Tempolimit: Geisterfahrer Gabriel
Andrea Nahles fährt gern schnell Auto. Auch zu schnell. „Ich hab auf jeden Fall ein paar Punkte“, hat sie neulich in einem Interview gestanden. Aber als SPD-Generalsekretärin werde sie meist von einem Fahrer kutschiert. „Das rettet mich.“ Die Wahlkampfmanagerin schweigt zu dem, was gerade als „Gabriels Vorstoß für Tempo 120“ Schlagzeilen macht.
Peer Steinbrück redet Klartext. „Es gibt keine Notwendigkeit, dieses 20 Jahre alte Thema im Wahlkampf noch mal aufzugreifen“, raunzt der SPD-Kanzlerkandidat. Und Fraktionschef Frank Walter Steinmeier erinnert den Vorsitzenden daran, dass seine Partei im Wahlprogramm nichts dergleichen fordere – „wegen Stand und Qualität des Autobahnausbaus“.
Die Genossen sind ungehalten
Das Thema Tempo-Limit ist heiß in der Auto-Republik Deutschland. Dass er sich den Mund daran verbrannt hat, sieht inzwischen auch Sigmar Gabriel ein: „Bei der Bundestagswahl geht es um andere Fragen als das Tempolimit“, sagte er der Bild-Zeitung nur einen Tag nach seinem Vorstoß. „Das gilt sowieso schon auf den meisten Strecken. Sicherheit braucht Vorfahrt, mehr wollte ich nicht sagen.“ Damit möglichst schnell möglichst viele Menschen seine neue Meinung lesen können, nahm er auch die Schlagzeile in Kauf: „Gabriel legt den Rückwärtsgang ein.“
Bisher war der Kanzlerkandidat für das Betreten von Fettnäpfen zuständig. Zuletzt als ihm das Kanzlergehalt zu niedrig war. Nun übernimmt der Vorsitzende die Führung. In der SPD jedenfalls rätseln sie, warum „der Sigi“ mal wieder sein Temperament schießen ließ und seine nähere wie fernere Umwelt überraschte. Und vor allem: Den Kandidaten.
Peer Steinbrück war gerade in Nordrhein-Westfalen im Wahlkampf unterwegs, als ihn Gabriel- Meldungen erreichten. Mit orangen Schutzhelm und örtlicher SPD-Prominenz besuchte er die marode Rheinbrücke an der A 1 in Leverkusen. Schöne Bilder sollte das geben für die zentrale Wahlkampfforderung der Partei in der Verkehrspolitik: Mehr Geld für die Infrastruktur!
Und dann das. Steinbrück war auf 180. So deutlich konnte er das im Wahlkampf nicht kundtun. Nur so viel: „Ich habe Herrn Gabriel meine Meinung gesagt.“ Es gab ein Telefongespräch. Kein sehr freundliches. „Über Tempolimits denke ich nach, wenn wir den Investitionsstau hinter uns gelassen haben“, gab Steinbrücks Gastgeber, NRW-Verkehrsminister Michael Groschek, danach den innerparteilichen Ton vor. Mit derlei Einlassungen folgten die SPD-Ministerkollegen aus Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein, Nils Schmidt und Reinhard Meyer.
Für Steinbrück ist es Gabriels zweiter Querschläger in kurzer Folge. Gerade erst hat er in der Debatte über den „Fall Hoeneß“ gefordert, die strafbefreiende Selbstanzeige für Steuersünder müsse wegfallen. Der Kandidat erfuhr’s aus den Medien und widersprach. Gabriel widersprach wieder. Aus solchen Indizien speisen sich Vermutungen, der Vorsitzende sei unzufrieden, weil der Kandidat nach seinen ersten Fehltritten zu vorsichtig voranschreite.
Aber ausgerechnet das Tempolimit als Wahlkampfschlager? Die SPD hat es in ihrem aktuellen Wahlprogramm bewusst vermieden – obwohl sie es schon einmal beschlossen hat. Auf ihrem Hamburger Parteitag 2007 war sie für 130. Gegen den Widerstand der Parteispitze. Hauptredner gegen den Plan damals: Bundesumweltminister Sigmar Gabriel.
Womöglich liegt ausgerechnet ein CSU-Politiker richtig mit seiner Erklärung des sozialdemokratischen Irrläufers. „Gabriel fährt den Grünen hinterher“, ätzte Verkehrsminister Peter Ramsauer. Tatsächlich sieht der Vorstoß Gabriels eher wie die Dummheit eines Politikers aus, der die Reaktion auf seine Position nicht bedenkt. So wie Peer Steinbrück, als er erklärte, der Bundeskanzler verdiene zu wenig.