Pop-up-Radwege, 29-Euro-Ticket, Friedrichstraße: Was plant die CDU/SPD-Koalition?
CDU und SPD sprechen über den Verkehr in Berlin. Dabei geht es auch darum, was mit Projekten der Grünen passiert. Ein Streitthema wird bisher aber ausgespart.

Bettina Jarasch ist Senatorin auf Zeit. Nicht mehr lange, dann muss die Grünen-Politikerin ihren Posten räumen. Die große Koalition wird voraussichtlich ab Ende April 2023 auch das Mobilitätsressort übernehmen. Wie geht es weiter mit früheren Projekten aus dem Berliner Verkehrsbereich? Was planen CDU und SPD? Ein aktueller Überblick.
Pop-up-Radwege – was geschehen ist: Zu Beginn der Corona-Pandemie 2020 machte das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg weltweit Schlagzeilen. Damit Radfahrer in Zeiten der Pandemie Abstand halten können, wurden in Zusammenarbeit mit der Verkehrslenkung Berlin auf mehreren Straßen mit gelben Folien provisorische Radfahrstreifen markiert. Es handelte sich um Abschnitte, für die solche Radverkehrsanlagen bereits angeordnet waren. In Friedrichshain-Kreuzberg wurden im Frühjahr und Sommer 2020 elf Pop-up-Radwege und Pop-up-Fahrradstraßen mit 16,36 Kilometern Gesamtlänge eingerichtet. Weitere Bezirke folgte, doch das Team von Felix Weisbrich, dem Leiter des Straßen- und Grünflächenamts, blieb Spitzenreiter.
Pop-up-Radwege – was nun passiert: Inzwischen sind die gelben Markierungen fast überall verschwunden. Doch die Radfahrstreifen sind weiterhin da, sie sind nun Teil der permanenten Infrastruktur. 2021 wurden allein in Friedrichshain-Kreuzberg 10,36 Kilometer Pop-up-Radwege und -Fahrradstraßen „verstetigt“, etwa auf dem Kottbusser Damm. 2022 folgte unter anderem der Radstreifen in der Frankfurter Allee. Zwar hatte das Verwaltungsgericht die Pop-up-Radwege nach einer Klage eines AfD-Abgeordneten 2020 für rechtswidrig erklärt. Doch die nächste Instanz hob die Entscheidung unanfechtbar auf. Wie geht es jetzt weiter mit dem Ausbau des Radverkehrsnetzes? Dazu das Sondierungspapier von CDU und SPD vom 9. März: „Wir legen gemeinsam größten Wert darauf, dass das Fahrradfahren in unserer Stadt sicherer und attraktiver wird. Dafür werden wir mehr sichere Radwege schaffen und gefährliche Kreuzungsbereiche umbauen. Den Radverkehrsplan werden wir bedarfsgerecht weiterentwickeln.“

Friedrichstraße – was geschehen ist: Als Rot-Grün-Rot 2016 eine fußgängerfreundliche Umgestaltung der Straße Unter den Linden in Aussicht stellte, hielt der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) die Friedrichstraße für besser geeignet. Bei der SPD stieß das auf Sympathie. Im Sommer 2020 wurde ein 500 Meter langer Abschnitt als „Flaniermeile“ für Fußgänger geöffnet, ein Radweg entstand. Nach dem Verkehrsversuch, den Grünen-Politiker in Bezirk und Senat zu einem zentralen Projekt der Mobilitätswende ausgerufen hatten, blieb er für Kraftfahrzeuge gesperrt. Nachdem sich eine Anliegerin der Charlottenstraße vor Gericht durchgesetzt wurde, durften ab November 2022 wieder Autos fahren. Ende Januar hat das Bezirksamt den Abschnitt erneut gesperrt – nun im Wege einer dauerhaften „Teileinziehung“.
Friedrichstraße – was nun passiert: Immer wieder kam es zwischen SPD-Spitzenfrau Franziska Giffey und Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) zum Schlagabtausch. „Erst sperren, dann planen, ist keine gute Lösung“, so Giffey. Auch Kai Wegner (CDU), künftiger Regierender Bürgermeister, machte aus seiner Ablehnung keinen Hehl. Im gemeinsamen Sondierungspapier von CDU und SPD heißt es jetzt: „Das aktuelle Erscheinungsbild der Friedrichstraße ist nicht akzeptabel. Es wird gemeinsam mit Anwohnerinnen und Anwohnern sowie mit Gewerbetreibenden an Lösungen für eine Stadtraumgestaltung gearbeitet, die die Entwicklung der gesamten historischen Mitte in den Blick nimmt, die Aufenthaltsqualität erhöht und einer modernen europäischen Metropole gerecht wird.“ Das klingt nicht danach, dass bald wieder Autos fahren. Ob der Senat die Anordnung des Bezirks aufheben kann, gilt ebenfalls als unwahrscheinlich. Anwohner haben Widerspruch eingelegt und sehen Kai Wegner auf ihrer Seite.
Busspuren – was geschehen ist: Wenn Busse und Straßenbahnen nicht im Stau stehen, gewinnen nicht nur tagtäglich viele Tausend Fahrgäste wertvolle Lebenszeit. Auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) profitieren, weil sie weniger Fahrzeuge und Personal braucht, wenn die Linien schneller abgefahren werden können. Das Netz der Busspuren in Berlin wuchs von 1990 bis 2000, also auch unter CDU-Ägide, von knapp 34 auf fast 100 Kilometer. Es folgten Jahre der Stagnation. Seit 2016, als das Verkehrsressort im Senat von der SPD zu den Grünen wechselte, nahm es wieder zu, um mehr als 20 Kilometer auf fast 123 Kilometer. Weitere elf Kilometer Busspuren sind angeordnet. Allerdings bremsen weiterhin viele Regularien den Ausbau – und die Bezirke sehen sich oft überfordert.
