Triage-Gesetz diskriminiert Behinderte: Kritiker wollen nach Karlsruhe ziehen

Der Politiker und Aktivist Constantin Grosch hat vor dem Verfassungsgericht ein Triage-Gesetz mit eingeklagt. Doch das Ergebnis sieht er mit Sorge.

Der niedersächsische Landtagsabgeordnete Constantin Grosch (SPD).
Der niedersächsische Landtagsabgeordnete Constantin Grosch (SPD).dpa/Michalek Grosch

„Das macht uns große Sorgen“, sagt Constantin Grosch, SPD-Landtagsabgeordneter in Niedersachsen. Er meint Regelungen im Triage-Gesetz, das der Bundestag am 10. November beschlossen hat. Das Gesetz soll in Krisenzeiten wie Pandemien wirken, wenn Intensivbetten, Beatmungsgeräte und andere lebensrettende Kapazitäten knapp werden. Behinderte würden dabei strukturell benachteiligt, kritisiert Grosch.

Die Triage (französisch für: Auswahl, Sortierung) stammt aus dem Krieg. Sie droht neben Pandemien auch bei  größeren Naturkatastrophen und Unfällen. Deshalb sei es falsch, die gesetzlichen Regelungen dafür im Infektionsschutzgesetz zu verankern, sagt Grosch. Dabei ist es auch dem jungen Politiker zu verdanken, dass es sie überhaupt gibt.

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Constantin Grosch, 1992 in Hanau geboren, lebt seit 2000 in Hameln. „Im Alter von drei Jahren wurde bei mir Muskeldystrophie diagnostiziert“, erzählt er. Etwa seit seinem elften Lebensjahr sitzt er dauerhaft im Rollstuhl. Doch statt zu resignieren, ist Grosch aktiv. Er machte sein Abi, begann ein Studium. Dann zog es ihn in die Politik. Seine Aufgabe sieht er „in der Verwirklichung von Teilhabe und Inklusion für alle Menschen“.

Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht

Dafür engagiert sich Grosch, der zunächst in der Piratenpartei war, unter anderem als Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion in Hameln-Pyrmont, als Landtagsabgeordneter, als Aufsichtsratschef der regionalen Verkehrsgesellschaft, in Sozialverbänden und als Vorsitzender der Aktionsplattform AbilityWatch.

Als einer von neun Beschwerdeführern zog Grosch im Juli 2020 vor das Bundesverfassungsgericht, um endlich eine gesetzliche Regelung zur Triage zu erreichen. Sie sollte diskriminierungsfrei sein – unabhängig von bestimmten „Merkmalen von Menschen“ wie Alter, Behinderung, Vorerkrankungen. Mit dem vor wenigen Tagen beschlossenen Triage-Gesetz werde das aber nicht erreicht, kritisiert Grosch. Indem Ärzte künftig nach der „aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit“ von Patienten entscheiden sollen, zögen sie solche Merkmale unweigerlich mit heran.

Entscheidung nach Dringlichkeit, Reihenfolge oder Losverfahren

Triage-Kriterien müssten „weitgehend zufällig“ sein. Denkbar wären etwa Regelungen, bei denen nach Dringlichkeit der Behandlung oder nach Reihenfolge entschieden wird. Oder ein anonymisiertes Losverfahren. Grosch und seinen Mitstreitern fehlt vor allem „eine breite gesellschaftliche Debatte“, ein gründliches  Abwägen zwischen Alternativen. Sie haben angekündigt, für ein diskriminierungsfreies Gesetz erneut „nach Karlsruhe“ zu ziehen.