Politiker-Biografien: Diese sollte man gelesen haben

Pünktlich zur Frankfurter Buchmesse erscheinen etliche neue Werke von Politikern und über Politiker. Die lohnen sich sicher alle, aber vorher sind die Klassiker dran. Wir haben eine Auswahl politischer Biografien zusammengestellt, die man gelesen haben sollte.

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Wie man lernt, ein Held zu sein: Nelson Mandela - „Der lange Weg zur Freiheit“

Mit Helden ist das so eine Sache. Je näher man ihnen kommt, desto tiefer sinken sie. Je menschlicher sie erscheinen, desto mehr verblasst ihre Aura der Unbesiegbar- und Unantastbarkeit. Bei Nelson Mandela – Freiheitskämpfer, Politiker, Lichtgestalt, erster schwarzer Präsident Südafrikas – ist das anders, dabei war er schon zu Lebzeiten eine Legende. Es gibt viele Bücher von und über Mandela, sein Leben wurde mehrfach verfilmt. Seinen Namen kennen auch Menschen, die Südafrika auf der Weltkarte nur mit Mühe finden würden. Denn so ist das auch mit Helden: Jeder glaubt, sie zu kennen.

Gerade deshalb lohnt es sich „Der lange Weg zur Freiheit“ zu lesen. Nicht nur die Entstehungsgeschichte des Buches ist abenteuerlich: Auf der Gefängnisinsel Robben Island, auf der Nelson Mandela fast 20 seiner insgesamt 27 Haftjahre verbrachte, begann er die Arbeit an seiner Autobiografie, Mithäftlinge übertrugen das Manuskript in Miniaturschrift und schmuggelten es von der Insel. Außerdem lernt man auf den rund 800 Seiten eigentlich alles, was man über die Geschichte des Freiheitskampfes in Südafrika wissen muss, auch, dass an dem Kampf viele Menschen beteiligt waren, die viel unbekannter, aber nicht weniger mutig gewesen sind als Mandela.

Vor allem aber erfährt man gerade im ersten Teil des Buches, in dem Rolihlahla Mandela – so sein Geburtsname – von seiner Kindheit und Jugend auf dem Land als Angehöriger des Xhosa-Volkes erzählt, dass sein Weg keineswegs vorgezeichnet war. Dass er kein Überflieger war, nicht klüger und stärker als andere, dass ihm die Rolle des Helden nicht einfach zugefallen ist. Sondern, dass die Umstände des Apartheid-Regimes ihn schließlich in diese Rolle drängten.

Mandelas Verteidigungsrede vor dem Gericht, das ihn wenig später zu lebenslanger Haft verurteilen sollte, endete mit den Worten: „Mein teuerstes Ideal ist eine freie und demokratische Gesellschaft, in der alle in Harmonie mit gleichen Chancen leben. Es ist ein Ideal, für welches ich hoffe zu leben und das ich hoffe zu erreichen. Doch wenn es notwendig ist, ist es ein Ideal, für das ich zu sterben bereit bin.“ Nelson Mandela lernte, ein Held zu sein, weil es keine Alternative gab. Wann, wenn nicht jetzt wäre es an der Zeit, sich daran ein Beispiel zu nehmen? Tanja Brandes

Die Skeptikerin: Michelle Obama - „Becoming“

Streng genommen passt das Buch von Michelle Obama gar nicht auf diese Seite, denn trotz ihrer Jahre als First Lady im Weißen Haus ist sie keine Politikerin. Wenn die Schilderungen in ihrer Autobiografie halbwegs ehrlich sind, wird sie wohl auch keinen Wahlkampf in eigener Sache bestreiten. „Becoming“ aber ist dennoch ein sehr politisches Buch. Wie sollte es auch anders sein: Eine Frau, schwarz und ehrgeizig, die ihr Studium durchzieht und dann Beruf und Familie unter einen Hut zu kriegen versucht, wie könnte die ein unpolitisches Buch schreiben, wenn sie ihr „Werden“ schildert? Dass ihr Ehemann Politiker und US-Präsident war, kommt natürlich noch hinzu. Das Buch wäre aber nicht weniger lesenswert, wenn das Weiße Haus keine Etappe ihres Lebens gewesen wäre. Um ehrlich zu sein: Die Beschreibungen des unsteten Lebens im Rampenlicht sind die langweiligeren Passagen des Buches.

