Robert Kagan: USA müssen in der Ukraine die „liberale Welt“ verteidigen

Nach Ansicht des Vordenkers Robert Kagan geht es in der Ukraine um die liberale  Weltordnung. Die USA müssten sich wie im Zweiten Weltkrieg engagieren.

US-Präsident Joe Biden mit Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus, am 21. Dezember 2022. 
US-Präsident Joe Biden mit Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus, am 21. Dezember 2022. Andrew Harnik/AP

In seiner Kolumne für die New York Times hat der gewöhnlich sehr gut informierte Journalist und Buchautor Thomas Friedman einen der wichtigsten Befürworter eines globalen militärischen Engagements der Vereinigten Staaten zum Ukraine-Krieg befragt: Robert Kagan, Historiker der Brookings Institution, sieht in dem Kampf gegen Russland mehr als nur einen Streit um Territorien und Sicherheitsinteressen. Es gehe darum, die liberale Weltordnung zu verteidigen. Kagan erinnert an Franklin Roosevelts Rede zur Lage der Nation aus dem Jahr 1939: „Zu einer Zeit, als die amerikanische Sicherheit in keiner Weise bedroht war – Hitler war noch nicht in Polen einmarschiert und der Fall Frankreichs war fast unvorstellbar –, bestand Roosevelt darauf, dass es in den Angelegenheiten der Menschen dennoch Zeiten gebe, ,in denen sie sich darauf vorbereiten müssen, nicht ihre Heimat zu verteidigen allein, sondern die Grundsätze des Glaubens und der Menschlichkeit, auf denen ihre Kirchen, ihre Regierungen und ihre ganze Zivilisation gegründet sind‘.“ In beiden Weltkriegen und während des gesamten Kalten Krieges hätten die Amerikaner „nicht in unmittelbarer Selbstverteidigung“ gehandelt, „sondern um die liberale Welt gegen Herausforderungen zu verteidigen, gegen militaristische autoritäre Regierungen, so wie sie es heute in der Ukraine tun“.

Kagan, der Ehemann der US-Unterstaatssekretärin Victoria Nuland, erinnert daran, dass der „Isolationismus“ der US-Regierung oft bei den Republikanern anzusiedeln sei. Diese machen aktuell im Kongress Schwierigkeiten, weil sie weitere Zahlungen an die Ukraine nicht ohne Weiteres durchwinken wollen. Kagan sieht die Republikaner in einer unrühmlichen Tradition: Die „Isolationisten“ in den 1930er-Jahren seien „überwiegend Republikaner“ gewesen. Sie hätten gefürchtet, Roosevelt würde Amerika in den Kommunismus führen: „In internationalen Angelegenheiten neigten sie daher dazu, den faschistischen Mächten mehr Sympathie entgegenzubringen als die liberalen Demokraten. Sie fanden gute Seiten an Mussolini, lehnten es ab, den spanischen Republikanern gegen den faschistischen, von den Nazis unterstützten Franco zu helfen, und betrachteten Hitler als nützliches Bollwerk gegen die Sowjetunion.“ Daher sei „es heute nicht so überraschend, dass so viele konservative Republikaner ein Faible für Putin haben, den sie als Anführer des globalen antiliberalen Kreuzzugs sehen“.

Kagan ist überzeugt, dass jede Art von Verhandlungen mit Russland ein Irrweg sei: „Jede Verhandlung, die russische Streitkräfte auf ukrainischem Boden belässt, wird nur ein vorübergehender Waffenstillstand vor Putins nächstem Versuch sein. Putin ist dabei, die russische Gesellschaft vollständig zu militarisieren, ähnlich wie Stalin es während des Zweiten Weltkriegs getan hat. Er ist auf lange Sicht dabei, und er zählt darauf, dass die Vereinigten Staaten und der Westen angesichts der Aussicht auf einen langen Konflikt müde werden – wie sowohl die linken als auch die rechten Isolationisten im Quincy Institute und im Kongress dies bereits erkennen haben lassen.“ Zuletzt hatte sogar die RAND Corporation – ein überparteilicher Thinktank – vor einem langen Krieg und einer nuklearen Auseinandersetzung gewarnt.

Hintergrund der zunehmenden Nervosität in Washington könnte eine bevorstehende russische Offensive sein, von der die Financial Times und die Ukrainska Pravda berichten. Außerdem dürfte in US-Kreisen die Sorge über die Stabilität der ukrainischen Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj wachsen. Zum einen gibt es massiven Protest aus der Bevölkerung gegen ein neues Gesetz zu Bestrafung von Deserteuren und Befehlsverweigerern. Selenskyj lehnte es in der vergangenen Woche ab, ein Veto gegen ein neues Gesetz einzulegen, das die Bestrafung von widerspenstigen Militärangehörigen massiv verschärft. Laut Politico hatten mehr als 25.000 Ukrainer die Petition unterzeichnet. Menschenrechtsgruppen und Anwälten zufolge steht das Gesetz nicht im Einklang mit den Menschenrechten. Auch in der Armeeführung rumort es: So soll Verteidigungsminister Olexij Resnikow abgelöst werden. Allerdings teilte ein Sprecher der Selenskyj-Partei Diener des Volkes am Montag mit, dass der Schritt noch nicht in dieser Woche vollzogen werde. Resnikow, der den Posten seit November 2021 bekleidet, war zuletzt wegen eines Skandals um überteuerte Lebensmittelkäufe für die Armee in die Kritik geraten.