,7 Prozent der Infektionen offiziell erfasst sein. Solche Effekte könnten mit erklären, warum die Sterberate in beiden Ländern vermeintlich viel höher ist als in Deutschland, wo insgesamt wesentlich mehr auch milde Verläufe erfasst werden.
Auch Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), hatte kürzlich eindringlich für mehr valide Daten appelliert. „Wir brauchen sehr schnell regelmäßige Breitentests, um verlässliche Daten über die Verbreitung des neuen Coronavirus in der Bevölkerung zu gewinnen. Andernfalls kann die Politik nicht verantwortungsvoll entscheiden, ob und wann die derzeitigen Notmaßnahmen gelockert werden können.“
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Statistikexperte Gerd Antes sagte im Spiegel zur Lage: „Wir wissen nicht, wie viele Menschen sich bislang mit dem neuen Coronavirus infiziert haben und wie viele jeden Tag hinzukommen. Außerdem ist unklar, wie viele Menschen ursächlich an einer Infektion sterben.“
Gerade hinsichtlich der Dunkelziffer an Infizierten, müsse nach seiner Einschätzung schleunigst Licht ins Dunkel gebracht werden. Expertenschätzungen variieren zwischen dem fünf – bis zwanzigfachen der bekannten Infiziertenrate. „So eine Streuung ist ein sicheres Zeichen, dass niemand auch nur ungefähr weiß, wo die Wahrheit liegt“, erklärt Antes.