Nato-Hochburg in Polen: In Rzeszów entsteht ein neues Ramstein
Eine Stadt im Karpatenvorland bekommt zusehends globale Bedeutung. Das liegt am Ukrainekrieg, der sich nur knapp hundert Kilometer entfernt abspielt. Eine Reportage.

Das Fenster zum Krieg befindet sich in Staszeks Kinderzimmer. Im Raum stehen ein Bett und jede Menge Spielzeug – darunter etwa zehn Modellflugzeuge. Die großen, echten Maschinen starten nicht weit entfernt vom Fenster des Fünfjährigen. Staszek ist noch zu klein und das Fenster zu hoch, als dass er die Flieger ohne Hocker sehen könnte. Doch hören kann er sie. Jeden Tag.
Etwa hundert Meter entfernt von dem Kinderzimmer im polnischen Rzeszów, im Südosten Polens, parken Dutzende Militärfahrzeuge in der Nähe der Landebahn des Flughafens Rzeszów-Jasionka. Bald kommen die Fahrzeuge, die hierher aus dem Westen transportiert wurden, in der Ukraine zum Einsatz. Sie müssen noch auf Lkws verladen und in die Ukraine gebracht werden. Staszek, seine Eltern und Geschwister können sie auf den Straßen ihrer Wohngegend am Flughafen sehen. Und das Dröhnen der Flugzeugmotoren hören. Der polnische Junge Staszek und seine Familie haben sich daran gewöhnt, in dem Haus mit dem Fenster zum Krieg zu wohnen. Mit Blick aufs Rollfeld, wo die Amerikaner die Hilfe für die Ukraine organisieren.

Bis vor einem Jahr ging es in Rzeszów noch recht ruhig zu. Die ältere Geschichte der Stadt, die in der Nähe der ukrainischen Grenze liegt, war geprägt von Landwirtschaft. Ein halbes Jahrtausend lang war Rzeszów zudem der wichtigste Handelsposten zwischen Lemberg und der ehemaligen polnischen Hauptstadt Krakau und produzierte Keramik, Schmuck und Glas. In den 2000er-Jahren kamen viele Unternehmer, darunter der Software-Riese Asseco, auch die Flugindustrie siedelte sich an. Die Stadt im Karpatenvorland wuchs. Jedoch in keinem Vergleich zu jetzt. 2022 kamen Amerikaner in großer Zahl, nur zwei Kilometer vom Flughafen entfernt.
Rzeszów, das Tor zur Ukraine
Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine flohen über Rzeszów in die Welt. Die kleine Großstadt im Süden Polens wurde zu einem humanitären und militärischen Hub für die Ukraine. In den ersten Kriegsmonaten musste man nur online auf Flightradar Flugrouten studieren und sah die vielen merkwürdig gekennzeichneten Militärmaschinen aus den USA oder Großbritannien in Rzeszów landen.

Was exakt verladen wurde, wissen wohl nur die Amerikaner. Was man aber ganz sicher sagen kann: Über Rzeszów begann der Westen, die Versorgung mit schweren Waffen für die Ukraine zu organisieren. Nun heißt es, dass der inoffizielle amerikanische Stützpunkt nahezu wichtiger sei als die Ramstein Air Base. Auch alle Staatsbesuche, die Selenskyj in Kiew treffen wollen, landen erst in Rzeszów. Dann werden sie zum Bahnhof ins nahe gelegene Przemysl gefahren, wo sie den Direktzug nach Kiew nehmen müssen. So wie Joe Biden im vergangenen Monat. So wie alle anderen Staatsoberhäupter der Welt.

