Rede zum Aufstand im Warschauer Ghetto: Steinmeier jammert und drischt Phrasen

Vor 80 Jahren erhoben sich die Juden Warschaus gegen ihre Nazi-Schlächter. Am Jahrestag sprach auch der Bundespräsident – es war die schlechteste Rede. Ein Kommentar.

Während der polnische Präsident Andrzej Duda spricht, hören Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (2.v.l.), dessen Frau Elke Büdenbender (l.), Dudas Frau Agata Kornhauser-Duda und Israels Präsident Isaac Herzog zu.
Während der polnische Präsident Andrzej Duda spricht, hören Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (2.v.l.), dessen Frau Elke Büdenbender (l.), Dudas Frau Agata Kornhauser-Duda und Israels Präsident Isaac Herzog zu.AFP

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat als erstes deutsches Staatsoberhaupt vor dem Denkmal der Helden des Ghettos in der polnischen Hauptstadt Warschau eine Rede gehalten. Seine Worte blieben – verglichen mit den Reden anderer Gäste – jedoch blass und floskelhaft.

Erster Redner der Veranstaltung war der Holocaust-Überlebende Marian Turski. Der 96-Jährige sprach mit fester Stimme drei Punkte an. Erstens wolle man an diesem Tag die Bewunderung für die Kämpfer und die Bewohner des Ghettos zeigen. Zweitens wolle man Fragen stellen: „Wie konnte das passieren?“ Und: „Warum gibt es den Antisemitismus heute noch?“

Drittens kam Turski auf den Ukraine-Krieg zu sprechen. „Darf ich schweigen, wenn heute die russische Armee den Nachbarn angreift? (...) Darf ich schweigen, wenn ich das Schicksal von Butscha sehe?“ Viele Menschen im Publikum hatten Tränen in den Augen. Turski mahnte: „Leute, seid nicht gleichgültig.“ Er schloss seine Rede mit dem Satz: „Ich klage alle an, die den Hass schüren.“ Einfache, aber eindrucksvolle Worte, die dem Zuhörer im Gedächtnis bleiben.

Der polnische Präsident Andrzej Duda sprach anschließend. Er klang wütend, blickte viel zurück auf die grausame Vergangenheit, ehrte die Helden im Warschauer Ghetto und klagte an. „Das war Entmenschlichung“, so das polnische Staatsoberhaupt über die Verbrechen der Nationalsozialisten. „Die Wut wuchs“, sagte er und meinte die Bewohner des Warschauer Ghettos. Er hätte aber auch die Wut der Polen auf die Deutschen heute meinen können.

Denn: Das deutsch-polnische Verhältnis ist angespannt. Die Polen fordern von den Deutschen Reparationszahlungen für die Verbrechen gegenüber der polnischen Bevölkerung während des Zweiten Weltkriegs. Deutschland lehnt das ab.

Das Warschauer Ghetto um 1941
Das Warschauer Ghetto um 1941Reinhard Schultz/imago

Auf Duda folgte eine eher versöhnliche Rede des israelischen Präsidenten, Jitzchak Herzog. Der Mut der Widerständigen liefere ein Fundament für die Verständigung der Völker. Er richtete seine Worte auch direkt an seinen deutschen Amtskollegen. Herzog dankte Steinmeier für seine „moralische Führung“.

Von „moralischer Führung“ war in Steinmeiers Rede allerdings wenig zu spüren. Hervorzuheben ist, dass der Bundespräsident mit jiddischen Worten einstieg. Die Sprache war weit verbreitet im Warschauer Ghetto. Dann aber jammerte er: Es sei „notwendig, aber schwer“ an diesen Ort an diesem Tag zu kommen. Klar, von ihm wurde viel erwartet, da er an dem Ort sprechen durfte, an dem Willy Brandt einst in jener außergewöhnlichen Geste auf die Knie fiel. Doch Selbstbespiegelung ist wirklich das Letzte, das man an solch einem Ort zu solch einem Anlass hören will.

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Steinmeiers Worte klangen wie zusammengesetzte Versatzstücke aus dem Floskelbuch. Ein Beispiel: „Die Heldinnen und Helden haben unvorstellbaren Mut gezeigt“. Man wollte Steinmeier hier zurufen: Name it! Zähl die Verbrechen doch auf! Ein weiteres Beispiel: „Ihr Mut strahlte auch hinein in die Gegenwart.“

Die Helden allerdings sind bedauerlicherweise keine Vorbilder für deutsche Kinder, weil diese sie nicht kennen. Es ist ein Versäumnis der Bildungspolitik, dass in deutschen Schulen Namen wie Marek Edelman oder Rachela Auerbach unbekannt sind. Ein letztes Beispiel: „Wir Deutsche wissen um unseren Auftrag.“ Wissen „wir“ das wirklich? Der Antisemitismus in Deutschland nimmt jedes Jahr zu. Erst vor einer Woche riefen Palästinenser auf einer Demo mitten in Berlin lauthals, „Tod den Juden“, und niemand schritt ein.

Floskeln und Phrasen: Bundespräsident Steinmeier während seiner Rede.
Floskeln und Phrasen: Bundespräsident Steinmeier während seiner Rede.AP

Steinmeier sprach viel von dem „Wunderwerk der Versöhnung“ zwischen Polen und Deutschen, doch diese Versöhnung ist nicht vollkommen, wie man angesichts vieler Konflikte zwischen den beiden Ländern immer wieder feststellen muss. Und wo ist das Denkmal für die Verbrechen an Polen und polnischen Juden in Berlin? Müsste Berlin nicht eine symbolische Partnerschaft mit Warschau schließen angesichts der Verbrechen, die Deutsche in der Stadt verübt haben?

Steinmeier hat die historische Chance verpasst, die Geste der Versöhnung, die die Polen den Deutschen mit der Einladung offerierten, zu erwidern.