Schon wieder fliegt die FDP raus: Ist der „Strack-Zimmermann-Effekt“ schuld? Fünf Thesen
Der FDP misslingt die fünfte Wahl in Folge. Die Liberalen haben offensichtlich kein Rezept gegen die Niederlagen. Mit welchen Konsequenzen ist zu rechnen?

Um kurz nach 18.00 Uhr wird es ganz still im Hans-Dietrich-Genscher-Haus. Die Kandidaten haben sich versammelt, in ihrer Mitte Sebastian Czaja, Spitzenkandidat der FDP Berlin. Einen Funken Hoffnung haben sie noch, und die erste Prognose gibt diesem Funken im ersten Moment auch Futter: Die FDP liegt ganz knapp bei fünf Prozent. Doch dann geht es bergab. Mit jeder neuen Hochrechnung sinkt die Zuversicht. Nach einigen Stunden steht fest, dass die FDP bei der Wahlwiederholung nur 4,6 Prozent erhalten hat. Bei der letzten Wahl waren es noch 7,1 Prozent. Sie wurde von den Wählern aus dem Abgeordnetenhaus geworfen. Wer ist schuld daran?
Die FDP verliert mehr als 29.000 Wähler an die CDU
Im Winter einen Wahlkampf zu bestreiten, und das auch noch innerhalb von neunzig Tagen, war für alle Beteiligten keine leichte Aufgabe. Die Ergebnisse zeigen aber ganz deutlich, keine Partei tat sich so schwer wie die Liberalen. Die CDU legte beispielsweise 10,2 Prozent zu. Und daran war die FDP nicht ganz unbeteiligt. Nach Angaben von Infratest Dimap gaben 29.000 ehemalige FDP-Wähler bei dieser Wahl ihre Stimme der CDU. Zudem blieben knapp 26.000 Wahlberechtigte ganz zu Hause.
Könnte es möglicherweise daran liegen, dass sich die CDU im Vergleich zur FDP politisch deutlicher positionierte und im Zusammenhang mit den Silvesterkrawallen Stellung bezog? Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel sieht einen Zusammenhang und stimmt dieser ersten These zu: „Sicherlich spielte das auch eine Rolle. Aber Liberalen fällt es noch immer schwer, sich als Hardliner der inneren Sicherheit zu präsentieren. Das passt nicht so einfach ins liberale Profil. Da gibt es Grenzen der liberalen Selbstaufgabe. Die CDU hat hier zumindest verbal Kompetenz.“
Im Gebiet rund um den Georg-Grosz-Platz konnte die FDP in der Vergangenheit viele Wählerstimmen für sich gewinnen. Die Straßen säumen Luxusläden: Gucci, Moncler und Bogner reihen sich aneinander. Man könnte meinen, dass Wähler, die hier leben, ihrer Partei treu geblieben sind. Doch es ist der Ort, an dem die FDP in ganz Berlin am stärksten verlor. Hier, im Wahlbezirk 4, hat die FDP mehr als zehn Prozent ihrer Wählerstimmen eingebüßt. Die Berliner Zeitung sprach mit Anwohnern im Kiez und eines wurde deutlich: Über Politik will hier niemand reden – und über die FDP schon gar nicht.
„Das geht Sie gar nichts an“
In einer kleinen Patisserie direkt am Georg-Grosz-Platz wird gerade der Außenbereich hergerichtet. Der Mitarbeiter des Cafés will zur Wahl aber nichts sagen, denn „über Politik reden wir hier nicht“. Ein paar Straßen weiter sind die Reaktionen ähnlich. Ein Anwohner reagiert auf die Frage, was er denn über die Niederlage der FDP denke, unwirsch und sagt: „Das geht Sie gar nichts an, was ich darüber denke.“ Eine ältere Dame, die gerade mit ihrem Hund spazieren geht, möchte sich auch nicht äußern: „Dazu habe ich keine Meinung und dazu sage ich auch nichts.“
Von einem großen Politikinteresse kann kaum die Rede sein. These zwei: Liegt hier das eigentliche Problem? Hat die FDP den Wahlkampf versäumt und ihrer Wählerschaft zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt? Auffällig ist, dass kaum Wahlplakate an den Bäumen und Laternen hängen. Die wenigen sind von der CDU und den Grünen. Von Sebastian Czajas gelb-pinken Plakaten fehlt jede Spur. Auf Nachfrage der Berliner Zeitung, wieso der Wahlkampf hier bei der Stammwählerschaft augenscheinlich so zurückhaltend geführt wurde, äußerte sich die FDP bisher nicht.