Auch Biden musste in einem speziellen Abteil per Zug über Rzeszów und Przesmysl nach Kiew fahren. Von seiner Ladung in Rzeszów habe damals vorab fast niemand gewusst. Der polnische Präsident nicht. Auch die Mitarbeiter des Flughafens nicht, sagen Mitarbeiter des Flughafens. Später stellte sich heraus: Joe Biden flog mit einer vorher nicht als Präsidentenflugzeug gekennzeichneten Maschine aus Ramstein an. Selenskyj wiederum muss nach Rzeszów reisen, wenn er etwa nach London fliegen will. Es ist sein Drehkreuz für die Welt.

Die neue Internationalität
Ein Besuch von Konrad Fijołek, dem Bürgermeister von Rzeszów, im Zentrum der Stadt gibt Aufschluss darüber, wie sehr sich Rzeszów in den vergangenen zwölf Monaten verändert hat. Der Bürgermeister empfängt eine Gruppe von Journalisten im Rathaus am Marktplatz. Er trägt eine Schleife in blau-gelb, den Landesfarben der Ukraine, am Revers seines Anzugs. „Seit einem Jahr begrüßen wir unsere Gäste mit den Worten: ‚Willkommen im Zentrum der Welt‘“, sagt er lächelnd. Seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine sei Rzeszów „richtig international“ geworden. Der Anlass für den ungeahnten Aufschwung für die ehemalige Stadt am Rande Europas sei zwar traurig, doch jetzt mache man das Beste daraus.

Die neue Internationalität liege natürlich vor allem an den in Rzeszów stationierten Amerikanern. Sie kamen zu Tausenden Anfang Februar 2022, also noch vor Ausbruch des Krieges. Russische Truppen standen zu diesem Zeitpunkt bereits kurz vor der ukrainischen Grenze. Fijołek gibt zu, dass die Bewohner schon damals ahnten, dass etwas im Argen liege. Die USA hatten 4700 Soldaten der 82. Luftlandedivision aus North Carolina nach Polen verlegt, die zuvor in Afghanistan stationiert war. Sie verstärkten die bislang 4500 Soldaten, die die USA schon seit längerem in Polen stationiert haben. Es gibt keine offiziellen Angaben darüber, wie viele amerikanische Soldaten sich genau in Rzeszów befinden. Schätzungen von Ortsansässigen gehen von etwa 10.000 Personen aus.
„Als die Amerikaner Anfang Februar vergangenen Jahres kamen, ist uns schon bewusst geworden, dass etwas im Gange ist und der Krieg möglicherweise bald ausbricht“, sagt Fijołek. Der Bürgermeister verrät nur wenig über die Gäste aus dem Ausland. Vielleicht weiß er einfach nicht viel. „Wir kommunizieren nicht direkt mit den Amerikanern, halten uns aber gegenseitig auf dem Laufenden“, so der oberste Repräsentant von Rzeszów. Die Kommunikation gehe über das polnische Verteidigungsministerium. Fijołek deutet wie viele Gesprächspartner in Rzeszów an, dass die Amerikaner die Unterstützung für die Ukraine im Geheimen organisieren. Die Ortskräfte werden nur soweit informiert, wie es nötig sei. Man kann auch sagen: Der militärische Teil des Flughafens ist eine Black Box für Außenstehende.
Immer mehr Bars und Restaurants stellen sich auf die neuen Gäste ein. Ein Lokal im Zentrum heißt „Texas“, ein anderes wirbt mit der Aufschrift „Foodporn“ an seinen Markisen und wirkt, als befinde es sich mitten in den USA. Auf den Speisekarten der Restaurants: Burger und Rippchen mit BBQ-Soße. Am Tresen trifft man amerikanische Diplomaten. Fragt man sie, was sie hier tun oder wie viele Amerikaner sich konkret in Rzeszów befinden, werden sie schweigsam, weichen aus, reagieren auf die Journalistenfragen, als würden sie auf russische Spione treffen. Alles wirkt in Rzeszów streng geheim, insbesondere am Flughafen.

