SPD: Entscheidung über Parteispitze - Franziska Giffey als Kandidatin?
Am Anfang schlugen sich alle prominenten Sozialdemokraten in die Büsche. Nach dem Rücktritt von Andrea Nahles hörte man tagelang nur, wer alles nicht Chef der Bundes-SPD werden will. Inzwischen aber wagt sich der eine oder andere Genosse aus der Deckung – zumindest ein bisschen.
Franziska Giffey traf bei „Anne Will“ keine Aussage zu ihrer Kandidatur
Da ist Thomas Kutschaty, ehrgeiziger Fraktionschef im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Der 51-Jährige aus Essen würde gerne Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Jahr 2022 werden, und offenbar hegt er auch Ambitionen im Bund. „Großen Herausforderungen darf man nicht hinterherlaufen, man darf aber auch nicht davor weglaufen“, sagte der ehemalige Landesjustizminister.
Doch schon kurze Zeit später watschte ihn NRW-Generalsekretärin Nadja Lüders mit der Bemerkung ab, Personalspekulationen zum jetzigen Zeitpunkt seien „nicht hilfreich“, sagte sie dem Westfälischen Anzeiger. „Es gebietet der Respekt, den Vorschlag des Parteivorstands am kommenden Montag abzuwarten.“ An diesem Tag will die SPD-Spitze ein Verfahren zur Kür der neuen Führung beschließen.
Schon am Sonntag hatte Franziska Giffey, Familienministerin und ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln, aufmerken lassen. In der TV-Talkshow „Anne Will“ antwortete sie auffallend ausweichend auf die Frage, ob sie sich den Vorsitz zeitlich neben dem Familienministerium zutraue. Das sei eine Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, alles müsse sehr gut miteinander abgewogen werden, sie habe schließlich auch einen neunjährigen Sohn, führte sie aus. Als die Moderatorin insistierte, dass das nun wahrlich kein „Nein“ sei, lachte Giffey. Dann sagte sie: „Ich werde dazu heute keine Aussage in dieser Form treffen.“
SPD fremdelt immer noch mit Franziska Giffey
Am Mittwoch allerdings traf sie in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung eine ganze Reihe von Aussagen. Einige davon wurden in der SPD wie eine Bewerbungsrede gelesen. „Die Leute entscheiden viel über den Bauch, über Sympathie“, sagte Giffey. Deshalb sei es wichtig, dass der SPD-Vorsitz an eine Person gehe, „die Bauch und Herz erreichen“ könne. Genau das nimmt Giffey für sich selbst in Anspruch.
Giffey wird in der SPD zurzeit für alles Mögliche gehandelt, und vermutlich wäre die Berlinerin bereits gesetzt, wenn da nicht das Problem mit ihrer Doktorarbeit wäre. Die Freie Universität prüft Plagiatsvorwürfe gegen die Politikwissenschaftlerin, das Verfahren soll irgendwann im Laufe des Jahres abgeschlossen werden. Im schlimmsten Fall wird Giffey ihren Doktortitel verlieren. Für eine neue Parteichefin wäre das denkbar schlecht.
Auf Rückenwind aus der Berliner SPD braucht Franziska Giffey sowieso nicht zu hoffen. Die Sozialdemokraten haben lange mit Giffey gefremdelt – und tun es vielleicht heute noch. So genau weiß man das nicht. Jedenfalls war es im Frühjahr 2018 nicht der eigene Landesverband, der die damalige Bezirksbürgermeisterin für ein Ministeramt auf Bundesebene empfahl. Brandenburgs Ministerpräsident und Parteichef Dietmar Woidke brachte die gebürtige Brandenburgerin – Giffey stammt aus Frankfurt (Oder) – ins Gespräch. Wenige Tage später war Giffey Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Franziska Giffey ist „Everybody‘s Darling der SPD (außer in Berlin)“
In diesem Amt macht Giffey eine gute Figur. Ihre zupackende Art und ihr Geschick, komplizierte Zusammenhänge populär einfach zu verkaufen – Stichwort „Gute-Kita-Gesetz“ –, kommen gut an. Sie gilt als Kümmererin, eine, die die einstigen Gedöns-Ministerien beständig in den Nachrichten hält.
