Panzer-Ringtausch mit Polen: Wie Deutschland Partner statt Feinde abschreckt
Polen hat der Ukraine Hunderte Panzer geschenkt. Berlin will Ersatz liefern, aber es dauert. Einige Nato-Partner überdenken deshalb Käufe in Deutschland.

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine im Februar bemüht sich die Bundesregierung, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen. Statt direkter Lieferungen setzt das Verteidigungsministerium dabei jedoch vor allem auf sogenannte Ringtausche. Und die schreiten nur langsam voran. Von den geplanten Lieferungen ist bisher keine erfolgt. Nicht wenige Politiker, selbst aus den Reihen der Ampelkoalition, sind darüber verärgert.
Und auch aus der Opposition hagelt es Kritik. „Mehrmals hat die Bundesregierung dem Parlament verkündet, dass ‚Ringtausch‘-Deals u. a. mit Polen zeitnah abgeschlossen sind und ‚in den nächsten Wochen‘ umgesetzt werden. Leider verspielt Deutschland hier sämtliches Vertrauen. Der Ringtausch mit Polen ist am Scheitern“, machte Roderich Kiesewetter seinem Ärger auf Twitter Luft.
Mehrmals hat #Bundesregierung dem #Parlament verkündet, daß "Ringtausch"-Deals u.a. mit #Polen zeitnah abgeschlossen sind + in "den nächsten Wochen" umgesetzt werden. Leider verspielt #Deutschland hier sämtliches Vertrauen. Der Ringtausch mit Polen ist am Scheitern 1/
— Roderich Kiesewetter🇪🇺🇩🇪🇺🇳🇺🇦 (@RKiesewetter) July 19, 2022
So habe die Bundesregierung Polen nun erstmals ein Angebot nach „drei Monaten Reflexionszeit“ vorgelegt: Es sollen 20 Leopard-2-Panzer geliefert werden. Die Lieferung soll im April 2023 beginnen, ein Panzer monatlich. Ab Oktober 2023 sollen es dann drei pro Monat sein. So beschreibt Kiesewetter, CDU-Obmann im Auswärtigen Ausschuss, den Plan. Zum Vergleich: Polen soll der Ukraine seit dem 24. Februar bereits 270 Kampfpanzer sowjetischer Bauart geliefert haben. Diese Informationen hat der CDU-Politiker laut dem Nachrichtensender ntv vom Staatssekretär im polnischen Außenministerium, Szymon Szynkowski vel Sek. Kiesewetter meint: „Wir verspielen hier sehenden Auges jahrelang aufgebautes Vertrauen.“
Erwartungen bei Ringtausch-Partnern zum Teil überzogen
Dabei sagte Verteidigungsministerin Lambrecht noch Ende April: „Da sind wir momentan im Gespräch, und das geht jetzt auch sehr schnell.“ Doch von der Schnelligkeit ist nichts zu sehen. Die Bundesregierung wollte sich auf Anfrage der Berliner Zeitung nicht zum Stand beim Ringtausch äußern. „Wir sind noch in Gesprächen mit dem polnischen Verteidigungsministerium“, so eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, warnt jedoch: „Bei einigen europäischen Partnern, die am Ringtausch Interesse haben, sind die Erwartungen offensichtlich etwas überzogen. Manche erhoffen sich, dass man ihnen das alte sowjetische Material eins zu eins mit modernster westlicher Technik ersetzt“, so die FDP-Politikerin. Das wird nicht der Fall sein, da das alte Gerät im Vergleich zu den moderneren Panzern weniger wert ist. Zudem ist das Interesse am neuesten Modell Leopard 2A7 sehr groß. „Die hat nicht einmal die Bundeswehr in großen Stückzahlen“, merkt die FDP-Politikerin an.
In Fachkreisen ist man über die Bundesregierung verwundert. „Ich kenne leider die ursprüngliche Vereinbarung dazu nicht, aber wenn es stimmt, dann sieht Deutschland hier wirklich schlecht aus“, sagt Christian Mölling, Rüstungs- und Verteidigungsexperte sowie Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. „Deutschland ist schon lange angezählt und gilt als unzuverlässiger Partner“, sagt er. Russlands Krieg in der Ukraine habe die Situation jedoch noch verschärft. „Die Osteuropäer haben wirklich Angst. In Berlin ist das aber bisher nicht richtig angekommen.“ Bei der großen Zahl an Panzern, die Polen an die Ukraine geliefert habe, wolle man die Bestände rasch wieder füllen. „Das Lager bei denen ist blank“, sagt Mölling.