Der Bürgermeister sieht das alles entspannt. Er freut sich über die neuen Gäste. Amerikanische Soldaten seien erstaunt, erzählt er, dass es so günstig sei in Polen: „170 für ein Steak! Ein Amerikaner fragte, als er die Zahl auf einer Speisekarte sah: ‚Ist das in Zloty oder Dollar?‘“ Als er erfuhr, dass der Preis in der polnischen Währung angegeben war (etwa 40,- Euro), also vier Mal so billig wie in den USA, konnte er es nicht glauben, erzählt Fijołek und schmunzelt. Er rechnet damit, dass Rzeszów auch nach Ende des Krieges ein Drehkreuz bleiben wird für die Ukraine und damit auch für Europa. Er geht davon aus, dass die amerikanische Präsenz Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte andauern und die Stadt auf den Kopf stellen wird. Schon jetzt merken die Bewohner die Präsenz der Amerikaner: etwa mit Blick auf die vielen Soldaten in den öffentlichen Fitnesscentern und Bars.
Auf einer Terrasse des Flughafens Rzeszów-Jasionka
Der Journalist Artur Micek befasst sich mit militärischen Themen rund um die Ukraine. Am 3. Februar 2023 postete er einen Beitrag auf Twitter über Flugzeuge, die am Flughafen in Rzeszów-Jasionka gelandet sind. Demnach haben innerhalb von 48 Stunden kanadische, amerikanische, eine italienische und eine deutsche Transportmaschine den polnischen Flughafen, der sich rund 90 Kilometer von der ukrainischen Grenze befindet, erreicht. Am Wochenende Ende Februar etwa war ein arabischer Scheich zu Besuch. Er kam mit seinem Privatjet, um sich einen Überblick zu verschaffen über die Situation in der Ukraine. Angeblich aus Neugier. Neben den Maschinen für militärische Hilfe laden so gut wie jeden Tag internationale Delegationen in Rzeszów. Die Menschen haben sich daran gewöhnt.
W ramach ciekawostki, od wczoraj Rzeszów odwiedziło:
— Artur Micek (@Artur_Micek) February 3, 2023
- 4 B747 z USA
- 1 niemiecki A330 z Niemiec
- 1 samolot bez oznaczeń z Węgier
- 2 amerykanskie C-5 USA z Niemiec
- 1 B767 z Włoch
- 1 Dornier 328 z Niemiec
- 1 ukraiński AN-124-100 z Turcji
- 1 kanadyjski C-130 z Francji
Viele der Flug-Daten sind öffentlich über Flightradar24.com einsehbar. Offizielle Bestätigungen seitens des Flughafens gibt es nicht. Sicher ist, dass die von Micek aufgelisteten Landungen der Transportmaschinen kein Einzelfall sind. Der Flughafen fasste in den ersten Wochen nach Ausbruch des Krieges Anfang April vergangenen Jahres gegenüber polnischen Medien die Landungen zusammen. Demnach wurden bis Dienstag, den 5. April 2022, 402 große Transportflugzeuge und 35 Evakuierungsflüge abgefertigt. Das sind im Durchschnitt rund 11 Flugzeuge pro Tag. Am Flughafen in Rzeszów wurde außerdem ein medizinisches Hilfszentrum aufgebaut, mithilfe dessen verletzte Ukrainer in europäische Krankenhäuser geflogen werden.
Vorab schonmal ein Video-Eindruck. Hinter dem Zaun sind die Patriot-Batterien der Amerikaner deutlich zu erkennen. pic.twitter.com/6ZzFIxnWHr
— Carola Tunk (@CarolaTunk) March 10, 2023
Auf einer Terrasse des Flughafens Rzeszów-Jasionka ist jetzt eines dieser Transportflugzeuge zu sehen. Eine große, dunkelgraue amerikanische C130-Cargo-Maschine wird gerade abgefertigt. Touristen bekommen sie nicht zu Gesicht. Flughafensprecher Waldemar Mazgaj sagt: „Es sind Maschinen, die wir nicht erwähnen, aber manchmal sehen.“ Und weiter: „Von dieser Seite kommen die meisten Flugzeuge, über die wir nicht sprechen.“ Der Mann zeigt nach links und passt auf, dass keine Schaulustigen auf die abgesperrte Terrasse kommen.