Das ambivalente Verhältnis der Berliner Sozialdemokraten zu „Everybody‘s Darling der SPD (außer in Berlin)“ hat damit jedoch nichts zu tun. Die Gründe liegen viel tiefer, sind fundamentaler.
Es kann nicht ohne Eifersucht und Verletzungen bleiben, wenn eine einfach eine Politikebene überspringt und von der Bezirks- direkt in die Bundespolitik wechselt. Auf Landesebene gibt es genug Personen, denen solch eine Zuspitzung auf die Person suspekt ist.
Buschkowsky ist mittlerweile persona non grata der SPD
Fundamentaler ist jedoch die Skepsis hinsichtlich ihrer politischen Haltungen: Die 41-Jährige wurde in Neukölln einst von Bürgermeister Heinz Buschkowsky gefördert. Sie selbst bezeichnet „Big Heinz“ als ihren politischen Ziehvater. Sie vertritt, bei aller Emanzipation, auf vielen Feldern seine Positionen: Sie will Kindern jeder Herkunft eine Chance geben und fordert deren oft desinteressierte Eltern zur Not mit Druck zur Mithilfe auf. Sie will, dass der Staat stark ist und nicht etwa vor mafiösen Clanstrukturen kuscht. Sie hält Sicherheit für ein menschliches Bedürfnis, das Politik erfüllen müsse. Das sind – in der Berliner SPD – rechte Positionen.
Buschkowsky, der strahlende Sieger etlicher Kommunalwahlen, ist längst zur Persona non grata der SPD verkommen. Voriges Jahr wurde sogar ein Parteiausschlussverfahren angeregt – und wieder abgeblasen. Giffey kann sich also gar nicht so viel von Buschkowsky absetzen, wie es viele in dem über die Jahre weit nach links gerutschten Landesverband erwarten würden, damit sie Giffey ganzen Herzens unterstützen würden.
An Franziska Giffey führt kein Weg vorbei
Und dann ist da noch eine weitere Personalfrage. Im Jahr 2021 wird ein neues Abgeordnetenhaus gewählt – und anders als im Bund spricht in der Stadt alles dafür, dass die Regierungskoalition bis dahin hält. Dennoch droht Rot-Rot-Grün eine schleichende Zersetzung. Tatsächlich haben sich die Kräfteverhältnisse innerhalb der Dreierkonstellation dramatisch verändert: Seit der Wahl im Spätherbst 2016 sind die Grünen vom kleinsten zum größten Koalitionspartner gewachsen. Nach aktuellen Forsa-Umfragen liegt die Partei bei 26 Prozent – und hat damit einen riesigen Vorsprung.
Mindestens so dramatisch ist der Einbruch der SPD, die sich mit aktuell 16 Prozent als kleinste Partnerin wiederfindet. Sollte dieser Trend länger anhalten, stellte sich unweigerlich die Frage nach einer Neuauflage der Koalition. Ob die SPD tatsächlich bereit wäre, innerhalb von Grün-Rot-Rot die Mini-Partnerin zu geben, ist sehr fraglich.
Automatisch ginge es dann auch um Personen. Derzeit ist kaum vorstellbar, dass Michael Müller noch einmal Spitzenkandidat werden kann – wenn er denn überhaupt wollte. Müller kann auch bei seinen Beliebtheitswerten nicht von einem Amtsbonus profitieren – der Regierende Bürgermeister liegt auf Platz acht des elfköpfigen Senats.
Sollte die SPD also 2021 mit einem neuen Gesicht antreten wollen, führte an einer Kandidatin kein Weg vorbei: an Franziska Giffey.