Polarisierender Besuch: Donald Trump demütigt Theresa May mit Brexit-Kritik, lobt jedoch Beziehungen

London - In der schmalzigen Filmkomödie „Love, Actually“ spielte Hugh Grant 2003 einen britischen Premierminister, der den Besuch eines arroganten und sexistischen US-Präsidenten erdulden muss. In der Pressekonferenz macht der gequälte Regierungschef seinen Gefühlen Luft. Das Verhältnis zu den USA habe sich verschlechtert, sagt er und fügt hinzu: „Ein Freund, der uns herumschubst, ist kein Freund mehr. Und da solche Leute nur auf Stärke reagieren, sollte sich der Präsident darauf gefasst machen, dass ich von nun an mehr Stärke zeigen werde.“

May behält trotz Trumps Verhalten die Beherrschung

Ob Theresa May gern diese Sätze gesprochen hätte, als sie am Freitag nachmittag mit Donald Trump vor die Kameras tritt? Die 61-Jährige müsste ein Herz aus Stein haben, wenn sie sich vom derzeitigen Bewohner des Weißen Hauses nicht herumgeschubst (bullied) fühlte. Aber die Konservative würde an diesem Tag nicht die Vollendung ihres zweiten Jahres in der Downing Street feiern, wenn sie nicht gelernt hätte, sich zu beherrschen. Also spult sie alles ab, was man eben so sagt: Die Beziehungen zu den USA seien hervorragend und würden nach dem Brexit im kommenden März noch besser werden – wenn die beiden Länder nämlich den geplanten Freihandelsvertrag abschliessen würden.

Nur einmal in ihrem vierminütigen Eingangs-Statement lässt May durchblicken, dass es nicht nur gemütlich zuging hinter verschlossenen Türen. Auf der Weltbühne müsse man „gelegentlich auch dazu bereit sein, Dinge zu sagen, die andere nicht hören wollen“.

Das muss sie sein, die Anspielung auf jenes Zeitungsinterview, mit dem Trump am Abend zuvor die Krise der britische Regierung wegen des EU-Austritts mutwillig vergrösserte. Er habe May gesagt, wie sie die Verhandlungen mit der EU führen solle, wird der US-Präsident im Boulevardblatt The Sun zitiert. „Aber sie hat nicht auf mich gehört.“ Die im neuen Weißbuch angestrebte enge Kooperation mit Brüssel sei „nicht das, wofür die Menschen gestimmt haben“. Hingegen lobt Trump den als Außenminister zurückgetretenen Brexit-Cheerleader Boris Johnson für dessen „richtige Einstellung: Er wäre ein großartiger Premierminister.“

Trump bemüht sich um Schadensbegrenzung

Die Freitag-Ausgabe des Millionenblattes mit der Schlagzeile „May hat den Brexit ruiniert“ ist von Donnerstagabend an in Regierungs- und Parlamentszirkeln das Thema Nummer Eins. The Sun gehört zum Medien-Imperium des US-australischen Medienzaren Rupert Murdoch, welcher der EU seit langem feindselig gegenübersteht. Das Interview hatte der Politikchef des Blattes bereits am Mittwoch in Brüssel geführt, ehe Trump am Donnerstag nachmittag in Grossbritannien eintraf.

In der gemeinsamen Pressekonferenz versucht der Besucher noch, das Interview als „fake news“ herunterzuspielen. Damit knüpft er an die verzweifelten Schadensbegrenzungsversuche an, die Mays und Trumps Teams vom frühen Freitag morgen an unternommen hatten, um die protokollarische Kriegserklärung abzuschwächen. Das Brexit-Weißbuch sei ja erst am Donnerstag mittag vorgestellt worden, hiess es in der Downing Street. Der Präsident habe „nie irgendetwas Schlechtes“ über May gesagt, halte sie im Gegenteil für eine „wirklich tolle Person“, teilte Sarah Huckerbee Sanders, Sprecherin des Weißen Hauses, mit. Der britische Außen-Staatsminister Alan Duncan verneinte gegenüber der BBC, Trump habe sich unhöflich verhalten; als Gastgeber werde man jedenfalls den kontroversen Gast auch weiterhin freundlich und zuvorkommend behandeln.

Der Präsident selbst weiss soviel Entgegenkommen zu schätzen. Bei der Pressekonferenz nach seinen Gesprächen mit May auf deren Landsitz Chequers (Grafschaft Buckinghamshire) überhäuft Trump die Gastgeberin mit Komplimenten: May sei „ganz besonders“, er empfinde große Zuneigung für sie. Neben der mit stoischer Miene zuhörenden Regierungschefin schwärmt der großspurige New Yorker von den „sehr, sehr starken Beziehungen“ zwischen den beiden Staaten. Dass es grundlegende Meinungsverschiedenheiten über die Bedeutung der Nato und des Welthandels gibt, dass die Premierministerin kürzlich auch öffentlich die Behandlung illegaler Einwanderer in den USA kritisiert hatte – alles vergeben und vergessen.

