Prozess in Norwegen: "Breivik lebt in einer völlig anderen Realität"
Berlin - Er blickt tief in die ganz eigene Welt von Mördern und Attentätern. Hans-Ludwig Kröber ist in deutschen Gefängnissen und Gerichten Stammgast, er dürfte Deutschlands bekanntester Kriminal-Psychiater sein. Im Prozess gegen den Wetter-Moderator Jörg Kachelmann wurde seiner Expertise vertraut. In Norwegen steht derzeit der Attentäter Anders Behring Breivik vor Gericht. Kröber sieht starke Anhaltspunkte, dass sich bei ihm ein Verfolgungswahn samt Schizophrenie herausgebildet hat.
Herr Professor Kröber, die norwegischen Gutachter sind zu zwei entgegengesetzten Gutachten gelangt. Die einen sehen bei Anders Breivik eine „paranoide Schizophrenie“, die anderen widersprechen. Der Attentäter sei weder schizophren noch psychotisch. Wie kommen so extrem unterschiedliche Ergebnisse zustande?
Vom ersten Gutachten mit der Diagnose Schizophrenie liegt mir ein längerer Ausschnitt vor. Das zweite Gutachten kommt laut der Zusammenfassung zum Schluss, Breivik sei zum Zeitpunkt der Tat nicht psychotisch gewesen. Das ist eine kryptische Formulierung, weil es offen lässt, ob er möglicherweise zu einem anderen Zeitpunkt psychotisch war.
Viele Norweger schmerzt der Gedanke, der Mord an 77 meist jungen Menschen sei die Tat eines Verrückten, der dann noch nicht einmal schuldfähig wäre. Haben sich die Zweitgutachter möglicherweise vom Volkszorn beeinflussen lassen?
Die Volksseele möchte natürlich jeden Psychiater hinrichten, der darauf verweist, dass Breivik kein Terrorist ist wie Christian Klar oder Mohammed Atta, der einer der Attentäter des 11. September 2001 in New York war. Eine breite Koalition in Norwegen wünscht sich, dass Breivik voll schuldfähig ist. Viele dort wollen ihren Zorn leben und ihn als Terroristen bestraft sehen.
Ihre These lautet also, die Volksseele will Rache. Da passt es nicht, wenn Breivik psychisch krank wäre?
In Internetforen wird gegen ihn gewütet, man will ihn – wenn es schon keine Todesstrafe gibt – doch wenigstens lebenslang im Gefängnis sehen. Dabei wird allerdings übersehen, dass es in Norwegen keine lebenslangen Haftstrafen gibt.