Lindner twittert lieber von zu Hause
Die Niederlage der FDP führt Wolfgang Merkel aber nicht allein auf den Ablauf und die Durchführung der diesjährigen Wahlkampagne zurück. Ein radikaler Wechsel sei mit der FDP nicht denkbar gewesen, obwohl dieser ein Teil der Kampagne war. These drei: „Die FDP hatte in Berlin in den letzten Dekaden nie ein größeres Potenzial von liberalen Stammwählern. Passionslose Wechselwähler lassen sich nicht einfach nach anderthalb Jahren zu einer Wiederholungswahl noch einmal mobilisieren. Außerdem weht der Berliner FDP der Gegenwind für die Liberalen aus dem Bund entgegen. Es ist auch ein Denkzettel für Lindner und Co.“
Die Freien Demokraten sind bei der #Berlinwahl2023 angetreten, um den Wechsel in der Hauptstadt zu ermöglichen. Respekt für @SebCzaja, die @fdp_berlin und alle fleißigen Hände für ihren Einsatz! Es wird vermutlich eine lange Nacht - wir drücken die Daumen! CL
— Christian Lindner (@c_lindner) February 12, 2023
Christian Lindner, der Bundesvorsitzende der FDP, äußerte sich gestern tatsächlich nur via Twitter zum Wahlergebnis. Auf der Bühne des Hans-Dietrich-Genscher-Hauses standen am Sonntagabend ausschließlich Politiker aus dem Berliner Landesverband. Die Frage, mit welchen Konsequenzen nach der Niederlage in Berlin auf Bundesebene zu rechnen ist, wird jedoch immer lauter. Seit ihrem Eintritt in die Ampelkoalition hat die Partei mit starken Verlusten zu kämpfen. Bereits im vergangenen Jahr schnitt die FDP bei allen vier Landtagswahlen schwach ab. Das Wahlergebnis in Berlin setzt diesen Negativtrend fort.
Zumindest Bijan Djir-Sarai, Generalsekretär der FDP, bezieht nach dem gestrigen Wahlergebnis Stellung und spricht davon, dass das schlechte Abschneiden in Berlin „selbstverständlich“ Folgen für die Koalition auf Bundesebene haben wird. Näher ins Detail geht er dabei jedoch nicht. Im Laufe des Montagvormittags äußert sich Christian Lindner dann auch persönlich im Hans-Dietrich-Genscher-Haus. Auch er führt das Berliner Wahlergebnis auf die Beteiligung seiner Partei an der Ampel zurück und liefert damit These vier.
Waffenlieferung, Karneval: Ist Strack-Zimmermann an allem Schuld?
Am Dienstag Morgen geht Lindner jedoch noch einen Schritt weiter und macht eine Person aus der eigenen Partei für die Niederlage verantwortlich: Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses steht seit Beginn des Kriegs in der Ukraine in der Kritik, da sie sich von Anfang an für die Lieferung schwerer Waffen aussprach. Während eines Karnevals-Auftritts wetterte Strack-Zimmermann dann auch noch gegen Friedrich Merz, bezeichnete ihn als „Flugzwerg“. Christian Lindner bezeichnete diesen Aufritt in einer Präsidiumssitzung am Montag als „nicht hilfreich.“
Liegt die Schuld somit tatsächlich bei ihr? Könnte man sogar von einem „Strack-Zimmermann-Effekt“ sprechen? Wolfang Merkel stimmt auch der fünften These zu: „Das kann man sich gut vorstellen. Auch die permanenten Lautsprecherparolen des „Mehr-und-schwere-Waffen-Liefern“ lässt sich nicht so einfach in eine glaubhafte liberale Identität einpflegen. Die Illoyalität gegenüber dem Kanzler in der Waffenfrage, die schrillen Töne selbst auf Karnevalssitzungen und die permanente Personality Show zeichnen das Bild einer Ich-Politikerin, der es vor allem um die eigene Karriere geht."
Der FDP stehen in diesem Jahr noch drei Landtagswahlen bevor
Sollte die FDP ihre Strategie, mit der sie neue Wähler gewinnen und bestehende Wähler mobilisieren möchte, in Zukunft auf Landesebene ändern? Der Zeitung Die Welt gegenüber sagte Lindner, die Führung der FDP sei „überzeugt, dass sich die Strategie auf mittlere Sicht auch auf Landtagswahlen als Erfolg herausstellt“. In Berlin habe sich die Regierungsstrategie der FDP, die auf Bundesebene zum Erfolg geführt habe, jedoch bisher „noch nicht ausgezahlt“.
Inwiefern die bisherige Strategie nun angepasst werden soll, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar. In diesem Jahr stehen drei weitere Landtagswahlen an. Bis dahin sollte die FDP ihren politischen Fahrplan überarbeitet haben.