Protest vor dem Rathaus: Giffey will sich für Flaggen-Verbot nicht entschuldigen
Streit um Gleichsetzung von Ukrainern und Russen zum 77. Jahrestag der Befreiung. Franziska Giffey beschwichtigt, den Begriff Entschuldigung vermeidet sie.

Der Flaggenstreit geht weiter – und der Berliner Senat sucht nach einem Ventil, den Druck abzulassen. War es richtig, zum 77. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung vom Nationalsozialismus russische und ukrainische Veranstaltungen in der Stadt gleichermaßen zu reglementieren?
Die Opposition spricht von einer „politischen Fehlleistung sondergleichen“ und fordert eine Entschuldigung der Regierenden Bürgermeisterin. Am Dienstag nutzte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) eine Demonstration vor ihrem Amtssitz für einen Befreiungsversuch.
Giffey bemüht sich um eine Erklärung
Berlins Regierungschefin hat am Dienstag die Gelegenheit ergriffen, öffentlich die Politik des Senats zu erklären und gleichzeitig ihre Solidarität mit der Ukraine zu erklären. Am Nachmittag versammelten sich rund 150 wütende Menschen vor dem Roten Rathaus. Sie klagten über die Gleichsetzung von ukrainischen und russischen Symbolen. Das sei angesichts des Angriffskriegs Russland auf die Ukraine unerträglich.
Im Kern ging es um eine Allgemeinverfügung der Berliner Polizei für den 8. und 9. Mai, die Gedenktage zum 77. Jahrestag der Befreiung des Nationalsozialismus und des Kriegsendes. Die Verfügung wurde vorige Woche veröffentlicht. Sie sah vor, dass an beiden Gedenktagen an 15 Orten in der Stadt – darunter die drei sowjetischen Ehrenmale – weder russische noch ukrainische Flaggen gezeigt oder Marsch- beziehungsweise Militärlieder gesungen werden durften. Eine Ausnahme gab es nur für die Delegationen von Botschaften.
Eine politische Entscheidung von @spdberlin und @dielinkeberlin 🤬
— Stefan Hennewig (@StefanHennewig) May 8, 2022
Man kann sich nur dafür schämen 😔pic.twitter.com/ACV7Qz4eg2
Sinn und Zweck der Allgemeinverfügung sei es gewesen, „einen friedlichen Verlauf und ein würdevolles Gedenken“ zu ermöglichen und zu gewährleisten, so Giffey. Das habe nicht mit einer etwaigen Gleichbehandlung von Tätern und Opfern des aktuellen Krieges zu tun. Aber, so Giffey: „Wir haben eine Verantwortung für unsere Kriegsgräber.“
Aktivistin: Der Montag war ein schrecklicher Tag für Ukrainer in Berlin
Die ukrainische Aktivistin Eva Yakobovska berichtete bei der Kundgebung vor dem Roten Rathaus davon, dass der Montag für Ukrainer in Berlin ein unsicherer Tag gewesen sei. Während vielerorts russische Symbole zu sehen gewesen und viele Russen oder ihre Sympathisanten provokant und teils auch aggressiv aufgetreten seien, sei das Tragen ukrainischer Farben untersagt worden. Ihr selbst sei der Zugang zum Sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten mit Verweis auf ein gelb-blaues Armband verwehrt worden. Es sei für Ukrainer „ein schrecklicher Tag“ gewesen.
Regierungschefin Giffey sagte eine Untersuchung der Polizeihandlungen zu. Und sie gestand ein, dass die Gleichsetzung der Ukraine mit Russland im Text der Allgemeinverfügung der Polizei „besser hätte formuliert sein sollen“. Der Begriff Entschuldigung kam ihr nicht über die Lippen.
Am Ende erhält Franziska Giffey Applaus von den Ukrainern
Am Ende nutzte Giffey die Gelegenheit, um die Ukrainerinnen und Ukrainer der vollen Solidarität des Berliner Senats zu versichern. Es gebe eine gewaltige Hilfsbereitschaft für inzwischen möglicherweise 100.000 ukrainische Flüchtlinge in der Stadt. „We stand with the Ukraine“, sagte sie und verwies auf die vier ukrainischen Flaggen, die seit Kriegsbeginn vor dem Roten Rathaus wehen, sowie auf das blau-gelb angestrahlte Brandenburger Tor am Montagabend.
Bei den Demonstrierenden traf Giffey damit offenbar den Ton. Unter Applaus absolvierte sie die wenigen Meter zurück zu ihrem Amtssitz.
CDU-Generalsekretär Stefan Evers: Blamable Wirkung für Berlin
Bei der Opposition in Berlin hat die Regierende Bürgermeisterin naturgemäß einen schwereren Stand. Am Vormittag sprach CDU-Generalsekretär Stefan Evers in einem Gespräch mit der Berliner Zeitung von einem „politisch skandalösen Vorgang“ und einem „Desaster“. Die Gleichsetzung russischer und ukrainischer Flaggen und Symbole habe „eine blamable Wirkung für die Stadt in der ganzen Welt“.
Es sei „absurd, proukrainischen Veranstaltungen zu unterstellen, dass von dort ein Gewaltrisiko ausgehe“, so Evers. Für ihn ist klar: „Die Regierende Bürgermeisterin muss sich entschuldigen.“
Giffeys Auftritt am Nachmittag reiche nicht aus, sagte der CDU-Politiker anschließend. Die Demonstration habe gezeigt, wie sehr „das unsägliche Flaggenverbot des Senats ukrainische Menschen nicht nur in unserer Stadt erschüttert“ habe. Und weiter: „Ich hätte mir von Frau Giffey eine Entschuldigung für diese Entscheidung gewünscht – stattdessen waren nur Rechtfertigungen zu hören und Schuldzuweisungen an die Polizei. So geht es nicht.“ Umso wichtiger sei es, „dass Gerichte sich nun ausführlich mit dem Flaggenverbot beschäftigen werden.“
Zwei Gerichte widersprechen sich im Flaggenstreit
Tatsächlich hatte es am Montag innerhalb von drei Stunden zwei widersprechende Gerichtsentscheidungen gegeben. Erst hatte das Verwaltungsgericht einem Eilantrag zu einer Veranstaltung am Deutsch-Russischen Museum Karlshorst stattgegeben. Dort hatte die Polizei das Zeigen ukrainischer Flaggen und das Abspielen militärischer Musik mit dem Hinweis auf die Allgemeinverfügung untersagt. Ein Bürger hatte geklagt. Das Gericht gab dem statt, die Verfügung könne nicht für diese kleine Veranstaltung gelten. Von ihr gehe keine Gefahr aus.
Noch am Abend wurde das Verwaltungsgericht jedoch von der nächsthöheren Instanz, dem Oberverwaltungsgericht, überstimmt. Flaggen und Musik blieben daraufhin auch in Karlshorst verboten.