Einer der wichtigsten Flughäfen der Welt
Die amerikanischen Soldaten werden an einem anderen Check-in als Privatpassagiere abgefertigt, damit sie kein Aufsehen erregen und den Menschen keine Angst einjagen. Oft tragen sie Waffen bei sich. Ein blaues Tor in der Nähe der Terrasse gilt laut Sprecher Mazgaj als das „am besten bewachte Tor Europas“. Es wirkt unscheinbar, nur eine Soldatin steht davor. Man erreicht es nach ein paar Gehminuten vom Check-in für die Passagiere der Ryanair-Maschinen nach London. Was sich hinter diesem Tor verbirgt, wissen aber nur die Amerikaner.

Die Patriot-Luftabwehrraketenbatterien stehen auf dem Flughafenfeld. Ein Zaun mit Sichtschutz schützt sie vor neugierigen Blicken. Doch wer in einem hohen Auto sitzt, kann sie sehen. In Reih und Glied sind sie installiert, ausgerichtet in ein und dieselbe Richtung. Man sagt auch, der Flughafen von Rzeszów sei nicht nur der wichtigste, sondern auch der sicherste Flughafen der Welt.
Die Bedeutung des Drehkreuzes in Rzeszów wurde vor allem in den vergangenen Monaten deutlich. Immer mehr Journalisten reisten an und versuchten, diesen Ort am Rande Polens zu verstehen. Bloomberg bezeichnete die Stadt als „Tor zur Ukraine“. Rzeszów wird zunehmend eine Nato-Hochburg wie sie Incirlik im Süden der Türkei schon ist – oder Ramstein in Deutschland. In Incirlik lagern allerdings laut Experten auch amerikanische Atomwaffen vom Typ B-61 für Nato-Einsätze, nur rund 100 Kilometer vom Kriegsschauplatz Syrien entfernt. In Polen gibt es bislang keinen ständigen Militärstützpunkt der USA – auch Rzeszów gehört nicht dazu.
Der wichtigste Punkt der Erde
Es gibt jedoch immer mehr Stimmen, die die militärische Bedeutung Polens für die Nato betonen. „Wir haben uns sehr dafür eingesetzt, ich würde sagen, schon seit vielen Jahren, dass Polen eigentlich ein Ort sein sollte, an dem eine dauerhafte Basis von Truppen der USA unterhalten wird“, sagte Adrian Kubicki, polnischer Generalkonsul in New York, der gegenüber Vice News die beiden diplomatischen Besuche von Präsident Joe Biden in Warschau innerhalb eines Jahres hervorhob. Sie seien Beispiel für die wachsenden Sicherheitsbeziehungen zwischen den beiden Ländern. „Weil dies in Bezug auf die globale Sicherheit wahrscheinlich einer der wichtigsten, wenn nicht sogar der wichtigste Punkt der Erde ist“, so der Diplomat.

Neben amerikanischen Soldaten und Diplomaten kamen zum anderen etwa 30.000 bis 40.000 Flüchtlinge in die Stadt Rzeszów und blieben hier. Das sind rund 20 Prozent der Bevölkerung der 200.000-Einwohner-Stadt. Mit ihnen ließen sich unzählige Freiwillige und Hilfsorganisationen nieder. Der ukrainische Präsident verlieh der Stadt kürzlich gar den Titel „Stadt der Retter“.
