Putin-Kritiker Chodorkowski: „Es gibt keine freien Wahlen in Russland“
Berlin - Als Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch wiedergewählt wird, gratuliert ihr der russische Präsident Wladimir Putin in einem Schreiben. Bereits am kommenden Sonntag wird Merkel diese Ehre wiederum Putin erweisen können – denn dass der 65-Jährige bei den Wahlen in Russland dann als Präsident bestätigt und seine vierte Amtszeit antreten wird, bezweifelt niemand. Auch nicht Michail Chodorkowski. Zehn Jahre verbrachte der einst mächtige Oligarch in russischen Straflagern, nachdem er Anfang der 2000er-Jahre die Korruption im Land angeprangert und Wladimir Putin öffentlich kritisiert hatte.
„Es gibt keine freien Wahlen“
Wegen Betrugs, Veruntreuung und Steuerhinterziehung war er verurteilt und 2013 schließlich begnadigt worden, letzteres wiederum mit der Maßgabe, sich künftig nicht mehr politisch zu engagieren. Und doch rief Chodorkowski bereits ein Jahr später die Demokratie-Plattform „Offenes Russland“ ins Leben, mit der er die Zivilgesellschaft des Landes stärken möchte.
In Berlin gibt Chodorkowski dieser Tage seine Sicht auf die politische Lage Russlands preis. Im Zentrum Liberale Moderne, einer 2017 von den ehemaligen Grünen-Politikern Marieluise Beck und Ralf Fücks gegründeten Denkfabrik, spricht der 54-Jährige von den russischen Wahlen lediglich in Anführungszeichen. „Es gibt dort keine freien Wahlen mit offenem politischen Ausgang, sondern bloß eine Bestätigung des Regimes“, lässt Chodorkowski übersetzen. Auch freie Medien mit einem großen Publikum gebe es in Russland nicht mehr, sagt er. Und Putin passe „wie ein Luchs“ darauf auf, dass sich das nicht ändere.
In einer Untersuchung habe „Offenes Russland“ festgestellt, dass Angestellte staatlicher Betriebe die Anordnung erhalten hätten, in bestimmten Wahllokalen zu erscheinen. „Wenn sie dort nicht das richtige Kreuz machen, werden sie ihre Arbeit verlieren“, sagt Chodorkowsi. Es ist ein überaus düsteres Bild, das Chodorkowski von der Gegenwart Russlands malt: Regiert von einem „Verbrechersyndikat“, durchtrieben von Korruption und Unterdrückung.
„Dem Kreml gegenüber muss man sich verhalten, als wenn man ein Polizist wär“, sagt Chodorkowski zu den Sanktionen, die EU, USA und nun Großbritannien Russland auferlegt haben: Konkrete Täter konkreter Straftaten müssten ermittelt und bestraft werden. „Es wird nicht gelingen, Russland als Staat zu ignorieren, zu isolieren und zu diskreditieren.“
Chodorkowski hält bewaffneten Aufstand für denkbar
Chodorkowski bietet in seinen Ausführungen keine Aussicht auf eine zeitnahe Ablösung Putins – im Gegenteil. Putin werde womöglich nach chinesischem Modell die Verfassung ändern wollen, um auch in sechs Jahren wieder als Präsident zu kandidieren, vielleicht sogar auf Lebenszeit. „Das bedeutet nicht, dass er mit dieser Nummer durchkommen wird“, sagt Chodorkowski. Der russische Dissident präsentiert sich indes als entschiedenen Gegner einer Vereinigung der Opposition zu einer Kraft. Ein solches Bündnis aus Menschen mit sehr unterschiedlichen Meinungen und politischen Ansichten könne auf Dauer nicht gelingen.
„Ein oppositionelles Bündnis mit einem Mann an der Spitze würde auch nur zu einer Reproduktion des autoritären Systems führen“, trägt Chodorkowski seinen zweiten Einwand vor. Wohl nur ein starker Präsident könne schließlich dafür sorgen, dass das weit verzweigte System der Korruption tatsächlich beendet werde. Die Entscheidung, in großem Umfang korrupte Beamte zu entlassen und ihnen nie wieder eine offizielle Funktion anzuvertrauen, könne aber nur von einem Präsidenten ausgehen, der sich nicht um seine Wiederwahl sorgen müsse – ein neuer Autokrat also.
Einen gewaltsamen Umsturz der Putin-Regierung hatte Michail Chodorkowski am Dienstag im Gespräch mit dem ZDF wohl unbedacht ins Spiel gebracht, als er sagte, die Leute in Russland seien noch nicht bereit für einen bewaffneten Aufstand. „Zweifellos ist es so“, sagt Chodorkowski einen Tag später auf Nachfrage, „dass – falls die gegenwärtige Situation im Land eingefroren sein sollte – die Möglichkeit einer gewaltsamen Lösung durchaus denkbar ist.“ Das stelle allerdings „eine unerwünschte Entwicklungsvariante“ dar.