Paten aus dem Bundestag: Abgeordnete setzten sich für inhaftierte Iraner ein

Vor der iranischen Botschaft in Berlin solidarisierte sich eine Gruppe mit der Protestbewegung. Politiker aller Parteien machten mit – bis auf die AfD.

Derya Türk-Nachbaur von der SPD hat die Patenschaft für einen Iraner übernommen, der in Haft gerade 19 wurde und von Folter berichtet.
Derya Türk-Nachbaur von der SPD hat die Patenschaft für einen Iraner übernommen, der in Haft gerade 19 wurde und von Folter berichtet.Sabine Gudath

Vida Rabbani, Mohammad Ghobadlou, Arash Sadeghi: Das sind nur drei der Menschen, deren Gesichter am Dienstagnachmittag von den Protestschildern einer Gruppe von etwa 30 Demonstranten vor der iranischen Botschaft blicken. Fast jedes Schild zeigt eine weitere Person, die im Iran festgenommen oder zum Tode verurteilt wurde. Allen wurde ein Verbrechen zur Last gelegt: die Teilnahme an der Protestbewegung für die Demokratie.

Getragen werden die Schilder von einer parteiübergreifenden Koalition von Bundestagsabgeordneten. Etwa 20 Minuten lang stehen sie am Dienstag still auf der Straßenseite gegenüber der Botschaft. Sie wollen ihre öffentlichen Positionen nutzen,  sagen sie, um auf die strengen Repressalien im Iran aufmerksam zu machen. Seit September 2022, nach der Tötung der jungen Kurdin Mahsa Amini durch die iranische Sittenpolizei, gehen immer wieder Hunderttausende Iranerinnen und Iraner auf die Straße, um gegen das autoritäre Regime des Landes zu demonstrieren. Polizei und Justiz greifen mit immer härteren Maßnahmen gegen die oft jungen Demonstranten durch.

Aufgerufen zu der Aktion hat der SPD-Abgeordnete und Verteidigungspolitiker Johannes Arlt. „Mit dieser Aktion wollen wir den Menschen eine Stimme leihen, die im Iran für die Demokratie protestieren und denen dafür strenge Repressalien drohen“, sagte Arlt der Berliner Zeitung. Alle Parteien im Bundestag waren vertreten, so Arlt – außer der AfD. „Da wissen wir, es gibt bestimmte Partnerschaften“, sagte er mit einem subtilen Blick in Richtung der iranischen Botschaft. Dass die Aktion parteiübergreifend stattfinden konnte, sei ein wichtiges Zeichen der Solidarität, die für die Demonstranten im Iran von großer Bedeutung sei.

Dienstagnachmittag demonstrieren etwa 30 Bundestagsabgeordnete vor der iranischen Botschaft. Auch Petra Pau (Die Linke), Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, war dabei.
Dienstagnachmittag demonstrieren etwa 30 Bundestagsabgeordnete vor der iranischen Botschaft. Auch Petra Pau (Die Linke), Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, war dabei.Sabine Gudath

Arlt gehört zu den Abgeordneten, die eine „politische Patenschaft“ für Gefangene im Iran übernommen haben. So eine Patenschaft hat auch Thomas Heilmann (CDU), ehemaliger Justizsenator von Berlin und Abgeordneter für Steglitz-Zehlendorf, übernommen: für den jungen Iraner Mehdi Moradi, der am 21. Dezember 2022 verschwand, nachdem er an einer Protestaktion teilgenommen hatte.

Weitere Sanktionen und Schutz für Aktivisten im Ausland seien nötig

„Die Bundesregierung muss jetzt so laut in ihrer Unterstützung dieser Freiheitsbewegung sein, wie die Demonstranten es selbst sind“, sagt Heilmann. Er blickt über die Straße in Richtung der iranischen Botschaft, zwei Sicherheitskräfte laufen am Zaun entlang um das Gebäude. „Ich bin mir sicher, dort drinnen wird ziemlich genau ausgewertet, wer alles hier steht“, meint Heilmann. Er und seine Kollegen müssen aber keine Angst vor einer Festnahme haben – gerade deswegen sieht er sich hier als Stellvertreter für Menschen wie Mehdi Moradi.