Werden Richter weitere Busspur-Anordnungen kippen?
Busspuren – was nun passiert: Dass sich der Senat prinzipiell gegen weitere Bussonderfahrstreifen stellt, ist nicht zu erwarten. Die Facharbeitsgruppe der großen Koalition, die bis Ende März einen Entwurf zum Thema Mobilität vorlegen soll, hat mit dem Vorsitzenden Sven Heinemann (SPD) und dem CDU-Experten Alexander Kaczmarek nahverkehrsaffine Mitglieder. Probleme drohen eher von anderer Seite. In einer Eilentscheidung von August 2022 gab das Verwaltungsgericht Anwohnern der Clayallee in Zehlendorf recht, die gegen die Busspur vor ihren Häusern Widerspruch eingelegt und dann geklagt hatten. Neue Busspuren wurden in Berlin seitdem nicht mehr markiert. Auch gegen andere Busspur-Anordnungen laufen Widerspruchsverfahren.
Graefekiez ohne Parkplätze – was geschehen ist: Das Wohnviertel südlich vom Landwehrkanal in Kreuzberg soll Schauplatz eines weiteren Mobilitätswende-Experiments werden. Zusammen mit Forschern des Wissenschaftszentrums Berlin will das von den Grünen dominierte Bezirksamt in diesem Frühjahr einen Modellversuch starten. In einem Teil des Graefekiezes soll es mehrere Monate lang nicht mehr zulässig sein, Autos abzustellen. Wo heute noch Kraftfahrzeuge stehen, soll der Platz in dieser Zeit anders genutzt werden – zum Spielen, Sitzen, für Sport oder Gastronomie. Behindertenparkplätze und Carsharing soll es aber weiterhin geben, auch werden die Fahrbahnen nicht für Kraftfahrzeuge gesperrt. Weil zu Recht erwartet wird, dass die Überwachung der Parkverbote auf Probleme stößt, wurde das Versuchsgebiet verkleinert.
Mobilitätswende-Experiment in Kreuzberg soll stattfinden
Graefekiez ohne Parkplätze – was nun passiert: Bislang stand die Senatsverwaltung für Mobilität dem Modellversuch positiv gegenüber. Wenn nun die Grünen-Politikerin Bettina Jarasch den Chefposten an die große Koalition abgeben muss, könnte sich das ändern. Zwar stehen die Sozialdemokraten in Friedrichshain-Kreuzberg dem Test positiv gegenüber, doch die Bezirks-CDU hat dagegen einen Einwohnerantrag initiiert. Der Christdemokrat Timur Husein, selbst Anwalt, rechnet mit Klagen. Doch trotz des veränderten Umfelds hält Bezirksstadträtin Annika Gerold (Grüne) an dem Vorhaben fest. Am kommenden Dienstag will sie den „konkreten Rahmen für das Verkehrsprojekt“ öffentlich vorstellen. „Das Projekt findet statt“, heißt es in ihrem Umfeld.
Verkehrswende – wie geht es weiter? Im Sondierungspapier vom 9. März bekennen sich die Parteien der großen Koalition zur Verkehrswende. Doch die Formulierungen lassen einen moderaten Kurs erwarten, der sich nicht nur von grünen Verbalradikalismen unterscheidet, sondern auch eine langsamere Gangart erwarten lässt. Originalton: „Wir wollen für ein Mobilitätsangebot sorgen, das den verschiedenen Bedürfnissen der Berlinerinnen und Berliner in ihrer jeweiligen Lebenslage gerecht wird. Wir sind uns der Notwendigkeit einer Verkehrswende ebenso bewusst wie der Notwendigkeit, sie sozial und im gesellschaftlichen Miteinander zu gestalten. Deshalb werden wir stärker als bislang den Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Bedürfnissen der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer suchen.“
Kein Wort zur Verlängerung der Autobahn A100
Bleibt das 29-Euro-Ticket? Das preiswerte Monatsticket für das Berliner Stadtgebiet soll bleiben – das war eine der wenigen Sachaussagen, mit denen die SPD in den Wahlkampf zur Wiederholungswahl zogen. Der Erhalt des 29-Euro-Tickets liegt ihnen am Herzen, auch wenn dies allein bei der BVG zusätzliche Ausgleichszahlungen in dreistelliger Millionenhöhe erfordern würde. Doch das Sondierungspapier der CDU und SPD ist unmissverständlich: „Mit einem unbefristeten 29-Euro-Ticket für alle und einem Sozialticket für 9 Euro wollen wir den ÖPNV als klimafreundliches Fortbewegungsmittel noch attraktiver machen. Wir streben dabei eine Lösung unter dem Dach des VBB an“ – gemeint ist der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg. Dort haben aber die Brandenburger durchgesetzt, dass das 29-Euro-Ticket längstens bis Ende April 2023 angeboten wird. Sie befürchten, dass Fahrgäste abwandern.
Werden weitere Straßen gebaut? Dazu enthält das gemeinsame Sondierungspapier nur ein Beispiel: die geplante Tangentialverbindung Ost, kurz TVO, die zwischen Marzahn und Köpenick eine Lücke im Straßennetz schließen soll. „Die Planungen für die TVO wollen wir schnell zu einem erfolgreichen Abschluss bringen und schnellstmöglich verbindliche Planungsentscheidungen treffen“, so die Christ- und Sozialdemokraten. Es ist ein Projekt, das auch von Senatorin Jarasch (Grüne) unterstützt wurde. Zu einem potenziellen Streitthema innerhalb der großen Koalition, der Verlängerung der Autobahn A100 nach Friedrichshain und Lichtenberg, enthält das Papier keine Aussage.