Özdemirs Zucker-Verbot in der Werbung – und die seltsame Kritik daran

Dicke Kinder, Reklame für Süßes und Demokratie haben nichts miteinander zu tun, sagt unsere Autorin.

Wir essen zu süß.
Wir essen zu süß.dpa

Cem Özdemir will „Dickmacher-Werbung“ für Kinder verbieten. „Özdemirs Zuckerpeitsche“ titelte die FAZ. Das heißt, keine Werbung mehr für „Zuckerbomben“ in „allen für Kinder relevanten Medien“. Der Anlass für diese Radikal-Diät: Jedes sechste Kind in Deutschland ist zu dick. Gründe gibt es viele – zu wenig Bewegung und wohnortnahe Sportvereine, zu viel Zeit vor dem Bildschirm, aber vor allem eine Lebensmittelindustrie, die auf viel Salz, Fett und Zucker setzt. Mit Werbung verlockt sie künftige Kunden und Kundinnen und geht mit Spannung, Spiel und Schokolade auf die Kinder los. Gleich drei Strategien auf einmal? Das geht nur wirklich nicht, meint der Grünen-Politiker und will die Schokolade aus der Werbung streichen.

Die Krankenkassen begrüßen diese Bomben-Nachricht. Seit Jahren fordern sie mehr Regulierung, denn die Selbstregulierung der Werbeindustrie habe nichts bewirkt. Die Medien- und Werbewirtschaft ist empört. Nach dem Tabakwerbeverbot nun auch noch Fast Food und Süßigkeiten! Was kommt als Nächstes? Benzin-Autos? Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) spricht von „Überregulierung“. Es gebe mehr dicke Kinder in Portugal und Spanien als in Deutschland, meinen sie, trotz dortiger Regulierung. Das ist hart.

Härter aber scheinen die Folgen des Werbeverbots für die deutsche Medienvielfalt. Vor allem „kleinere Radioanbieter wären existenziell bedroht“, sagt Marco Maier, ein Sprecher des Verbands privater Medien (Vaunet). Dessen Vorstandsvorsitzender Claus Grewenig stimmt zu. Gerade in Zeiten großer wirtschaftlicher Belastungen, meint der RTL-Manager, seien die Auswirkungen von Werbeverboten problematisch. „Die Sicherung der Finanzierungsgrundlagen privater Medien“ gehöre immerhin „zur Sicherung der demokratischen Kultur in Deutschland“. Und da ist sie! Die Demokratie-Keule. Sie wird immer dann geschwungen, wenn Medienkonzerne um ihre Profite bangen.

Tatsächlich lagen die Nettowerbeeinnahmen aller Medien in Deutschland im Jahr 2021 bei rund 25,9 Milliarden Euro – das waren „nur“ 8,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Es scheinen wahrlich harte Zeiten für ProSiebenSat.1, RTL und Sky. Das sind die Vaunet-Mediengruppen. Mit den „kleinen Radioanbietern“ haben diese Schwergewichtler wenig zu tun – außer sie nutzen die Kleinen als Feigenblatt. Zum Beispiel, wenn sie Medienvielfalt propagieren, um Medienkonzentration zu vereiteln: Die RTL Group und ProSiebenSat.1 beherrschen den privaten Rundfunk in Deutschland, Sky den Pay-TV-Bereich. Vielfalt sieht anders aus.

Im Kern des Verbotsstreits stehen also vor allem Konzernprofite. Deshalb diskutieren Manager:innen über dicke Kinder, Werbung und Demokratie, als gehörten alle wie selbstverständlich zusammen. Diese Rechnung geht nur auf Kosten der Kinder anderer. Denn wer will den eigenen Nachwuchs nicht gesund und aktiv wissen? Das aber kostet Zeit und Geld. Kinder, deren Eltern beides nicht haben, haben es schwerer. Sie konsumieren mehr Medien, mehr Fernsehen und mehr Werbung. Sie sind statistisch eher dick. Der Medien- und Werbewirtschaft kann das egal sein – solange die Profite fließen, grübeln sie über mehr Parolen nach: „Dickmacher-Werbung“ für die Medienvielfalt! Hüftgold für die Demokratie! Es lebe der freie Journalismus! Aber das sind ja gleich drei Ideologien auf einmal. Das geht nun wirklich nicht!