Talk bei „Anne Will“: Verkehrsminister Scheuer wird der Prozess gemacht

Berlin - Der Deutschen liebstes Kind ist und bleibt immer noch das Auto. Oder doch nicht? In Zeiten des Klimawandels wird über den motorisierten Individual-Verkehr emotional gestritten wie noch nie. So auch bei "Anne Will" am Sonntagabend. Unter dem leicht irreführenden Titel: "Verzichten, verteuern, verbieten – muss Klimapolitik radikal sein?" ging es praktisch ausschließlich um Verkehrspolitik.

Die Gäste

Andreas Scheuer (CSU), Bundesverkehrsminister

Cem Özdemir (Grüne), Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag

Stefan Wolf, Unternehmer und Vize-Vorstand des Verbands der Automobil-Industrie (VDA)

Marion Tiemann, Greenpeace Deutschland

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Elisabeth Raether, Co-Leiterin Politikressort "Die Zeit"

Die Rollen waren von Anfang an klar verteilt:

Der "Angeklagte"

Scheuer hatte seine liebe Mühe, Angriffe von allen Seiten abzuwehren. Die Taktik des Politikers: Die geäußerte Kritik, beispielsweise an den hohen Dieselsubventionen als "Berliner und großstädtische Perspektive" abzutun. Er müsse das ganz Land im Blick haben. Außerdem verfuhr er häufiger nach dem Motto: "Was ihr fordert, tun wir doch längst - oder demnächst". Am glaubwürdigsten war sein wiederholter Hinweis darauf, dass vor allem die Kommunen selbst für eine fahrradfreundliche Verkehrspolitik verantwortlich seinen. Am unglaubwürdigsten war er, als er ein Erstarken der "Radikalen" an die Wand malte, sollte man die Verkehrspolitik zu schnell verändern.

Der aggressivste Gast

Die Rolle der Hauptanklägerin spielte die Greenpeace-Aktivistin Tiemann. Sie hatte für Scheuer zwar durchaus schmerzhafte Argumente parat. So bezichtigte sie den Minister und dessen CSU-Vorgänger beispielsweise, auf dem Land bis heute nicht für genug Alternativen zum Auto gesorgt zu haben. Ein, zwei Mal ließ sie sich aber auch zu unnötig-hämischen Bemerkungen hinreißen. Scheuer bezichtigte sie gegen Ende der "Arroganz" - und dürfte damit durchaus gepunktet haben.

Der emotionalste Beitrag

Journalistin Raether saß auch in der Sendung, weil sie Augenzeugin des SUV-Unfalls an der Berliner Invalidenstraße am vorvorigen Freitag mit vier Toten wurde. Sie sprach mit brüchiger Stimme darüber. Wenig später macht sie ihre Position zu immer größeren Autos aber unmissverständlich klar: "Es gibt neben dem Verkehr keinen weiteren gesellschaftlichen Bereich, in dem ein solcher Darwinismus hingenommen wird. Der SUV ist ein Symbol des Irrsinns."

Der frischeste Vorschlag

Özdemir brachte ein Modell ins Gespräch, wie es in Dänemark bereits praktiziert wird: ein Bonus- und Malussystem beim Autokauf. Wer verbrauchsstarke Fahrzeuge kauft, muss dafür bis zu 150 Prozent Steuern obendrauf zahlen. Mit dem so eingenommenen Geld werden umweltfreundliche Fahrzeuge beim Kauf subventioniert.

Der größte Lapsus

Er unterlief Scheuer. Als Tieman ihn wegen der jährlichen Diesel-Subventionen in Höhe von sieben Milliarden Euro attackierte ("Das ist Artenschutz für Spritschlucker") verwies der Minister auf die 800.000 Arbeitsplätze in der Autoindustrie. Die dortigen Ingenieure würden an Verbesserungen arbeiten, "um die Motoren dieselfreundlicher ... ähhh umweltfreundlicher zu machen". Das klang dann doch stark nach einem Freudschen Versprecher des Dieselfans Scheuer.

Der beste Konter

Raether gelang es an einer Stelle, einen Kampf-Begriff von Wolf umzudrehen. Der hatte geklagt, eine SUV-Verbot oder eine Obergrenze für SUV würde eine "Zweiklassengesellschaft" im Verkehr schaffen. Reather: "Die gibt es in den Städten doch längst: Fußgänger und Radfahrer auf der einen, Autofahrer auf der anderen Seite." Wolf schenkte seinerseits Tielmann einen ein: "Wenn Sie die Dieselsubventionen streichen wollen, müssen sie den Pendlern sagen, dass es für sie erheblich teurer wird."

Der trockenste Witz

Als Scheuer mit Will darüber streitet, ob das Bundeskanzleramt seinen Zahlen für das in dieser Woche angekündigte Klimakonzept der GroKo misstraut, sagt Scheuer sichtlich wütend zu ihr: "Wenn Sie das so genau wissen, dann gehen Sie doch am Donnerstag ins Kanzleramt." Özdemir wirft direkt ein: "Das wäre kein Verlust für die Umwelt."

Die Moderatorin

Mehrfach redeten die Gäste wild durcheinander, Will sah sich einmal gezwungen, ihre Mutter ins Feld zu führen, die sie am Montag wieder anrufen werde, weil sie nichts verstanden habe. Ansonsten gut vorbereitet. Auch eine Mikrofonpanne gegen Ende der Sendung brachte sie nicht aus der Ruhe.

Fazit

Eine durchaus aufschlussreiche Sendung mit ausgewogener Gäste-Mischung und hartem Schlagabtausch. So darf öffentlich-rechtlicher Polit-Talk gerne häufiger daherkommen.