Ein Tabu wird politisch: Warum das „Menstruationsgesetz“ zum Problem werden kann

Spanien ist das erste europäische Land, in dem sich Frauen wegen Regelbeschwerden freinehmen können. In Deutschland stößt die Idee auf Widerstände.

Bei starken Regelschmerzen können sich Frauen in Spanien dank des „Menstruationsgesetzes“ in Zukunft freinehmen.
Bei starken Regelschmerzen können sich Frauen in Spanien dank des „Menstruationsgesetzes“ in Zukunft freinehmen.Westend61/imago

Spanien wird europaweit zum Vorreiter: Vergangene Woche ist in Madrid das sogenannte Menstruationsgesetz verabschiedet worden. Künftig können sich Frauen bei Regelbeschwerden drei Tage freinehmen, ohne dass es Einfluss auf ihre Urlaubs- oder Krankheitstage hätte.

Damit ist Spanien das erste europäische Land, das den „Menstruationsurlaub“ einführt. Länder wie Südkorea, Japan und Taiwan haben das Gesetz hingegen schon lange, in manchen existiert es seit 70 Jahren. Ein Modell auch für Deutschland?

„Deutschland hat ein Menstruationsgesetz nicht nötig“, sagt die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Stiftung Frauen- und Geschlechterforschung, Waltraud Dumont du Voitel. Das spanische Arbeitsrecht sei mit dem deutschen nicht vergleichbar. In Spanien bekämen Frauen mehr Probleme, wenn sie aufgrund von Regelbeschwerden nicht zur Arbeit kommen können.

Erst am vierten Tag nach einer Krankschreibung durch ärztliches Personal erhalten spanische Beschäftigte eine Entgeltfortzahlung. Diese beträgt dann aber nur 60 Prozent, sagt Christine Wimbauer, Professorin für Soziologie der Arbeit und Geschlechterverhältnisse an der Humboldt-Universität Berlin. „Für Spanien ist das Gesetz sicher ein großer Fortschritt“, sagt sie. Meldeten sich Frauen dort aufgrund ihrer Periodenschmerzen ein bis drei Tage krank, blieb bislang auch das Geld aus. Mit dem neuen Gesetz ändert sich das jetzt – zumindest bei Menstruationsbeschwerden, die durch ein ärztliches Attest nachgewiesen werden müssen.

Spanische Lohnfortzahlung anders als in Deutschland

Die Situation in Spanien ist nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar. Deutsche Arbeitnehmer erhalten bei Arbeitsunfähigkeit schon ab dem ersten Ausfalltag den vollen Lohnausgleich. Deshalb würde laut Dumont du Voitel allein aus arbeitsrechtlichen Gründen die Implementierung des Menstruationsgesetztes hier keinen Sinn ergeben, in Spanien jedoch schon.

Die Ministerin für Gleichstellung, Irene Montero von der Linkspartei Podemos, äußerte sich zum neuen Gesetz auf Twitter: „Dies ist ein historischer Tag für feministische Fortschritte.“ Mit der neuen und bisher einzigen in Europa existierenden Regelung soll laut der linksgerichteten spanischen Regierung ein Tabu gebrochen werden. Die Deutsche Stiftung der Frauen- und Genderforschung sieht das aber anders. 

Menstruationsgesetz: Mehr Nachteile für die Frauen

Für eine erfolgreiche Enttabuisierung der Menstruation muss laut Dumont du Voitel in der Öffentlichkeit bekannter gemacht werden, dass „Frauen Probleme haben, dass Frauen Schmerzen haben, dass sie dann nicht arbeiten können“. Es solle mehr darüber gesprochen werden – ein Gesetzesentwurf sei dafür aber nicht der richtige Anlauf und alles andere als zielführend. Vielmehr würde es die Position der Frau noch verschlechtern, sagt die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Frauen- und Geschlechterforschung der Berliner Zeitung.

Ein Menstruationsgesetz würde laut der Stiftung soziale Nachteile auf dem Arbeitsmarkt hervorrufen. „Der Arbeitgeber wird dann eher einen Mann einstellen, weil die Frau ihn durch die zusätzlichen freien Tage im Monat mehr kosten würde“, so Dumont du Voitel. Dann gehe man bei der Gleichberechtigung einen Schritt zurück anstatt nach vorn. 