Michelle Obama ist ganz offensichtlich keine Schwärmerin. Der nüchterne Ton macht die Lektüre angenehm, streckenweise hinreißend. Etwa, wenn sie die schildert, wie gespannt ihr Mann – den sie damals noch nicht kannte – vor seinem ersten Praktikumstag in der Anwaltskanzlei erwartet wurde. Offenbar eilte ihm ein Ruf als Wunderknabe voraus. „Ich blieb skeptisch“, schreibt sie. „Meiner Meinung nach brauchte man irgendeinen halbwegs intelligenten schwarzen Mann nur in einen Anzug stecken, und schon flippten die Weißen aus.“

Ähnlich sachlich beschreibt sie sich und ihre mal erfolgreichen, mal weniger erfolgreichen Versuche, als Kontrollfreak die Regie über ihr Leben zu behalten. Ein ernsthaftes Buch einer ernsthaften Frau, die etwas zu sagen hat. Christine Dankbar

Was zwischen West und Ost falsch gelaufen ist: Gregor Gysi - "Ein Leben ist zu wenig“

"Ein Leben ist zu wenig“, so hat Gregor Gysi seine Autobiografie genannt. Und so beschreibt er seine diversen Leben – als Familienmensch, Anwalt, Politiker, Autor. Doch entscheidend sind vor allem diese beiden Leben, die er mit vielen Millionen anderen Deutschen teilt: Das erste Leben in der DDR und das zweite im vereinigten Deutschland. Das zweite hätte es ohne das erste nicht gegeben, und ohne diesen Bruch hätte es den Politiker Gregor Gysi nicht gegeben.

Das öffentliche Interesse an dem Mann rührt allein aus diesem Beruf, dieser Berufung, der er während der friedlichen Revolution 1989/90 gefolgt ist. Da war er 41 Jahre alt und hatte bis dahin ein nach DDR-Kriterien privilegiertes Dasein geführt. Ein vielbeschäftigter Anwalt aus einer prominenten Familie, ein SED-Mitglied mit einer bestimmten kritischen Distanz, aber gewiss nicht in Opposition zu dem von ihr geführten Staat.

Aus diesem angesehenen Mitglied der herrschenden Schicht in der DDR wird 1990 in der Bundesrepublik ein Outlaw, ein verhasster, verfolgter, bedrohter Fremdkörper. Der Kampf gegen diese Verletzung seiner Würde und seiner Eitelkeit, das ist die eigentliche Lebensgeschichte, die den 71-Jährigen in seinem Buch umtreibt. Es ist eine lehrreiche Geschichte, aus der man viel darüber lernen kann, was im Zusammenwachsen zwischen West und Ost falsch gelaufen ist. Es ist deshalb ein hochaktuelles Buch. Und man versteht, weshalb die PDS lange als die Partei, die Anwältin der Ostdeutschen wahrgenommen wurde – und heute nicht mehr. Holger Schmale

Als das Denkbare machbar wurde: Henrik Berggren - „Vor uns liegen wunderbare Tage“

Kennen Sie den Namen des schwedischen Ministerpräsidenten? Wahrscheinlich nicht, und das ist okay. Der Sozialdemokrat Stefan Löfven ist ein ähnlicher Typ wie Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller – nüchtern, etwas bürokratisch, das Machbare fest im Blick und dabei nie in Gefahr, sich vom Denkbaren beirren zu lassen.

Vor fünfzig Jahren hätte einer wie Löfven in Schweden kaum eine Chance gehabt, an die Spitze zu kommen. Es war die Zeit von Olof Palme. Diese Woche ist es genau ein halbes Jahrhundert her, dass der Sozialdemokrat Regierungschef wurde und die wohl aufregendsten Jahre der schwedischen Zeitgeschichte begannen.

Lange war das Gedenken an Palme überschattet von seiner bis heute ungeklärten Ermordung auf offener Straße am 28. Februar 1986. Der Journalist Henrik Berggren hat mit seiner Biografie „Vor uns liegen wunderbare Tage“ geholfen, Palmes beispielloses politisches Wirken in Erinnerung zu rufen.

Sein Buch ist eine packende politische Erzählung von universeller Gültigkeit, man muss Schweden nicht gut kennen, um sie zu verstehen. Es ist die Erzählung eines Aristokraten, der gegen jede Wahrscheinlichkeit zum Kämpfer für eine starke Gesellschaft wurde – er selbst nannte sich einen demokratischen Sozialisten. Es ist die Erzählung eines Politikers, der seinem kleinen Land eine Vermittlerrolle zwischen den Großmächten verschaffte und so die Weltbühne eroberte. Und es ist die Erzählung eines Mannes, der feministischen Anliegen nicht nur Gehör schenkte, sondern sie durchsetzte, und zwar rasch und radikal. 1971 schaffte Schweden das Ehegattensplitting ab, kurz darauf führte Palmes Regierung das Elterngeld ein. Die Bundesrepublik ist heute noch nicht so weit wie Schweden in Palmes Jahren.

„Politik heißt, etwas zu wollen“, sagte Olof Palme in einem Interview. Nur so wird schließlich das Denkbare machbar. Frederik Bombosch