Taiwans Palastmuseum: Der Ort des chinesischen Neides

Im Nationalen Palastmuseum in Taipeh lagern unzählige Schätze aus dem historischen China. Die Anlage ist auch eine Art Pilgerstätte für Touristen vom Festland.

Ein beeindruckender Ort, an dem Genugtuung und Neid täglich aufeinandertreffen: das Palastmuseum in Taipeh.
Ein beeindruckender Ort, an dem Genugtuung und Neid täglich aufeinandertreffen: das Palastmuseum in Taipeh.imago

„Den Kaiser musste man natürlich zufriedenstellen“, erklärt der Guide, stellt sich mit breiten Beinen vor eine Vitrine und deutet auf eine dunkle Truhe aus Holz, die Jahrhunderte alt sei: „Darin ließ sich alles aufbewahren, was dem Kaiser wichtig war. Die Diener fragten dann: ‚Eure Hoheit, Sie wünschen Kalligrafie? Hier, bitte schön. Oh, etwas Jade? Hier!‘“ Geöffnet werden durfte sie nur auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers. „Nur er konnte diese Kostbarkeiten damals besitzen. In der Truhe war quasi alles drin. Das ganze Universum an Schätzen!“

Das „ganze Universum“ befand sich in diesem Holzbehälter wohl nicht. Aber in hochtrabenden Formulierungen ist Randy, wie sich der hochbetagte Museumsführer zu Anfang der Tour vorgestellt hat, äußerst geübt. Seit Jahrzehnten arbeitet der Herr in dieser erhabenen Ausstellungsstätte, die sich für Superlative ohnehin eignet. Denn die Entstehungsgeschichte des Nationalen Palastmuseums in Taipeh, der Hauptstadt des Inselstaats Taiwan, erzählt sich wie ein Krimi. Und zwar einer, dessen Spannung im Prinzip bis zum heutigen Tag reicht.

Randy, ein drahtiger Typ mit Falten, graumeliertem Haar und einem vor dem Mund angebrachten Mikrofon, beginnt die Geschichte im Chinesischen Bürgerkrieg, als sich Chinas Kommunisten gegen die Nationalisten auflehnten: „In den 1930er-Jahren sind unsere Leute mit all dem Besitzstand in den Süden des Festlandes gezogen, von Peking über Shanghai nach Nanking. Aber dort gab es dann ein Massaker durch die Japaner, ungefähr 300.000 Menschen starben.“ So mussten „seine Leute“ die Kollektion von Nanking aus weiter gen Westen bringen, in die Berge, wo es sicherer war.

Mit 600.000 Kunstschätzen einmal quer durch China

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs witterten die Nationalisten um ihren Anführer Chiang Kai-shek reine Luft. Die rund 600.000 Objekte, die sie über mehr als ein Jahrzehnt lang heimlich durchs Land geschleppt hatten, transportierten sie zurück nach Nanking, um sie schließlich in Peking zu reinstallieren. „Aber der Bürgerkrieg zwischen den Kommunisten und den Nationalisten war ja noch nicht zu Ende. Und weil unsere Leute, also die Nationalisten, den Krieg verloren, brachten sie alles hierher auf die Insel Taiwan. Zunächst allerdings nicht nach Taipeh, sondern nach Zentraltaiwan, wieder ins Gebirge.“

Zum Ende des Bürgerkriegs 1949 flohen die Nationalisten nach Taiwan und riefen ihren eigenen Staat aus. Jahrelang planten sie noch die Rückeroberung des Festlands. Aber als sich dies als unrealistisch herausstellte, packten sie ihre mitgenommen Kostbarkeiten in der neuen Heimat aus und errichteten in Taipeh das Nationale Palastmuseum, wo nun seit 1965 Hunderttausende Objekte aus vergangenen Epochen erstrahlen. Aus dem 24-Millionen-Land Taiwan – im Vergleich zum Festland mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern ein Zwerg – macht dieses Museum auch für Festlandchinesen einen Sehnsuchtsort.

Zieht jährlich Millionen von Besuchern an: Das National Palace Museum in Taipeh, trotz der Namensähnlichkeit nicht zu verwechseln mit dem <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Palastmuseum_Peking">Palastmuseum</a> in der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Verbotene_Stadt">Verbotenen Stadt</a> in <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Peking">Peking</a>.
Zieht jährlich Millionen von Besuchern an: Das National Palace Museum in Taipeh, trotz der Namensähnlichkeit nicht zu verwechseln mit dem Palastmuseum in der Verbotenen Stadt in Peking.imago

