Pharma-Tests in DDR: Empörung über Menschenversuche

Nach dem jüngsten Bericht des Magazins Spiegel über flächendeckende Arzneimitteltests westlicher Pharma-Firmen an DDR-Patienten werden Rufe nach Entschädigung und möglicherweise strafrechtlichen Konsequenzen laut. Laut Spiegel sollen an den Medikamententests westlicher Pharmaunternehmen in DDR-Kliniken offenbar mehr Patienten beteiligt gewesen als bislang bekannt. Mindestens 50?000 Menschen sollen – zum Teil ohne ihr Wissen– an diesen Arzneimittelversuchen teilgenommen haben.

„Das ist ein außerordentlich schwerwiegender Verdacht, der da auf die westlichen Arzneimittelfirmen fällt“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Arnold Vaatz, der Frankfurter Rundschau. Die Firmen müssten sich dazu äußern. „Wenn es zu körperlichen Schäden bis hin zur Todesfolge gekommen ist, dann stellt sich die Frage nach Schadenersatz und Ausgleichszahlungen. Und dann ist auch die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortung zu beantworten.“

Es handele sich um ein Offizialdelikt, bei dem die Staatsanwaltschaft von sich aus tätig werden müsse, so Vaatz. Wenn der Fall aber in kein rechtliches Schema passe, dann müsse sich der Gesetzgeber damit befassen. Auch die DDR-Opferhilfe forderte Entschädigung.

Berichte über Todesfälle

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, erklärte dieser Zeitung: „Die Pharma-Tests zeigen, dass die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit eine gesamtdeutsche Angelegenheit sein muss.“ Die Stasi habe demnach ausführlich dokumentiert, wie der Handel mit den Tests vonstatten ging. Sie sei dafür zuständig gewesen, die devisenträchtigen Deals abzusichern und vor störenden Einflüssen zu bewahren.

Dem Spiegel zufolge sollen westliche Pharmakonzerne in der DDR hunderte Medikamentenstudien in Auftrag gegeben haben. Dabei sollen bis zum Mauerfall in mehr als 50 DDR-Kliniken unter anderem Herzmedikamente und Antidepressiva getestet worden sein. Bei mehreren Testreihen soll es Todesfälle gegeben haben.

Neue Akten aufgetaucht

Den Akten zufolge starben unter anderem in Ost-Berlin zwei Kranke bei einem Test mit einem durchblutungsfördernden Mittel. In der Lungenklinik Lostau bei Magdeburg seien zwei Patienten gestorben, die mit einem unerprobten Blutdrucksenker behandelt wurden. Auch wurden Tests wegen Nebenwirkungen abgebrochen. An der Charité ließ Boehringer-Mannheim die als Dopingmittel missbrauchte Substanz Erythropoetin (Epo) an 30 „unreifen Frühgeborenen“ erproben. Dort werden alte Akten indes routinemäßig vernichtet. Schriftliche Einverständniserklärungen der Patienten gab es nicht. Die Informationen wurden den Patienten bewusst vorenthalten.

Dass westliche Pharmahersteller Tests in der DDR vornehmen ließen, ist nicht neu. Bereits im Dezember 2012 war bekanntgeworden, dass westdeutsche Pharmafirmen in großem Stil neue Arzneimittel auch an DDR-Patienten erprobt haben sollen. Dabei war von mehreren Tausend Patienten die Rede gewesen. Der Spiegel beruft sich jetzt auf bislang unbekannte Akten des Gesundheitsministeriums der DDR, der Stasi und des Instituts für Arzneimittelwesen der DDR.