Ob das Vertrauen, von dem Roderich Kiesewetter spricht, jedoch so groß war, bezweifeln manche Experten. „Das bestätigt leider eine Skepsis, die man Deutschland seit jeher entgegenbringt“, sagt Kai-Olaf Lang, Ostmitteleuropa-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Besonders die Zurückhaltung bei den Waffenlieferungen und bei der Erteilung von Exportgenehmigungen fügt sich für die Polen in ein Gesamtbild.“ Und auch bei den anderen Ringtausch-Partnern dürfte die Sicht auf Deutschland nicht viel besser sein. Bisher ist keiner der Deals abgeschlossen, weder mit Tschechien noch mit der Slowakei, Slowenien oder Griechenland.
Polen kauft schon massiv in den USA ein
Polen hat daher schon in großem Umfang bei den Amerikanern Rüstungsgüter eingekauft. So wurden bereits 250 Panzer vom Typ M1 Abrams bestellt, 2021 kamen in einem weiteren Deal noch mal 116 hinzu, von denen nun die ersten in Polen ankamen. Auch HIMARS-Mehrfachraketenwerfer und F35-Kampfjets hat Polen bereits in den USA bestellt. Auch mit Südkorea verhandeln die Polen über Waffenkäufe. So sollen die Polen neben Panzern an Flugzeugen und Artillerie interessiert sein. „Die strategische Linie Polens ist es, stark auf die USA zu setzen, die als eigentlicher Sicherheitsanker angesehen werden. Die vertiefte Kooperation mit den USA ist ein Element der Kontinuität aller polnischen Regierungen“, sagt Lang.

Die derzeitige PiS-Regierung hat die Zusammenarbeit mit Washington seit 2015 weiter intensiviert – im Rahmen der Nato wie auch bilateral. „Es ist aber auch eine militärpolitische Entscheidung“, sagt Lang. Wenn Polen neben 250 vorher bestellten M1 Abrams weitere 116 kaufe, zeuge das vom Willen, den sicherheitspolitischen Dialog weiterhin auch rüstungswirtschaftlich und militärisch zu festigen.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann geht deshalb auch davon aus, dass der Ringtausch mit Polen in jedem Fall zustande kommen wird; wenn auch unter anderen Vorzeichen. „Man wird sich da bestimmt einigen. Es muss halt einfach auch geschaut werden, was die Industrie in welcher Zeit liefern kann.“ Polen erhofft sich zurzeit wohl rund 44 Leopard-2-Panzer im Tausch. Deutschland bietet 20 vom Typ A4 an.
„Am Ende zählt aber: Was ist sicher verfügbar“, so Christian Mölling. Die Auswahl für die Beschaffer-Länder sei schließlich nicht unendlich. „Wir haben einen begrenzten Markt in Europa.“ Die meisten Länder wollen bei den Neuanschaffungen von Rüstungsgütern zumindest einen derzeitigen technologischen Standard, besser noch einen zukünftigen. „Man wird das durchmischen und kurzfristig teurer anschaffen und dann zudem technologisch bessere Rüstungsgüter zu günstigeren Konditionen auf lange Frist.“ Deutschland selbst solle jetzt nicht zu lange mit der Bestellung von Rüstungsgütern beim Einkauf im Rahmen des Sondervermögens von 100 Milliarden Euro warten. „Da gibt es derzeit eine Verknappung beim Angebot, weil durch den Krieg in der Ukraine jetzt viele gleichzeitig etwas haben wollen.“
Schweiz ist mahnendes Beispiel
Der russische Krieg in der Ukraine hat vor allem das Problem der unterbrochenen Lieferketten sichtbar gemacht. „Die Rüstungsindustrie hat sich wie alle Industrien arbeitsteilig global entwickelt, um Kosten zu sparen“, so Mölling. „Inwieweit das ihren Geschäften nützlich ist, werden sich viele Unternehmen jetzt überlegen.“
Auch in Estland führt der Krieg in der Ukraine nämlich zu einem Umdenken bei den Verteidigungspolitikern. „Jetzt versteht man in Estland besser, dass die Versorgungssicherheit von größter Bedeutung ist“, sagt Martin Hurt, Forscher am Internationalen Zentrum für Verteidigung und Sicherheit (ICDS) in Tallinn. „Wir können am Beispiel der Ukraine sehen, dass der Krieg keine Woche gedauert hat, sondern immer noch andauert. Man sollte den Moment, in dem einem die Munition ausgehen kann, im Blick haben, wenn man die Beschaffung erledigt“, sagt er.