Seit Beginn der Protestbewegung hat die EU Sanktionen gegen mehr als 100 Einzelpersonen und Organisationen wegen ihrer Verbindungen zum iranischen Regime verhängt; mit einem weiteren Sanktionspaket will Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) die iranische Revolutionsgarde – die Eliteeinheit der iranischen Streitkräfte – auf die Terrorliste der EU setzen. Das wäre ein wichtiger Schritt, findet Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag. „Die Demonstranten sind junge Menschen, auf die der Iran stolz sein könnte, aber stattdessen wird diese Generation verhaftet, gefoltert und getötet“, sagt sie. „Es ist wie im Mittelalter.“

Auch der frühere Berliner Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) hat an der Aktion teilgenommen. Er hat für den jungen Iraner Mehdi Moradi, der am 21. Dezember 2022 verschwand, eine politische Patenschaft übernommen.
Auch der frühere Berliner Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) hat an der Aktion teilgenommen. Er hat für den jungen Iraner Mehdi Moradi, der am 21. Dezember 2022 verschwand, eine politische Patenschaft übernommen.Sabine Gudath

Nur ein paar Meter entfernt auf der Podbielskiallee parkt ein Wohnwagen, von dem aus Iraner seit Mitte Oktober gegen das Regime demonstrieren. Sie wurden zweimal von Unbekannten mit Messern angegriffen. Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass Agenten der Revolutionsgarde auch in Europa iranische Emigranten und Aktivisten einschüchtern.

Die SPD-Abgeordnete Derya Türk-Nachbaur sagt, sie stehe in Dauerkontakt mit vielen iranischen Aktivisten in ganz Deutschland, die von Bedrohungen berichten. „Es gibt anonyme Anrufe, man hört Sprüche im Vorbeigehen, die einen einschüchtern sollen“, sagt sie. „Das sind eindeutige Signale, die einen wachsam machen.“ 

Auch Derya Türk-Nachbaur trägt ein Protestschild mit dem Gesicht eines verhafteten Demonstranten. Sie erzählt über Mehdi Mohammadi Fard, der als 18-Jähriger festgenommen und zweimal zum Tode verurteilt wurde, wegen „Korruption der Erde“ und „Krieg gegen Gott“. Mehdi habe nur einmal protestiert, sagt Türk-Nachbaur, doch das Regime wirft ihm vor, ein Anführer der Protestbewegung zu sein.

Im Frühling könnte die Protestbewegung erneut zunehmen

Vor wenigen Wochen wurde Mehdi in Einzelhaft 19 Jahre alt – seine Familie erzählt von furchtbaren Haftbedingungen, so Türk-Nachbaur. „Seine Zelle ist von Ratten durchseucht, es gibt sexuellen Missbrauch und Folter“, sagt sie. Sie habe selbst einen 22-jährigen Sohn, es sei für sie kaum vorstellbar, dass so ein dunkles Schicksal so viele Iranerinnen und Iraner in seinem Alter treffe. „Die jungen Menschen gehen auf die Straße, weil sie leben wollen“, sagt sie. „Und dafür werden sie zum Tode verurteilt.“

Derya Türk-Nachbaur will auf Geschichten wie die von Mehdi jetzt aufmerksam machen, wo das Interesse für die Proteste im Iran nachgelassen hat. Sie glaubt, dass die Protestbewegung nach einer ruhigen Phase nach dem persischen Neujahrsfest Nouruz am 20. März wieder aktiver werden könnte.

Nach etwa 30 Minuten müssen die Abgeordneten zu anderen Terminen, nacheinander fahren sie in ihren Dienstwagen weg.