Pro-Erdogan-Demo : Anhänger feiern ihren Präsidenten als Verteidiger der Demokratie
Köln - „Allahu akbar“ schallt es am Sonntagnachmittag im Kölner Stadtteil Deutz, der arabische Ruf bedeutet „Gott ist groß“. Tausende Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan haben sich trotz Regens auf einer Freifläche am Rhein, der Deutzer Werft, versammelt.
Mit der umstrittenen Großdemonstration wollen sie zwei Wochen nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei ihre Solidarität mit dem Präsident en bekunden. Viele Pro-Erdogan-Demonstranten schwenken türkische Fahnen, einige auch die deutsche Flagge. „Alles, was ich hier sehe, erinnert mich an Köln, an Deutschland, an türkische Mitbürger in Europa“, ruft der Moderator.
Es ist 15 Uhr, eine erste Lobeshymne auf den türkischen Präsidenten Erdogan ist bereits gehalten. Es werden an diesem Nachmittag weitere folgen. 30.000 bis 40.000 Menschen, so schätzt die Polizei, sind auf der Deutzer Werft versammelt. „Ist Deutschland hier, ist Belgien hier, ist die Schweiz hier, ist Dänemark hier, ist Europa hier?“, fragt der Moderator. Die Menge antwortet: „Ja.“ Die türkische und die deutsche Nationalhymne erklingen. Es ist der erste Höhepunkt eines Nachmittags, wie ihn Köln noch nicht erlebt hat.
„Wir wollen die Todesstrafe“
Nach einer Gedenkminute für die Opfer des Putsches, aber auch für die der jüngsten Terroranschläge in Europa, fordert der Moderator die Demonstranten auf, „Wir sind Deutschland“ zu rufen. Die Antwort fällt anders aus. „Allahu akbar“, ruft die Menge. Die Demonstranten eint ein Gefühl. Alle haben den Eindruck, ganz Europa ist gegen die Türkei. Oder besser: Ganz Europa ist gegen Erdogan.
Auch Cihan Postaci denkt so. Der 47-Jährige ist als Kind nach Deutschland gekommen, heute lebt er im nordrhein-westfälischem Neuss. Erdogan habe den Militärputsch niedergeschlagen, er habe die Demokratie verteidigt und ganz Europa bezeichne ihn deshalb jetzt als Diktator, beklagt Cihan Postaci. „Und das machen die gleichen Politiker, die ihn gleichzeitig darum bitten, das Flüchtlingsproblem zu lösen.“ Die Türkei werde ihren Weg gehen. Und wenn das Parlament in Ankara über eine vorübergehende Einführung der Todesstrafe als Folge des Militärputsches abstimmen werde, müsse man dem folgen. Das sei schließlich auch ein demokratischer Vorgang.
Dass sich die Türkei spätestens damit ihrer Chance beraube, jemals Mitglied der Europäischen Union zu werden, sei egal. „Man will uns doch gar nicht in Europa. Und wir wollen auch nicht mehr in die EU.“ Darüber müsse es ein Referendum in der Türkei geben. Später wird die Menge noch skandieren: „Wir wollen die Todesstrafe.“
So wie Postaci denken die meisten auf der Deutzer Werft. Die Türkei stehe am Pranger, in ganz Europa, aber vor allem in Deutschland. Auf der Bühne wird eine Erklärung der türkischen Nationalversammlung verlesen. „Das Parlament des Volkes wird die Initiatoren dieses auf die Nation und den Volkswillen gerichteten Angriffs aufs Schwerste zur Rechenschaft ziehen“, heißt es darin. Ein türkisches Volkslied erklingt, die Namen der Todesopfer des Militärputsches werden verlesen. Die Menge schreit nach jedem Namen: „Hier“.
Kritik an Karlsruher Entscheidung
Kölns Polizeipräsident Jürgen Mathies verfolgt die Kundgebung zeitweise hinter der Bühne. Insgesamt 2700 Polizeibeamte sind im Einsatz, auch Wasserwerfer stehen bereit. Aber die Lage ist entspannt. Zu den befürchteten Ausschreitungen kommt es nicht.