Nur einmal prallen die diametral unterschiedlichen Weltsichten des US-Populisten und der britischen Konservativen aufeinander. Die Einwanderung der vergangenen Jahrzehnte sei „schlecht gewesen für Europa“, behauptet der Amerikaner pauschal und setzt erkennbar Immigranten mit Terroristen gleich. Hingegen bekräftigt May: „Alles in allem war die Einwanderung gut für unser Land. Die Kontrolle über unsere Grenzen gehört dazu.“

Zukunft der Handelsbeziehungen weiter unklar - Trump gibt sich widersprüchlich

Trumps erster offizieller Termin auf der Insel war am Donnerstag abend ein Besuch auf Schloss Blenheim bei Oxford, dem Geburtsort des berühmten Weltkrieg-Premiers Winston Churchill (1874-1965). Dort wurden der Präsident und seine Gattin Melania von May und ihrem Mann Philip mit militärischen Ehren empfangen, ehe beide Paare mit Industrievertretern schottischen Lachs, englisches Beef und Erdbeeren mit Sahne verzehrten. Bei dem Gala-Dinner habe Trump höchst positiv über die künftigen Handelsbeziehungen zwischen den beiden Atlantik-Anrainern gesprochen, teilte Außenhandelsminister Liam Fox mit.

Das klang in Trumps Sun-Interview ganz anders. Die vor Wochenfrist festgelegte weichere Brexit-Linie, die den Rücktritt Johnsons sowie des Brexit-Ministers David Davis nach sich gezogen hatte, mache den ins Auge gefassten Freihandelsvertrag unmöglich, heisst es darin. „Wir müssten ja wieder mit der EU verhandeln anstatt mit dem Vereinigten Königreich“, gab Trump zu bedenken. Tatsächlich wünschen sich die Briten eine Freihandelszone für Güter mit der EU; dafür wollen sie „ein gemeinsames Regelwerk“, also die EU-Regeln, anwenden.

Weil Brexiteers innerhalb und außerhalb der konservativen Fraktion dagegen Sturm laufen, stellen Trumps Äusserungen Wasser auf deren Mühlen dar. Keiner der EU-Feinde hingegen will die eklatante Einmischung in die britische Innenpolitik verurteilen, ganz anders als vor gut zwei Jahren, als der damalige Präsident in den Referendumskampf eingegriffen hatte. “Freunde und Verbündete sollten zusammenhalten”, schrieb Barack Obama damals den Briten ins Stammbuch; die EU vermindere den britischen Einfluß nicht, sondern vergrössere ihn. Brexit-Vorkämpfer Boris Johnson führte damals Obamas Haltung auf dessen “halb-kenianische Herkunft und Abneigung gegenüber dem britischen Empire” zurück.

Trump reagiert beleidigt auf Demonstrationen

Der Amtsinhaber feiert an diesem Wochenende seine halb-schottische Herkunft - Trumps Mutter wanderte einst von der Isle of Lewis in die USA aus – bei einem Besuch auf seinem Golfplatz bei Glasgow. Am Freitag rundete eine Tasse Tee mit Queen Elizabeth II auf Schloss Windsor das gut 24-stündige Besuchsprogramm des Präsidentenpaares ab.

Hingegen dürfte Trump von den Protesten gegen seine Person und Politik wenig mitbekommen haben. Zehntausende von Briten demonstrierten am Freitag und Samstag in London, Glasgow und Edinburgh gegen die Anwesenheit des Staatsgastes, geleitet von einem sechs Meter hohen Heliumballon in Form eines zornigen Trump-Babys in Windeln.

Es habe „keine rechtliche Möglichkeit“ gegeben, dem Antrag der Trump-Gegner einen Riegel vorzuschieben, hatte Londons Bürgermeister Sadiq Khan seine Genehmigung für die unfreundliche Geste gerechtfertigt. Das ist allenfalls die halbe Wahrheit. Khan dürfte durchaus Spaß gehabt haben an dem ebenso albernen wie aus dem Herzen kommenden Protest gegen den Herumschubser, den Bully, im Weißen Haus. Der reagiert beleidigt. Im Sun-Interview wiederholt Trump, was er via Twitter schon mehrfach zum Besten gegeben hatte: Kahn verhalte sich wenig gastfreundlich, sei aber viel zu nachgiebig gegenüber islamistischen Terroristen.