Russland: „Am Wahltag wurden Bot-Netze für die AfD eingesetzt“

Die Parteien haben in diesem Bundestagswahlkampf Millionen für ihre Digital-Kampagnen ausgegeben. Politikberater Johannes Hillje meint, dass die Parteien beim Einsatz der modernen Mittel auch ein großes Reputationsrisiko eingehen.

Herr Hillje, Obama revolutionierte 2008 den Wahlkampf. Er durchleuchtete seine Wähler digital und schnitt seine Wahlwerbung auf die jeweiligen Bedürfnisse der Menschen zu. War die Bundestagswahl der Auftakt für den Einsatz dieser Technik in Deutschland?

Der auf Daten und Technologie gestützte Haustürwahlkampf ist in Deutschland angekommen. Alle großen Parteien haben beim Haustürwahlkampf mit Datenanalysen gearbeitet. Durch digitale Mittel wurde ein altmodisches Instrument des Wählerkontaktes effizienter gemacht. Datenanalysen weisen den Weg zur Zielwählerschaft, Apps erleichtern die Protokollierung von Stimmungen an den Haustüren. Früher hat man sich mehr auf das Bauchgefühl verlassen.

Alles positiv also?

Das persönliche Gespräch mit Wählern ist eine positive Entwicklung, denn Parteien sind in einer Vertrauenskrise. Der direkte Kontakt ist eine wichtige Gegenmaßnahme, die Parteien auch außerhalb von Wahlkämpfen ergreifen sollten. Die Parteien haben von Obamas Daten-Wahlkämpfen gelernt. Schaut man sich den reinen Social-Media-Wahlkampf an lautet mein Fazit jedoch: Hohe Ausgaben, zweifelhafte Wirkung. Wir wissen bisher wenig über die Wirkung sozialer Medien auf die Wählerentscheidung. Was wir darüber wissen, spricht eher dagegen.

Die CDU war mit ihrer App connect17 eine Art digitaler Vorreiter. Doch das Wahlergebnis bei der Bundestagswahl war ziemlich mau. Wie passt das zu ihrer Analyse?

Die CDU hat nicht bei jedem Wähler an die Türe geklopft, insgesamt hat sie rund 1 Million Hausbesuche geschafft. Nun muss man sich die Wahlkreise anschauen, wo mit Hilfe der App Leute vor Ort angesprochen wurden. Meine Vermutung ist, dass es dort einen positiven Effekt auf das CDU-Ergebnis hatte. Die SPD hat mir von solchen Effekten ihres Haustürwahlkampfes in Ludwigshafen berichtet. Das bestätigt: Im direkten Kontakt lassen sich Menschen am ehesten überzeugen. In den USA wurde ermittelt, dass bei 14 Gesprächen eine Person überzeugt werden kann. Um beispielsweise einen Nichtwähler zum Wähler zu machen. Bei Facebook liegt diese Quote bei 1 zu 250.

Im Vorfeld warnten viele vor einer digitalen Offensive Moskaus. Heiße Luft?

Netzfeuerwehren der Parteien stoppten Lügen über ihre Partei und Kandidaten. Diese Teams brauchen sie auch in Zukunft. Am Wahltag wurden für die AfD Bot-Netzwerke eingesetzt. Da gab es Unterstützer in Russland, die die Debatte zugunsten der Partei lenken wollen. Wie in den USA: Die Störung und Manipulation des öffentlichen Diskurses in digitalen Netzwerken wird vor allem von rechtspopulistischen Kräften benutzt.

Mikrotargeting, also zielgerichtete und personalisierte Botschaften gab es kaum. Warum?

Das hat mit personellen und finanziellen Ressourcen der Parteien zu tun. Hinzu kommt, dass der Einsatz mittlerweile zu einem Reputationsrisiko geworden ist. Es gab letztes Jahr eine an eine Russlanddeutsche gerichtete Anzeige der CSU, wo Seehofer abgebildet war und in russischer Sprache stand: Wir sind gegen Multikulturalismus und gegen eine linke Republik. Sie spielten also während der Flüchtlingskrise alte Migranten gegen neue aus. Das ist unverantwortlich. Die Kritik daran haben die Parteien offenbar ernst genommen.

Was hier im Wahlkampf ausprobiert wurde, ließe sich auch von einer Regierung einsetzen. Ist nicht auch anzunehmen, dass diese Technologie für Regierungskommunikation genutzt wird?

Menschen sollten mit den Themen angesprochen werden, die für sie relevant sind. Das ermöglicht dieses Mikrotargeting. Eine Sache ist hierbei aber ganz wichtig: Es darf keine intransparente Regierungskommunikation geben. Mikrotargeting ist ja deswegen für die Demokratie gefährlich, weil die Botschaften intransparent sind also nur einer ganz kleinen Zielgruppe anzeigt und der großen Mehrheit vorenthalten werden. Wenn die Regierung das einsetzen würde, wäre die Transparenz sehr wichtig, denn sie ist für alle da. Die Regierung müsste sicherstellen, dass sie nicht nur mit Teilgruppen der Gesellschaft kommuniziert. Hier ist eine Transparenzpflicht nötig. Auch bei den Parteien, die das in den kommenden Jahren stärker einsetzen werden.

Von Johannes Hillje erschien in diesem Jahr zum Thema das Buch: "Propaganda 4.0"