Vorab hatte die Polizei den Veranstaltern noch einmal klar gemacht, dass sie die Videowände sofort abschalten wird, sollten die Auflagen der Gerichte missachtet werden. Diese sehen vor, dass nur die Reden übertragen werden. Selbst Kameraschwenks auf die Demonstranten darf es nicht geben.
Das Bundesverfassungsgericht hatte am Sonnabend einen Antrag der Veranstalter abgelehnt, Erdogan bei der Demonstration seiner Anhänger in Köln aus Ankara zuzuschalten.
Die Türkei kritisiert das am Sonntag scharf: Dies sei „unannehmbar“, erklärte Präsidentensprecher Ibrahim Kali. Es handele sich um einen Verstoß gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Ankara hoffe auf eine „zufriedenstellende Erklärung“ der deutschen Behörden.
Bedauerlich findet die Auflagen auch Bülent Bilgi von der Union Europäischer Türkischer Demokraten (UETD). Die der türkischen Regierungspartei AKP nahestehende Organisation hat die Kundgebung maßgeblich organisiert. „Das ist die Entscheidung der Gerichte und wir haben sie zu akzeptieren“, sagt der UETD-Funktionär.
Die Kritik, die türkische Gemeinschaft in Deutschland nutze alle demokratischen Grundrechte, um für Erdogan zu demonstrieren, während dieser in der Türkei gerade dabei sei, die Demokratie abzuschaffen, teilt Bülent Bilgi nicht. „Wenn das so wäre, dürften hier niemand von der Opposition auftreten.“
Ein Redner ist extra aus Ankara angereist – der in Deutschland geborene Sport- und Jugendminister Akif Cagatay Kilic. „Die Botschaft, die von der Veranstaltung ausgehen soll, ist, dass in der Türkei alle Parteien und Nichtregierungsorganisationen zusammen gegen den Putsch stehen und die Demokratie verteidigen wollen“, hatte er Journalisten vor der Kundgebung gesagt. Auch Kilic kritisiert, dass die Videoansprache Erdogans nicht zugelassen worden ist. Letztlich wird ein Grußwort des Präsidenten verlesen, in dem er seinen Anhängern für die Unterstützung dankt.
Präsident als Held gefeiert
Metin Külünk, Abgeordneter der türkischen Regierungspartei AKP aus Istanbul, zeigt sich bei der Kundgebung enttäuscht über die mangelnde Unterstützung aus Europa. In der EU lebten zehn Millionen Türken, mehr als drei Millionen davon in Deutschland. „Ich hätte erwartet, dass Deutschland und die gesamten europäischen Mitgliedsstaaten sich mit der Türkei solidarisiert und Erdogan persönlich zur Niederschlagung des Putsches gratuliert hätten.“ Erdogan sei „ein Held der Freiheit, ein Held der Menschenrechte“. Spätestens nach dieser Aussage ist klar, dass es bei der Kundgebung nicht bloß um den Putsch geht. Sie ist eine Demonstration für den Staatspräsidenten. „Woher nimmt das türkische Volk seine Kraft?“, ruft der Moderator in die Menge. „Recep Tayyip Erdogan“, antwortet sie. Wieder setzt die Musik ein, die Bässe wummern. Die Kundgebung erreicht ihren Höhepunkt.
Mitten auf dem Gelände stehen drei junge Türken, aus Süddeutschland nach Köln angereist. Oder besser, deutsche Staatsbürger mit türkischen Wurzeln. Sie haben die türkische Nationalflaggen um die Hüften geschwungen. Sie gehören der dritten Generation an, ihr Herkunftsland kennen sie von ein paar Reisen und aus den Erzählungen ihrer Eltern. Erdogan habe nichts anderes getan, als die Demokratie verteidigt, sagt einer von ihnen. „Wir verstehen nicht, dass ihr das nicht versteht. Es geht um unseren Glauben, unsere Kultur, es geht um unser Land.“ Zwei Stunden später sitzen sie wieder in ihrem Reisebus – auf dem Weg nach Hause. In die Heimat, nach Baden-Württemberg.