Berlin - In der CDU ist eine überraschende Debatte ausgebrochen: Hatte sie der SPD einst vorgeworfen, sie wolle „auf roten Socken“ an die Macht, so streiten die Christdemokraten nun selbst darüber, ob sie offen für Koalitionen mit der Linkspartei sein müssen.
Vorläufiger Zwischenstand: Die Gegner solcher Zusammenarbeit sind klar in der Überzahl – sodass diejenigen, die über diese strategische Option sprechen wollten, ihre Gedankenspiele am Wochenende schnell wieder relativierten.
Ministerpräsident Günther löste Debatte aus
Ausgelöst hatte die Debatte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident und CDU-Landeschef Daniel Günther, der als erster West-Regierungschef der CDU sagte, in Ostdeutschland müsse seine Partei offen für Gespräche mit der Linken sein. „Wenn da vernünftige Menschen in der Linkspartei am Werk sind, vertut man sich nichts damit“, zitierte die Rheinische Post ihn am Samstag. „Wenn Wahlergebnisse es nicht hergeben sollten, dass gegen die Linke eine Koalition gebildet wird, muss trotzdem eine handlungsfähige Regierung gebildet werden. Da muss die CDU pragmatisch sein.“
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Die AfD bewertete Günther deutlich skeptischer: „Mir fallen aus jedem Bundesland Äußerungen von führenden AfD-Politikern ein, wo jedes Gespräch vollkommen unmöglich ist.“
Dass er sich da näher bei der Linken sieht, ist auch für diese ein zweifelhaftes Kompliment: Schon als Brandenburgs CDU-Vorsitzender Ingo Senftleben im Frühjahr ähnliche Töne angeschlagen hatte, erklärte Parteichefin Katja Kipping, „Die Linke steht für soziale Gerechtigkeit. Die CDU steht für Sozialchauvinismus. Das passt einfach nicht zusammen.“
Regierungsbildung gegen die AfD möglich?
Leiser räumten Linken-Landespolitiker freilich ein, dass „es natürlich passieren kann, dass in Brandenburg und möglicherweise auch in anderen Bundesländern eine Regierungsbildung gegen die AfD nur noch möglich ist, indem auch CDU und Linke zusammenarbeiten“, wie Berlins Linken-Chefin Katina Schubert einräumte. Doch taktisch brauchen sich Linke und Union als Gegner und müssen der AfD-Parole widerlegen, alle anderen Parteien seien ohnehin austauschbar.
Für eine schwarz-dunkelrote Koalition geworben hatte allerdings auch der Kieler Ministerpräsident nicht. „In Schleswig-Holstein ist sie für mich kein Gesprächspartner“, betonte Daniel Günther in seinem Interview. Im Osten gebe es aber „fast 30 Jahre nach dem Mauerfall auch durch eine Reihe regionaler Kooperationen ein gutes Stück Normalisierung zwischen CDU und Linken“.
Günther nahm damit Bezug auf Brandenburgs CDU-Chef Ingo Senftleben, der sagt, wenn die Union in Brandenburg stärkste Kraft werde, müsse sie für eine Regierungsbildung notfalls auch mit Linken und AfD sprechen. Allerdings nicht über Koalitionen.
Landtagswahlen 2019 sind Thema
So bereiten die in einem Jahr anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen den Parteien schon jetzt Kopfzerbrechen. Denn AfD und Linke finden im Osten mehr Wähler als im Rest Deutschlands, und weil FDP und Grüne dort traditionell schwächer sind, sind Regierungsbildungen schwierig. In Brandenburg etwa sind CDU, SPD und AfD derzeit etwa gleich stark. Offen ist, ob Grüne und FDP es ins Parlament schaffen und – so wie die Grünen in Sachsen-Anhalt – für ein Dreierbündnis zur Verfügung stünden. Ohne sie könnte aber eine schwarz-rote Koalition nur dann regieren, wenn AfD oder Linke sie tolerieren. Darüber müsste man wohl oder übel mit ihnen reden.
Das auszusprechen, geht auch den meisten CDU/CSU-Spitzenleuten zu weit. „Wir lehnen Zusammenarbeit mit Linken und AfD weiterhin klar ab“, erklärte CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer eilig. „Einige pragmatische Köpfe dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die programmatische Ausrichtung der Linkspartei bleibt, und die radikalen rechten Elemente der AfD auch.“
Keine Koalition „mit Extremisten von Links oder Rechts“
„Mit Extremisten von Links oder Rechts koalieren, kooperieren oder kollaborieren Christdemokraten nicht“, betonte CDU-Bundesvize und Innenminister der schwarz-grünen Landesregierung in Stuttgart. Darüber sei sich die Spitze der CDU einig – er wolle sie gleichwohl bei der nächsten Präsidiumssitzung damit befassen.
In Sachsen wird die Regierungsbildung nicht leichter: Dort war die AfD bei der Bundestagwahl stärkste Kraft, liegt inzwischen aber wieder hinter ihr und kurz vor der Linken, während SPD, FDP und Grüne einstellig sind. Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer nannte die Positionen von CDU und Linken nun jedenfalls „unvereinbar“.
Empörung und Verlust an „politischer Orientierung“?
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) reagierte regelrecht empört: „Die Empfehlung Daniel Günthers habe ich mit großer Verwunderung zur Kenntnis genommen“, sagte er dieser Zeitung. „Sie zeigt, dass unsere ostdeutsche Diktaturerfahrung in der nachwachsenden westdeutschen Politikergeneration nicht mehr präsent ist“, so Haseloff. „Ich habe Daniel Günther deshalb geschrieben, dass wir solche Fragen im Osten immer noch selbst entscheiden und wir in Sachsen-Anhalt mit der Kenia-Koalition deshalb auch bewusst eine Politik der Mitte ohne Linkspartei oder AfD machen.“ Jeder sollte in seinem Zuständigkeitsbereich bleiben, für den er politisch Verantwortung trägt und dort seine Erfahrungen einsetzen!“
Aus der CSU und vom konservativen Flügel der CDU hieß es in mehreren Variationen, was Bundestagsvizepräsident Hans-Peter Friedrich (CSU) einen Verlust an „politischer Orientierung“ bei „Teilen der CDU“ bezeichnete.
Günther ruderte noch am Samstagnachmittag: „Eine Koalition mit der Linkspartei lehne ich entschieden ab“, erklärte er. Ziel der Union müsse es sein, die politischen Ränder auf beiden Seiten klein zu halten.