Sachsen-Anhalt verdonnert Lehrer zu mehr Arbeit: Ein Vorbild für Berlin?
In Sachsen-Anhalt werden Lehrer ab März eine Stunde pro Woche mehr arbeiten. Kritiker wenden ein, dass der Beruf so „noch unattraktiver“ werde.

Die Landesregierung in Sachsen-Anhalt will dem Lehrermangel mit einem drastischen Mittel begegnen: Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) kündigte diese Woche an, dass Lehrkräfte in Zukunft länger arbeiten werden müssen. Eine entsprechende Verordnung werde mit den beiden Koalitionspartnern SPD und FDP schnellstmöglich auf den Weg gebracht.
Von der Änderung sind knapp 800 Schulen in ganz Sachsen-Anhalt betroffen – und der Aufschrei ist groß: Lehrer rufen bereits jetzt zu Streiks auf. Aber bedeutet eine zusätzliche Stunde pro Woche tatsächlich eine deutlich größere Belastung?
Ein Vergleich der 16 Bundesländer zeigt: In der Regel arbeiten Lehrer an Grundschulen 28 Stunden pro Woche. An Gymnasien und Sekundarschulen sind es 26 Stunden. Einzige Ausnahme ist Sachsen-Anhalt mit jeweils einer Stunde weniger.
Müssen Lehrer in Berlin bald auch länger arbeiten?
Die Pressestelle der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie teilt dazu mit: „Sachsen-Anhalt hat etwas nachgeholt, das in Berlin und anderen Bundesländern bereits der Standard ist.“ Angesprochen auf den Lehrermangel verweist ein Sprecher darauf, dass es in ganz Deutschland zu wenig Lehrer gibt. In Berlin habe man bereits einige „Stellschrauben bewegt“.
Nach Angaben des Berliner Senats kommt eine Erhöhung der Arbeitsstunden für Lehrkräfte in der Hauptstadt nicht infrage. Man konzentriere sich eher darauf, Master-Studenten schneller in die jeweiligen Schulen zu integrieren.
Zusätzlich werden pensionierte Lehrer miteinbezogen. Sie helfen bei der Überbrückung von möglichen Personalausfällen, beispielsweise wenn ein Lehrer krank ist. Diese Maßnahmen hätten sich bisher bewährt und würden auch weiterhin als zielführend eingestuft, heißt es.
Angehende Lehrer sehen die Maßnahmen kritisch
Die Veränderungen in Sachsen-Anhalt sorgen für eine bundesweite Debatte. Lehramtsstudenten in ganz Deutschland werden bereits im Studium darauf aufmerksam gemacht, dass ihr zukünftiger Beruf mit einem hohen Zeitaufwand verbunden ist.
Wie schätzen angehende Lehrer die Maßnahmen in Sachsen-Anhalt ein? Handelt es sich in ihren Augen um eine sinnvolle Lösung oder um eine zusätzliche Belastung?
Jonas Kaden studiert in Dresden Mathematik und Gemeinschaftskunde auf Lehramt. Seiner Meinung nach wird die Veränderung in Sachsen-Anhalt keinen positiven Effekt haben. Ganz im Gegenteil: „Der Lehrerberuf wird durch diese Änderungen noch unattraktiver. Das ist doch keine sinnvolle Lösung, wenn man die ohnehin überlasteten Lehrer noch länger arbeiten lässt.“ Junge Erwachsene, die sich für ein Lehramtsstudium interessieren, würden dadurch möglicherweise abgeschreckt.
Es bleibt oft nicht bei einer Stunde Mehrarbeit
In der Debatte um die Stundenzahl werde vor allem eine Tatsache vergessen: Vorbereitungszeit, Nachbereitungszeit, Exkursionen und Vertretungsstunden werden nicht als Lehrzeit bewertet. Die vorgegebenen 26 Stunden Unterricht an Gymnasien, die jeder Lehrer pro Woche absolvieren muss, klingen nicht nach einem Vollzeitjob. Zählt man jedoch alle anfallenden Arbeitsstunden zusammen, dann kommt man auf eine 40-Stunden-Woche.
Jonas Kaden dazu: „Eine Unterrichtsstunde von 45 Minuten bedarf eine Vorbereitungszeit von ungefähr einer Stunde.“ Heißt: Es bliebe nicht bei einer Unterrichtsstunde Mehrarbeit für die Lehrer.
Lars Rothe, ebenfalls Student in Dresden, sieht das ähnlich. Er habe mit mehreren Kommilitonen gesprochen, und alle von ihnen teilten eine Meinung: Die Arbeitszeitänderung sei keine Lösung. Eine Reform des Bildungssystems wäre der richtige Ansatz. Trotzdem sagt Rothe: „Die Änderungen halten mich aber nicht von meinem Berufswunsch ab.“
Student: Burnout-Risiko bei Lehrern könnte zunehmen
30 Prozent aller Lehrer leiden laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung bereits jetzt unter Burnout oder Erschöpfungssymptomen. Kaden glaubt, dass sich diese Zahlen aufgrund der Stundenzahlerhöhung noch verschärfen dürften. „Erst auf lange Sicht werden mögliche Konsequenzen spürbar sein.“
Sollte es so kommen, hätte die Regierung von Sachsen-Anhalt wohl das Gegenteil dessen erzielt, was sie sich eigentlich erhofft hatte: Dann würden in den kommenden Monaten noch mehr Lehrer wegen Überlastung ausfallen.