Ein Teil der Flüchtlinge pendele zwischen der Ukraine und Rzeszów, sagt Bürgermeister Fijołek. Die geografische Lage mache dies möglich. Es gebe kaum Verwaltungshürden, weil die Regierung den Flüchtlingen sofort die Möglichkeit gegeben habe, hier zu arbeiten. Ukrainer müssten aber mitunter damit rechnen, dass sie keine Arbeit finden, die ihrer Qualifikation entspreche. In der Stadt habe beispielsweise eine Bekleidungsfirma ein Logistikzentrum eröffnet. 500 der 600 Mitarbeiter seien Ukrainer, so Fijołek.
Trotzdem seien alle hier erstaunt, so der Bürgermeister, wie gut die Integration funktioniere. Zwölf Monate nach Kriegsbeginn sind die Polen nicht müde geworden, den Ukrainern zu helfen. Es gebe kaum Konflikte, dafür sehr viel Solidarität. Die polnische Hilfe für die Ukraine sei einmalig, in Rzeszów kulminiere sie. Hier fühle sich der Krieg eben ganz nah an. Dabei ist Rzeszów nur einen Direktzug von Berlin entfernt; er fährt täglich um 10.52 Uhr vom Berliner Hauptbahnhof ab und braucht 8 Stunden und 50 Minuten.
Ein großes Sicherheitsgefühl
Adrian ist der Vater von Staszek, dem Jungen mit dem Fenster zum Krieg, der am Flughafen mit Blick auf die Landebahnen wohnt. Er und ein weiteres Familienmitglied, Jan, erzählen von den Flüchtlingen und den Soldaten in Rzeszów. Sie stören sich weder an der einen noch an der anderen Gruppe. Die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen insgesamt sei gut. Es gebe lediglich „Einzelfälle“, die sich darüber beschweren, dass so viel Geld in die Ukraine fließt und nicht nach Polen.
„Manche stören sich daran, dass man hier in Rzeszów auch richtig reiche Ukrainer sieht, wenn die mit ihren dicken Autos vor die Malls fahren“, sagt Jan. Das und der manchmal verstörte Blick auf den Kauf von Wohnungen durch Ukrainer sei aber „normaler Neid zwischen Nachbarn“.
Ein Taxifahrer bestätigt später die Aussage. Am Anfang des Krieges habe man so viel Leid gesehen, dass man nun nicht anders kann, als solidarisch zu sein. Man sah Ukrainer, die nach Rzeszów zu Fuß über die Grenze geflüchtet sind, auf Latschen, oft nicht mehr als mit einer Tüte und dem Nötigsten in der Hand ausgestattet, mit kleinen Kindern unterwegs. Erschütternd sei aber eine Einsicht, die sich aus Gesprächen mit Ukrainern ergebe: Dass sich reiche ukrainische Männer vom Krieg freikaufen könnten. 10.000 Euro würde es heute kosten, das Land zu verlassen, wenn man nicht eingezogen werden möchte, erzählt ein Taxifahrer. Die Armen in der Ukraine, sie tragen das Leid auf ihren Schultern, sagt er. Sie hätten keine Wahl und müssten kämpfen. Es ist eine von vielen polnischen Perspektiven auf den Krieg.

„Die Baustellen auf dem Weg zum Flughafen sind nerviger“
Derweil hat sich Rzeszów auf die Flüchtenden eingestellt. Die Flucht läuft organisierter ab als im vergangenen Jahr. Und die Logistik in die Ukraine auch. Oft stehen auf dem Feld, das man aus Staszeks Kinderzimmer erblicken kann, große Lkws aus der Ukraine. Jeden Tag werden sie beladen mit Hilfsgütern und Waffen. Dann fahren sie zurück ins Kriegsgebiet. Dafür werden Straßen gesperrt.