Laut Wimbauer gehen in Deutschland viele Menstruierende mit starken Schmerzen arbeiten, obwohl sie rechtlich nicht müssten. Der Grund: „Weil das Thema tabuisiert ist, weil sie nicht jeden Monat ausfallen möchten, weil sie keine abwertenden Bemerkungen in Kauf nehmen wollen oder ihr Kollegium nicht belasten möchten.“ Für die Soziologin könnte ein explizites Gesetz zwar mehr Sensibilisierung schaffen, jedoch auch ein Einfallstor für weitere Diskriminierungen sein.

Spanien hat noch mehr neue Frauen- und Gendergesetze auf Lager

Der in Europa bisher einzigartige Menstruationsurlaub erzielte in Spanien 185 Jastimmen, 154 Neinstimmen und drei Enthaltungen. Und das Land hat sogar noch mehr auf Lager, was Frauen- und Gendergesetze angeht. Neben dem Menstruationsgesetz wurde Ende letzter Woche auch für ein erweitertes Abtreibungsrecht und die freie Geschlechtswahl ab 16 Jahre gestimmt. Schwangerschaftsabbruch und Geschlechtsänderung sind demnach früher möglich. 

Mit dem neuen Abtreibungsgesetz können Frauen in öffentlichen Gesundheitszentren garantiert abtreiben. Außerdem wurde mit dem neuen Rechtsanspruch für Schwangerschaftsabbrüche das Alter für eine Abtreibung ohne elterliche Zustimmung auf 16 Jahre gesenkt. Daneben entfällt die dreitägige Bedenkzeit, die kostenlose Ausgabe der Pille danach wird zugesichert.

Was das Gendergesetz angeht, so können Menschen künftig ihr Geschlecht in Ausweispapieren durch eine unkomplizierte behördliche Erklärung ändern lassen. Ein ärztlicher Nachweis ist dafür nicht mehr erforderlich. Mit dem Gesetz zur freien Geschlechtswahl können außerdem nicht mehr nur Volljährige ihre Geschlechtsidentität offiziell wechseln, sondern auch schon Kinder ab zwölf Jahre.

Ab 16 Jahre kann über das Geschlecht künftig eigenständig entschieden werden. 14- bis 16-Jährige benötigen noch die Zustimmung des gesetzlichen Vormundes und Zwölf- bis 14-Jährige die Genehmigung eines Richters. Die Deutsche Stiftung Frauen- und Genderforschung sieht diese Gesetzeseinführung äußerst kritisch.

„Schulkinder stellen ihr Geschlecht vermehrt infrage, weil sie mit Informationen überflutet werden, für die sie noch gar nicht reif genug sind“, so Dumont du Voitel. Die Thematik sei sehr bedenklich und mache den Eindruck, einfach nur eine Mode zu sein. Das verunsichere die Schüler. „Auch mit 16 ist man für solche Entscheidungen noch zu jung.“

Dutzende Sexualverbrecher kamen durch neues Gesetz früher aus der Haft

Dass die Einführung neuer Gesetze in Spanien nicht immer glückt, zeigt das „Nur Ja heißt Ja“-Gesetz. Seit Oktober 2022 brauchen sexuelle Handlungen die ausdrückliche Zustimmung aller Beteiligten. Nicht einvernehmlicher Geschlechtsverkehr soll damit als Vergewaltigung definiert werden. Die Unterscheidung zwischen sexuellem Missbrauch und sexuellem Angriff wurde abgeschafft, sodass es nur noch den Straftatbestand des sexuellen Angriffs gibt.

Mit der Reform sollten das Sexualstrafrecht verschärft und die Frauen besser geschützt werden. Nur hat sie zu früheren Entlassungen von Sexualstraftätern geführt. Bei einer neuen Rechtsreform werden in Spanien verhängte Strafen rückwirkend geändert, wenn sie dem Verurteilen zugutekommt. Das Inkrafttreten des Gesetzes zog Hunderte Anträge auf Strafnachlass nach sich. Das Ergebnis: Berichten zufolge wurden 20 Sexualstraftäter entlassen und in 300 weiteren Fällen Strafen abgeschwächt.

Damit reduziert das „Nur Ja heißt Ja“-Gesetz die Mindest- und Maximalstrafe für einige Sexualdelikte. Das löste bei den Frauen landesweit große Empörung und Proteste aus. Jetzt soll es zwar nach nur vier Monaten zu einer Reform der Reform kommen – vorzeitige Entlassungen stoppt das aber nicht. Gesetzesänderungen gelten nicht rückwirkend, wenn sie negativ für den Verurteilten ausfallen. „Das zeigt, dass die Reform nach hinten losging“, sagt Dumont du Voitel. Das Gesetz wirkte sich am Ende nicht positiv, sondern negativ für die Frauen aus. Noch ist offen, wie es beim Menstruationsgesetz sein wird.