Auch die deutsche Rüstungsindustrie sehe man daher mittlerweile kritischer. So hatte Deutschland Estland die Weitergabe von Haubitzen aus DDR-Beständen an die Ukraine bis nach dem Beginn der großflächigen russischen Invasion untersagt. Und das ist nicht das Einzige, was den Esten zu denken gibt. „Das Problem mit der deutschen Rüstungsindustrie ist, dass einige Firmen Niederlassungen in der Schweiz haben“, sagt der Este Martin Hurt. Auch die Reputation der Schweiz hat unter den Osteuropäern in Rüstungsfragen erheblich gelitten.
„Viele sehen jetzt, dass die Schweiz kein uneingeschränkt sicherer Lieferant ist. Das wird Auswirkungen auf die Bestellpolitik haben“, sagt auch Christian Mölling von der DGAP. So hat die Schweizer Regierung seit Beginn des russischen Krieges in der Ukraine mehrfach Anfragen nach Exportgenehmigungen von in der Schweiz hergestellten Rüstungsgütern abgelehnt. Eine Zeit lang bestand das Problem, dass die Bundesregierung der Ukraine die Bereitstellung von Gepard-Flakpanzern zugesichert hatte, aber die Schweiz keine Exportgenehmigung für die Munition erteilen will. Mittlerweile hat die Bundesregierung zwar einen Lieferanten im Nato-Partnerland Norwegen gefunden, aber das Misstrauen gegenüber der Schweiz bei den Osteuropäern bleibt. Für Deutschland könnte das ein mahnendes Beispiel sein.
„Zeitenwende“ muss konsequent umgesetzt werden
Wie die Auswirkungen für die Bundesrepublik konkret aussehen werden, ist noch unklar. „Eine vernünftige Rüstungspolitik wird nicht von einem Extrem ins andere kippen“, so Mölling. Dennoch werde auch hier einiges in Bewegung kommen. „Die Partnerländer wollen die Gewissheit, dass geliefert werden kann und politisch geliefert werden darf.“
Einig ist man sich jedoch, dass alle Partnerländer in Ostmittel- und Osteuropa sich mehr Hilfe von Deutschland in der europäischen Sicherheitsarchitektur wünschen. „Die wollen lieber mehr Engagement sehen als weniger“, sagt Kai-Olaf Lang von der SWP. Denn im Vergleich zu Frankreich sei die Bundesrepublik trotz allem stärker transatlantisch ausgerichtet und mache weniger ihr eigenes Ding. Um neben Polen auch andere ostmittel- und osteuropäische Partner nicht zu verschrecken, müsse Deutschland am Ball bleiben. „Die Zeitenwende muss umgesetzt werden. In Polen ist die Angst groß, dass man daran das Interesse verliert“, so Kai-Olaf Lang. „Auch fürchtet man, dass 100 Milliarden Euro und die Aufstockung des Verteidigungshaushalts allein nicht ausreichen. Ein Mehr an Ausgaben müsse auch in einen nachhaltigen Wandel der Sicherheitspolitik und der strategischen Kultur eingebettet werden.“
Das von Deutschland angestrebte stärkere Engagement seiner Marine gerade in der Ostsee in Zusammenarbeit mit anderen Ostseeanrainern sei ein wichtiges Vorhaben in diesem Zusammenhang. Auch in Litauen freue man sich über die Stationierung von mehr deutschen Truppen. In Polen hingegen schrecke man auch aus historischer Erfahrung bisher noch zurück. „Deutsche Soldaten will man dort bisher lieber nicht sehen.“
Für diesen Artikel hat Ode Maria Punamäe zugearbeitet.