Sexismus: #Metoo ist kein Tugendfuror, ändert aber trotzdem nichts

Mit dem Hashtag #MeToo berichten Millionen Frauen von sexueller Belästigung - aber ändert sich dadurch etwas? 

„Hashtag-Debatten brechen Tabus“

Für den damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck war es vor vier Jahren bloß „Tugendfuror“, als viele Frauen und einige Männer im Internet von sexueller Belästigung berichteten. Damals veröffentlichten sie mit dem Hashtag #Aufschrei ihre Erfahrungen mit Sexismus im Alltag, um zu zeigen, wie groß das Problem ist. Heute gibt es dafür den Hashtag #MeToo (Ich auch) - und kein deutscher Politiker kritisiert die Debatte so wie damals Gauck. Hat sich die Gesellschaft also offline verändert?

Opferberatungsstellen melden, dass sie zurzeit und auch beim #Aufschrei größeren Andrang verzeichnen. „Viele Betroffene merken erst durch Medienberichte, dass sie nicht allein sind und manchmal sprechen sie zum ersten Mal mit irgendjemandem darüber“, sagt die Sprecherin des Bundesverbands der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, Katja Grieger. „Hashtag-Debatten brechen Tabus.“

Bei den Beratungsstellen des Bundes suchen in den letzten Jahren generell immer mehr Opfer und ihre Angehörigen Hilfe. 2016 waren es nach Angaben des Bundesverbands rund 69.000 - etwa 10.000 mehr als zwei Jahre zuvor.
43 Prozent der Frauen und 12 Prozent der Männer in Deutschland wurden laut einer Umfrage des Instituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur schon sexuell belästigt. „Aber viele trauen sich nicht, über Belästigung zu sprechen - aus Angst vor Konsequenzen oder weil sie glauben, dass es schlicht nichts bringt“, sagt die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders.

Im Ausland hat der Hashtag #MeToo viele Opfer bestärkt, öffentlich auch gegen Stars wie Schauspieler Kevin Spacey vorzugehen. Für Spacey bedeutete das unter anderem das Ende als Hauptdarsteller der Serie „House of Cards“. In einigen europäischen Ländern stehen Politiker in der Kritik, der britische Verteidigungsminister musste zurücktreten.

Sexuelle Belästigung ist jetzt eine Straftat

In Deutschland wird sexuelle Belästigung seit der #Aufschrei-Diskussion ernster genommen. Nach deutschem Recht galt Grabschen, ein Klaps auf den Po oder ein Kuss gegen den Willen der Geküssten noch 2013 bloß als „Beleidigung“. Vor einem Jahr hat der Bundestag dann entschieden, dass sexuelle Belästigung eine Straftat ist.

Der stellvertretende Direktor der kriminologischen Zentralstelle Forschungs- und Dokumentationseinrichtung des Bundes und der Länder, Axel Dessecker, bezweifelt jedoch, dass sich durch die Gesetzesänderung viel ändert: „Vorher wurden wenige Täter verurteilt, in Zukunft wahrscheinlich auch, denn sexuelle Belästigungen kann man einfach kaum beweisen.“ Trotzdem haben Staatsanwaltschaften seit der Gesetzesänderung laut dem Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe mehr Fälle erhalten - bis es zu rechtskräftigen Urteilen kommt, kann es aber Jahre dauern.

Debatten ändern nicht das Verhalten

Kritiker der Hashtag-Aktionen argumentieren, dass sie kaum messbare Resultate brächten. „Eine Gesellschaft ändert sich nicht, wenn sich Twitter-Nutzer austauschen und Politiker in Talkshows verkünden, wie schlimm sexuelle Belästigung ist“, urteilt der politische Kommunikationsforscher Mathias König von der Universität Koblenz-Landau. „Dadurch ändert sich vielleicht die öffentliche Debattenkultur, aber nicht, wie sich Menschen verhalten.“ In sozialen Netzwerken würden Menschen vielmehr in ihren eigenen Positionen gestärkt, weil dort polarisierende Meinungen am meisten verbreitet werden.
Auch die Kommunikationswissenschaftlerin Ricarda Drüeke von der Universität Salzburg hat zur #Aufschrei-Debatte geforscht. Ihre Erkenntnis: „Viele Menschen haben nicht verstanden, dass Hashtag-Debatten zeigen, dass sexuelle Belästigung ein strukturelles Problem der ganzen Gesellschaft ist“, sagt Drüeke. „Sie meinen, es sei einfach eine Generalkritik an Männern.“

Es geht um das Verhalten der Täter

So sieht das auch die Medienberaterin Anne Wizorek, die 2013 den #Aufschrei-Hashtag erfand. Sie sagt: „Wir brauchen mehr als Hashtag-Debatten, um unseren Umgang mit Alltagssexismus zu ändern.“ Für Wizorek müssten etwa Eltern und Erzieher Mädchen und Jungen gleich und nicht mehr nach Geschlechterstereotypen erziehen. Und: Richter und Polizisten sollten in ihren Ausbildungen noch stärker dafür sensibilisiert werden, dass es um das Verhalten des Täters und nicht um den Rock des Opfers gehe. (Anne-Sophie Galli, dpa)