Recep Tayyip Erdogan in Berlin: Deutschland gibt ein Stück Demokratie preis
Berlin - Der Deutschland-Besuch von Recep Tayyip Erdogan war ein Ritt auf der Rasierklinge. Bei einem solchen Ritt besteht stets die Gefahr, dass man sich schneidet. In Berlin blieben derlei Schnitte jetzt nicht aus.
Einerseits war die Visite des türkischen Präsidenten ein letztlich alternativloses Stück Realpolitik. Die Türkei ist und bleibt ein großes bedeutendes Land an der Schnittstelle zwischen Orient und Okzident. Es ist immer noch Mitglied der Nato und wird bei der Lösung des Syrien-Konflikts dringend benötigt. Ferner verschwinden autoritäre Regime ja nicht dadurch, dass man sie ignoriert. Und schließlich gibt es da etwas, was Deutschland und die Türkei in besonderer Weise verbindet: die rund drei Millionen türkischstämmigen Menschen, die in Deutschland leben.
Besuch polarisiert wie lange nicht mehr
Nur sollten, wenn ein Autokrat eine Demokratie besucht, die Spielregeln der Demokratie gelten. Das war jetzt nur bedingt so. Davon zeugt der Fall des Journalisten Ertugrul Yigit, der nichts anderes tat, als Freiheit für seine Berufskollegen einzufordern – und abgeführt wurde. Davon zeugt zudem der Fall des Journalisten Can Dündar, der zur Pressekonferenz hätte gehen können – und es unter dem Eindruck des Boykottaufrufs von Erdogan nicht tat. Schon lange hat ein Staatsbesuch die Bundesrepublik nicht mehr so polarisiert. Das letzte Mal vielleicht 1967, als der Schah von Persien kam. Damals starb Benno Ohnesorg.
Die von möglichen Demonstranten präventiv leer geräumten Straßen künden ebenfalls davon: Wir haben bei der Erdogan-Visite zu viel Eigenes und für eine Demokratie Konstitutives preisgegeben. Das sollte so schnell nicht wieder geschehen.