Staszek und seine Familie stören sich nicht daran. Man gewöhne sich an alles, außerdem dauerten die Straßensperren nur zehn bis 15 Minuten am Tag. „Die Baustellen auf dem Weg zum Flughafen sind nerviger“, sagt Jan. Auch die großen Flugzeuge seien nicht so schlimm. Die kleinen Maschinen machten mehr Lärm. Und die vielen Patriot-Raketen, die am Flughafen stationiert sind und in den Himmel ragen: Sie verleihen der Familie ein Sicherheitsgefühl. Es klingt nahezu paradox: Die Bewohner von Rzeszów sind so nah am Krieg wie kaum andere in Europa, aber wegen des Flughafens und der amerikanischen Präsenz fühlen sie sich besonders sicher hier.
Bedeutung des Karpatenvorlands
Rzeszów hat eine gute Infrastruktur und baut darauf auf. Laut der polnisch-ukrainischen Handelskammer verfügt der Flughafen über die zweitlängste Landebahn Polens und eine breite Schiene in die Ukraine. Eine Autobahn entlang der polnischen Grenze nach Lemberg befindet sich im Bau, von Berlin aus kann man Rzeszów per Auto und Zug geradezu ideal erreichen.
Die Bewohner Rzeszóws bekommen die amerikanischen Soldaten in Kneipen, Spas und Fitnessclubs zu Gesicht. Oft sehen sie Blaulicht und hören Sirenen. Doch von Fremdenhass keine Spur bei Staszeks Familie: „Die wissen sich zu benehmen.“ Adrian ist Fußbodenleger, und für ihn hat sich die wirtschaftliche Lage mit der Regierung Morawiecki geändert. Gestiegene Materialkosten und höhere Steuern machten den Unternehmern das Leben schwer. „Es sind aber gute Zeiten für Feldküchenhersteller und Straßenbaufirmen“, sagt er schmunzelnd.
Statistisch gesehen ist das Karpatenvorland eine der strukturschwächsten Regionen in Polen. 2009 wurden hier nur 68,4 Prozent des nationalen Durchschnitts vom Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet. Der Flughafen brachte der Region vor allem militärische Bedeutung. Bald werde auch wirtschaftliche Zusammenarbeit benötigt, prophezeien die Experten vor Ort.
Die Region wird auch politisch gestärkt. Ende Februar fand beispielsweise eine internationale Konferenz mit dem Titel „Europa Karpat“ statt, die Teile der PiS-Regierung veranstaltet haben. Dort kamen nicht nur Minister der Regierung Morawiecki zusammen, sondern auch hohe Repräsentanten des Dreiländerecks – also Ukrainer, Polen, Slowaken –, aber auch Ungarn. Auf der Konferenz war auch Marek Kuchciński anwesend, ein ranghoher PiS-Politiker, der die internationale Zusammenarbeit im Karpatenvorland stärken will. Er sagte der Berliner Zeitung, dass auch Visegrad nicht tot sei, dass aber durch die prorussische Haltung vor allem die Zusammenarbeit mit Ungarn vor einer Zerreißprobe stehe. Die Bedeutung des Karpatenvorlands sehe er im Wachstum begriffen.
„Wir wollen am Wiederaufbau beteiligt werden“
„Der Krieg hat der Region auf die Beine geholfen“, sagt auch der Flughafenanwohner Jan. Vorbereitungen für den Wiederaufbau würden schon getroffen. Unternehmer täten sich zusammen. Der Bürgermeister bestätigt das: „Wir wollen am Wiederaufbau beteiligt werden“, sagt er selbstbewusst.
Jeder weitere Kriegstag ist ein Tag, der die Ukraine weiter zerstört. Schätzungen zufolge werden die Kosten für den Wiederaufbau in dreistelliger Milliardenhöhe liegen. Auf einer internationalen Expertenkonferenz wurde deutlich: Die Gelder für den Wiederaufbau der Ukraine können nicht allein aus der EU kommen, die Weltgemeinschaft muss sich beteiligen. Polen und die USA werden mutmaßlich auch in dieser Frage eine wichtige Rolle spielen. So wie jetzt am Flughafen in Rzeszów. Dem laut Bewohnern „sichersten Ort in ganz Polen“.
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