„Osmanische“ Reichsbürger in Berlin III

Unser Autor will die Kriegsführung christlicher Truppen im 17. Jahrhundert nicht schönreden. Aber großosmanische Geschichtsklitterung unter dem Deckmantel des Antikolonialismus findet er auch falsch.

Historische Zeichnung: Die osmanischen Truppen vor Wien.
Historische Zeichnung: Die osmanischen Truppen vor Wien.imago images/stock&people

Berlin-Nehmen wir uns abermals die beiden Broschüren vor, die den Obertitel tragen „Grenzgänger*innen. Schwarze und osmanische Präsenzen in der Metropole Berlin um 1700“. Verfasst wurden sie vom Verein Berlin Postkolonial. In den beiden vorangegangenen Kolumnen habe ich gefragt: Was soll eine „osmanische Präsenz“ sein? Unter Schwarzen kann ich mir Menschen und die gegen sie gerichtete koloniale Gewalt vorstellen. Aber Osmanen? Ich rede auch nicht von „kreuzfahrerischen Präsenzen“ in Jerusalem oder von „Heiligen-Römischen-Reichlern“, die von tatarischen Aggressoren verschleppt wurden.

Um 1700 reichte das Osmanische Reich von Kiew und Budapest über Anatolien und die Arabische Halbinsel bis Somalia, von Baku am Kaspischen Meer über Ägypten bis nach Marokko und tief nach Nordafrika hinein. Dieses Reich war ein imperialistisches, auf koloniale Ausbeutung gerichtetes Staatswesen. Dort blühte der millionenfache Sklavenhandel mit schwarzen Afrikanern, aber auch der mit gefangenen und unterworfenen Europäern, ebenso mit christlichen Knaben aus dem Inneren des Reichs.

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Was machen unsere staatsfinanzierten Dekolonisierer daraus? Sie jammern über die europäischen Mächte, die sich 1683/84 in der „Heiligen Liga“ zusammenschlossen, um die Angreifer abzuwehren - nachdem die osmanische Seite einen Friedensvertrag gebrochen und 1683 Wien mit 120.000 Soldaten eingeschlossen hatte. Liest man die Darstellung des Vereins Berlin Postkolonial, entsteht der Eindruck, die christlich-europäische Gegenwehr sei unerlaubt gewesen. Da wird von einer „Propaganda“ gegen den „Erbfeind des Christenglaubens“ gesprochen und von der „Versklavung muslimischer Kriegsgefangener“. Da gab es, gemäß der Postkolonial-Heftchen, doch tatsächlich christlich-abendländische Truppen, die den Belagerungsring der Angreifer sprengten und die ins Land eingefallenen „osmanischen Truppen bis nach Ungarn zurückdrängten“. Die Selbstverteidigung wird hier als schändliche Tat hingestellt.

Ich behaupte nicht, dass die damalige Kriegsführung der christlichen Truppen besonders menschenfreundlich gewesen sei. Aber sie war keinesfalls schlimmer als die der osmanischen Aggressoren. Was hatten diese vor Wien verloren? Seit wann darf man Angreifern keinen Widerstand entgegensetzen? Warum hatten Osmanen das christliche Ungarn erobert? Warum hatten sie 1526 nach der siegreichen Schlacht nahe der südungarischen Stadt Mohács alle Gefangenen zwecks Abschreckung ermordet und anschließend mehr als 100.000 christliche Ungarn in die Sklaverei geführt? Auch 1683, vor und während der Belagerung von Wien, ließen sich die Osman*innen, wie man politisch korrekt sagen soll, schreckliche Gräueltaten zuschulden kommen. Auf dem Weg dorthin hatten sie ganze Stadtbevölkerungen massakriert.

Es geht mir nicht um historisches Aufrechnen von Gewalt- und Schreckenstaten. Aber ich wende mich gegen die Verbreitung großosmanischer und sunnitisch-islamistischer Geschichtsklitterung, wie sie zum Beispiel in der Türkei Erdogans gelehrt wird. Genau das betreibt in Berlin der Verein Postkolonial unter dem Deckmantel des Antikolonialismus. In der nächsten Kolumne schauen wir uns den Kreis der Berater und Beraterinnen näher an.