„Unser Museum sammelt weltweit das beste und meiste chinesische Porzellan“, erzählt Randy und läuft voran durch die Ausstellungsräume. „Von diesen Vasen hier aus Ru gibt es zum Beispiel nur sechs weltweit. Wir haben vier.“ Eines der Charakteristika von Ru sei, dass es kaum Risse zulasse. „Ru-Keramik ohne Riss ist das Wertvollste. Können Sie hier etwa Risse sehen?“ Randy nickt zufrieden. „Noch eine Besonderheit von Ru ist die Farbe. Ein chinesischer Kaiser sagte mal: Wenn der Regen aufhört und du durch die Wolkenlücke zum Himmel siehst – das ist die Farbe von Ru.“

Taipehs Palastmuseum ist auch deshalb besonders, weil die hier ausgestellten Objekte umstritten sind. Das von Peking aus regierte Festlandchina erkennt Taiwan bis heute nicht als souveränen Staat an, sondern sieht es als Teil des eigenen Territoriums. Immer wieder droht die chinesische Regierung mit einer „Wiedervereinigung“. Kriegsschiffe aus Peking patrouillieren regelmäßig nahe der Küste Taiwans, Flugzeuge dringen in den Luftraum ein. Die Dauerausstellung in Taipeh mit all ihren Schätzen, die man in Peking für die eigenen hält, ist daher auch ein Objekt chinesischen Neides.

Tourguide Randy findet das witzig: „Als chinesische Touristen vor 20 Jahren zum ersten Mal herkommen konnten, fragten sie alle, wie es sein könne, dass die schönsten Dinge hier sind und nicht in Peking.“ Randy habe geantwortet: „Was denn sonst? Stellt euch vor, euer Haus wird in Brand gesteckt. Was würdet ihr tun? Die besten Dinge einpacken und abhauen, oder?“ Das sei es, was „seine Leute“ damals im Bürgerkrieg getan haben.

Peking habe doch auch ein Nationales Palastmuseum, kommentiert eine Teilnehmerin der Besuchergruppe. „Ja“, sagt Randy. „Aber die am schönsten dekorierten Objekte sind hier bei uns.“ Als der stolze Tourguide voranstapft, um seine Gefolgschaft in den nächsten Raum zu führen, rutscht einer Besucherin aus Neuseeland ein Lachen heraus. „Das ist wohl ein Wettbewerb hier!“ Dabei liegen sowohl Randy mit seiner Prahlerei als auch die ausländische Besucherin mit ihrer Lesart der Situation nicht ganz falsch.

Detailgetreue Skulptur aus der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Qing-Dynastie">Qing-Dynastie</a>: Der Jadekohl zählt zu den bekanntesten Stücken im Palastmuseum.
Detailgetreue Skulptur aus der Qing-Dynastie: Der Jadekohl zählt zu den bekanntesten Stücken im Palastmuseum.Imago

Nach Auffassung in Peking handelt es sich bei den Gegenständen hier um Beutestücke, die eigentlich nach Peking gehören. Das bestätigt Julie Meng, die mit ihrem Ehemann und Sohn aus der chinesischen Hauptstadt angereist ist: „Im Pekinger Museum waren wir schon einige Male. Es ist für seine opulente Architektur und die riesigen Schätze bekannt. Aber im Vergleich zum Museum hier in Taipeh hat Peking nicht so viel zu bieten.“ Bis zur Sperrstunde um 17 Uhr hat die Dreiergruppe ganze fünf Stunden in den Räumen verbracht. Aber alles gesehen haben sie noch lange nicht.

„Leider hat China durch diverse Kriege so viele Gegenstände von großem Wert verloren“, sagt Mengs Ehemann und streichelt seinem Sohn über den Kopf. „Das ist wirklich schade. Viele Werke gehören ja auch eigentlich zusammen, sind aber durch die politischen Konflikte getrennt worden.“ Schön wäre es, sagt er, wenn die zwei Palastmuseen aus Taipeh und Peking eine Kooperationsausstellung machen und Objekte austauschen könnten.

Kein Vertrauen: Schlechte Beziehungen zwischen Taiwan und Festlandchina

Die Beziehungen zwischen Taiwan und Festlandchina sind derzeit so schlecht, dass das kaum realistisch erscheint. So sieht es auch Randy, der altgediente Guide. Auf die Frage, ob Taipehs Museum nicht ein paar Schätze auch nur zeitweise nach Peking ausleihen könnte, sagt er spontan: „Ach, kommen Sie, auf keinen Fall!“ Und wenn Taipeh im Gegenzug wertvolle Objekte aus Peking erhielte? „Nein, nein.“ Das nötige Vertrauen sei einfach nicht da. „Das Ganze ist viel zu politisch.“

Immerhin: Mit den Lockerungen der Covid-19-Bestimmungen können Menschen aus Festlandchina seit Januar wieder ohne größere Probleme nach Taiwan reisen. Und diverse Kunstwerke aus Porzellan oder Jade, alte Kalligrafie oder noch ältere Bronzekessel längst vergangener Kaiserdynastien eben hier bestaunen. Auch wenn diese Schätze, nach gängiger Auffassung in Festlandchina, eigentlich nach Peking gehören.