Kuriose Definition: Wer in Prenzlauer Berg geboren wurde, ist ostdeutsch
Der Ostbeauftragte Carsten Schneider hat die Ostdeutschen in Führungspositionen des Bundes erheben lassen. Merkwürdig ist allerdings, wen er dazu zählt.

Der Sachverhalt ist im Grunde bekannt, doch die realen Zahlen sind eindrucksvoll. Eindrucksvoll im negativen Sinn: In den oberen Bundesbehörden, Bundesgerichten und der Bundesregierung haben gerade mal 13,9 Prozent Ostdeutsche eine Führungsposition inne. Rechnet man Ostdeutsche mit Berliner Herkunft heraus, sind es sogar nur 7,5 Prozent. Die finden sich meist eher in den niedrigeren Führungspositionen. „Je höher man kommt, desto dünner wird die Luft“, sagt der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, dazu.
Schneider hatte bei knapp 4000 Führungskräften in 94 Bundesbehörden, vier Verfassungsorganen und der Richterschaft an den fünf Bundesgerichten den Geburtsort erheben lassen. Zu den Ergebnissen gehörte auch, dass Ostdeutsche nur 7,1 Prozent der erfassten Richterinnen und Richter ausmachten, ohne Berlin sogar nur 5,1 Prozent. „Es gibt für den beruflichen Aufstieg von Ostdeutschen eine gläserne Decke – und die ist aus Panzerglas“, sagte Schneider.
Er sieht in der mangelnden Repräsentation Ostdeutscher ein politisches Problem. „Politische Akzeptanz für Entscheidungen oder Gerichtsurteile sind höher, wenn alle gesellschaftlichen Gruppen beteiligt sind“, sagte Schneider. In Ostdeutschland hätten aber viele das Gefühl, es würde über sie hinweg entschieden. Die Zahlen zeigen, dass das zumindest in einer Hinsicht richtig ist: Über alle Führungsebenen hinweg liegt der Anteil Ostdeutscher deutlich unter dem Anteil von 20,1 Prozent, den sie an der Gesamtbevölkerung Deutschlands ausmachen.
Die geringen Zahlen ließen sich nicht mit Bildungsdefiziten erklären, so Schneider. Der Grund sei ein anderer: „Eliten rekrutieren sich immer nach Ähnlichkeit.“ So gebe es bei jeder Bewerbung auf eine Stelle in den Behörden meist zwei oder drei gleich gute Kandidaten. Den Ausschlag für die Entscheidung über die Besetzung gebe dann meist das Bauchgefühl.
Er verdeutlichte das an seinem eigenen Beispiel. Geboren in den 1970er-Jahren in Erfurt hat er seine Ausbildung an einer Polytechnischen Oberschule gemacht, erste Fremdsprache Russisch. Als Sport betrieb er Radfahren. „Bei Bewerbungen wäre ich immer der russlandaffine gedopte Sozialist“, sagte Schneider sarkastisch. Da fühle sich ein möglicher Vorgesetzter unwohl und lege die Bewerbung eher beiseite. Hinzu käme aber auch, dass viele Ostdeutsche Arbeiterkinder seien, deren Eltern nicht das Geld für ein Auslandsjahr aufbringen könnten.
Der Bericht soll nun jährlich erstellt werden und immer mehr Bundeseinrichtungen mit einbeziehen. Die Hoffnung ist, dass die Misere freiwillig beendet wird, wenn sie nur gut sichtbar ist. Eine Quote fordert der Ostbeauftragte nicht. „Das können wir juristisch nicht wasserdicht machen“, bedauerte er. Das wiederum liegt aber auch an der Definition von Ostdeutschen, die dem Bericht zugrunde liegt: Ostdeutsch ist, wer in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen geboren wurde. Und so ist nach dieser Lesart die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel, die bekanntlich in Hamburg geboren wurde, keine Ostdeutsche.
Merkwürdige Definition: Warum Angela Merkel keine Ostdeutsche ist
Auch die Kinder von Eltern, die nach der Wende aus einem östlichen Bundesland etwa nach Bayern ausgewandert sind und in München geboren wurden, sind laut Definition des Ostbeauftragten keine Ostdeutschen. Wer allerdings aus Baden-Württemberg nach Prenzlauer Berg in Berlin zieht, bekommt samt und sonders ostdeutsche Kinder. Dass das kurios ist, gibt auch Schneider zu. Anders hätte man aber nicht zählen können.
Kuriose Definition, keine Quote: Für die Erhöhung der Zahl von Ostdeutschen in Führungspositionen setzt die Bundesregierung daher vor allem auf Einsicht. Schneider will mit „niedrigschwelligen Maßnahmen“ arbeiten. So sollen Daten zu den Geburtsorten systematischer erfasst werden. Bundesbehörden sollen mit Selbstverpflichtungen arbeiten. Auswahlgremien sollen vielfältiger besetzt, Führungskräfte gezielt auf ihre Aufgabe vorbereitet und Netzwerke gefördert werden. Zum Ende der Legislatur soll es dann „bei Bedarf weitere Schritte“ geben. Sein Ziel ist, dass die Vertretung Ostdeutscher in Führungspositionen ihrem Bevölkerungsanteil entspricht.
Dabei hofft er auch die Diversity-Strategie, die im Haus der Integrationsministerin Reem Alabali-Radovan erarbeitet werden soll. „Nächstes Jahr werden die Zahlen schon anders aussehen“, versichert der Ostbeauftragte. Eine Ministerin hat das Ziel bereits übererfüllt. Bauministerin Klara Geywitz (SPD) hat nach eigenen Angaben die Hälfte der Führungspositionen ihres Hauses mit Ostdeutschen besetzt. Aber sie ist ja auch selbst eine, sogar nach der Definition des Ostbeauftragten.