„The Lego Movie“: Mit Klötzchen eine bessere Welt bauen
New York - Es ist der Samstag vor der Oscar-Nacht in Manhattan, und man könnte meinen, die New Yorker würden die letzte Gelegenheit ergreifen, sich die Favoritenfilme anzuschauen, die sie noch nicht gesehen haben, um sich während der Preisverleihungs-Party bei ihren Freunden nicht zu blamieren. Doch die längste Schlange im Multiplex am oberen Broadway bildet sich nicht etwa vor den Theatern, die „American Hustle“ oder den „Wolf der Wall Street“ zeigen. Um den Andrang zu bewältigen, wird stattdessen gleich in zwei Sälen ein Streifen gezeigt, der niemals Preis-Ambitionen hatte, der sich aber zum überraschenden Hit der Saison gemausert hat.
Schon am späten Vormittag waren online kaum mehr Karten für den Lego-Film zu bekommen, der seit seiner Eröffnung vor knapp einem Monat Amerika im Sturm erobert hat. Mehr als 200 Millionen Dollar hat das Spektakel mit den Bauklötzen seit der Premiere eingespielt, alleine am Eröffnungswochenende waren es 69 Millionen. Dagegen hatten weder die „Monument’s Men“ mit George Clooney noch Kevin Costner mit seinem Action-Thriller „3Days to Kill“ auch nur entfernt etwas auszurichten. Nicht einmal der „Robocop“ hatte gegen die Fantasy-Geschichte mit den hölzern über die Leinwand hoppelnden Spielzeug-Figuren auch nur den Hauch einer Chance.
Für Chaos und Kreativität
Die Erfolgs-Story von „The Lego Movie“ – der am 10. April auch in Deutschland anläuft – ist die bislang erstaunlichste Geschichte in der Entertainment-Welt dieses Jahres. Eigentlich gibt es nichts, was den Streifen zu einem Kassenschlager prädestiniert. Der Plot ist simpel und handelt von einer Revolte in der Lego-Welt. Gedreht wurde mit echten Lego-Figuren, die sich mechanisch durch das Bild schieben; Computer-Animationen glätten das Ganze nur stellenweise. Erschwerend kommt hinzu, dass Lego nicht eben das Spielzeug der Wahl der heute Acht- bis 14-Jährigen ist, die mit X-Box und Wii aufgewachsen sind.
Dennoch schafft es der Lego-Film zu verzaubern. Phil Lord und Christopher Miller, die 2012 bereits mit der Neuauflage der 80er-Jahre- TV-Serie „21 Jump Street“ einen Überraschungstreffer gelandet hatten, haben einen audio-visuellen Rausch geschaffen, dem man sich nur schwer entziehen kann: Der Film ist ein Frontalangriff auf die Sinne. Der Betrachter wird von der ersten Szene an in eine temporeiche Hatz durch fantastische Welten mit fantastischen Figuren hineingeworfen. Man stolpert von einem Lego-Universum in das nächste, vom „Alten Westen“ in das Hobbit-artige „Middle Zealand“, vom „Wolkenkuckucks-Land“ in die wohl geordnete moderne Großstadt Bricksburg. Überall lauern Gefechte zwischen Gut und Böse, bei denen es blitzt und knallt und Superhelden über Superbösewichter triumphieren.
Die liebevolle Detailgenauigkeit dieser Welten und ihr visueller Witz sowie das Tempo machen sicherlich den Großteil des Reizes dieses Films aus. Ebenso unwiderstehlich ist jedoch die Story, die das alles einrahmt. Der Held der Geschichte ist der einfache Bauarbeiter Emmett, eine gesichtslose Nummer in den wohl geordneten Straßen von Bricksburg – einem Destillat der hypergentrifizierten Städte unserer Gegenwart. Doch Emmett gerät in den Besitz eines mysteriösen Gegenstandes, der ihn in den Augen der Widerstands-kämpfer von Bricksburg zum Auserwählten macht. In der Folge wird Emmett zum Helden des Kampfes gegen seelentötende Sterilität und Uniformität, die von einem Tyrannen namens Lord Business über das Legoland verhängt werden. Emmett führt die „Meisterbauer“ des Legoland-Untergrundes in den Kampf für Chaos und Kreativität.
Landung in der Wirklichkeit
In der letzten Viertelstunde wird dieser Plot dann auf die Echtwelt-Ebene gehoben. Es stellt sich heraus, dass Lord Business der Familienvater Will Farrell ist, der im Keller strikt nach Bauplan ein riesiges Lego-Reich errichtet hat. Der Rebell ist sein Sohn, der mit den Klötzchen anstellt, was er will, die Ordnung durcheinanderbringt und damit zum Leben erweckt. Das funktioniert gleich auf mehreren Ebenen als Allegorie. Dem seelenlosen Alltag des Angestelltendaseins im Spätkapitalismus wird Anarchie und Fantasie entgegengesetzt. Den Erwachsenen wird empfohlen, sich an ihre Kindlichkeit zu erinnern, und es wird zur kreativen Rebellion gegen die vorgefertigte Konsumkultur aufgerufen.
Das alles hat die Kritik zum beinahe einstimmigen Lob für den Lego-Film inspiriert. Medien von der New York Times über den Rolling Stone bis hin zum linken Blog Think Progress überschlugen sich vor Begeisterung. Alleine der englische Guardian findet inmitten der Euphorie noch ein Haar in der Suppe. Der Lego-Film, so der Londoner Rezensent, partizipiere an genau jener seelentötenden Konsum-Kultur, die er doch zu kritisieren behaupte. Schließlich sei der Film nichts anderes als ein anderthalb Stunden langer Werbespot für Lego.
Das ist sicher richtig. Aber es ist ein Werbespot, der enorm Spaß macht und der sich dabei auch noch selbst hinterfragt.